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Indien

Papier ist tot, lang lebe Papier

cover_indien2Es ist in meiner Branche üblich, bei jeder kleinen Änderung gleich von einer Revolution zu sprechen – im konkreten Fall: Die „Digitale Revolution“, laut der die Menschen kein Papier mehr verwenden und stattdessen alle Inhalte auf ihren Smartphones, Tablet-PCs und E-Readern konsumieren. Die Zeitung ist tot, das Buch sowieso. Und wer sich – so wie ich – in digitalen Kreisen bewegt, der ist geneigt, dies auch zu glauben: Ich selbst verreise niemals ohne meinen Kindle und werde nervös, wenn ich ein paar Minuten nicht den Nachrichten-Flow auf meinem Smartphone verfolgen kann.

Aber Studien zeigen ein andres Bild, wie ich im Wirtschaftsblatt geschrieben habe: In „Boom-Märkten“ wie den USA und Großbritannien lesen gerade mal 20 Prozent der Bevölkerung digitale Bücher, im deutschsprachigen Markt sind es deutlich weniger: Zur „Buch Wien“ im Jahr 2012 war von gerade mal fünf Prozent der Bevölkerung die Rede. Der Rest kann etwa nicht sinnerfassend lesen, tut es aus zeitlichen Gründen nicht oder setzt auf das gute alte Papier.

Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mein eigenes Buch – „Indien 2.0 -Twittern im Tuk-Tuk“ – neben der Version für den Amazon Kindle auch als gedruckte Ausgabe zu veröffentlichen. Nach zahlreichen schlaflosen Nächten, die ich erneut mit Lektorat und Layout verbracht hatte, war es schließlich so weit: Als der Bote das Paket brachte, ich es auspackte und das Werk in Händen hielt, spürte ich, wie sich aus dem ursprünglich knallharten ökonomischen Kalkül ein selten dagewesenes Glücksgefühl entwickelte.

Denn seine eigene Kreation in Händen zu halten – das ist nochmal etwas ganz anderes, als graue Seiten auf einem Bildschirm zu betrachten. Dieses Buch sieht schön aus, es ist gar nicht mal so dünn; man kann es anfassen, überall hin mit nehmen und auf dem Couch-Tisch liegen lassen, um mit den nächsten Gästen ein unkonventionelles Gesprächsthema bei der Hand zu haben – das sind alles Vorteile, die ein digitales Buch nicht mit sich bringt.

Auch wenn ich also nach wie vor die digitale Welt auf Grund ihrer ständigen Verfügbarkeit schätze – der Wert des zeitlosen Mediums Papier ist auch nicht zu vernachlässigen. Somit rate ich jedem angehenden Selfpublishing-Autor, sein Buch in der alten ebenso wie in der neuen Medienwelt zu publizieren – es zahlt sich allein vom Selbstwertgefühl her aus; und man ermöglicht dem kleinen Buchhändler um’s Eck, von denen in den letzten Jahren zu viele zusperren mussten, einen zusätzlichen Umsatz.

Erhältlich ist das Buch nun übrigens hier:

Indien vs. Israel: Ein Reise-Vergleich

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Wildlife in Israel: Klein, aber fein (c) Stefan Mey

Vor ein paar Jahren habe ich im Rahmen eines Thailand-Urlaubs das besagte Reiseziel mit Indien verglichen und bin dabei zwar diplomatisch zum Schluss gekommen, dass Indien zwar mehr interkulturelle Grenzgänge bietet, dafür Thailand aber die schöneren Strände hat – die Wahl des Urlaubsziels sei daher Geschmackssache. Mir persönlich gefiel Indien allerdings besser – weshalb ich ja auch ein halbes Jahr dort war und sogar ein Buch über die Zeit dort geschrieben habe.

Über andere Länder habe ich seit meiner Indien-Reise, die vor genau zwei Jahren begann, nicht geblogged, auch wenn auf den Indien-Trip noch so manches Abenteuer folgte. Zum Beispiel bin ich nun bereits das zweite Jahr in Folge nach Israel gereist – und während ich im Vorjahr noch nicht so sehr das Bedürfnis zum Bloggen über meine Erfahrungen verspürte, möchte ich diesmal erläutern, warum es mich nun in ein Land zieht, das viele Menschen leider nur aus den abendlichen Nachrichten kennen. Hier ist er also: Mein Reise-Vergleich zwischen Indien und Israel.

Strände

Viele Menschen fahren auf Urlaub, um am Strand zu liegen – ich selbst zähle mich nicht zu dieser Sorte, habe aber gegen weißen Sand und blaues Meer generell nichts einzuwenden. Indien punktet hier an erster Stelle durch die exotischen Andamanen und das Hippie-Paradies Goa, Stadt-Strände wie jener von Bombay lassen den Reisenden am kulturellen Leben teilhaben, laden auf Grund der Verschmutzung aber wirklich nicht zum Baden ein.

Der Strand vom Tel Aviv wiederum ist ein Stadt-Strand, wie man ihn auch von so mancher europäischen Stadt kennt. Hier kann man ins Wasser hüpfen und den Sonnenuntergang vom Strand aus beobachten, mit modernen Hochhäusern im Rücken. In wenigen Stunden ist man von Tel Aviv aus per Bus am Roten oder Toten Meer – und letztgenanntes ist der USP der Israelis: Während man sonst heutzutage jede Sehenswürdigkeit auch auf Wikipedia und Google Street View bewundern kann, ist das Baden im Salzwasser des Toten Meeres eine einzigartige Erfahrung, die ich wohl niemals vergessen werde.

Geschichte und Religion

Indiens kulturelle Vielfalt kann einen Besucher regelrecht erschlagen – hier wälzen sich Jahrtausende an kultureller Entwicklung aneinander, Besucher können exotische Zeremonien verfolgen und ihren Horizont erweitern, wenn sie die richtige Einstellung dafür mit bringen. Wer etwas über Sikhismus, Buddhismus oder Hinduismus lernen möchte, der ist hier an der richtigen Adresse.

Nach Israel wiederum sollten jene Europäer reisen, die an den Wurzeln ihrer eigenen Religion interessiert sind. So gut wie jeder Ort in diesem kleinen Land hat eine Relevanz für die monotheistischen Religionen, der „Lonely Planet“ für Israel ist gespickt mit Bibel-Verweisen – selbst wenn es bloß um Jaffa, die Altstadt von Tel Aviv, geht. In Jerusalem geht es dann so richtig rund: Hier treffen in der Altstadt Vertreter von drei Weltreligionen zusammen, feiern ihre Feste, begehen ihre Pilgerfahrten, Muezzine und Kirchenglocken wettern um das Gehör der Besucher. Jerusalem ist das Varanasi der Buchreligionen – und nicht minder unterhaltsam.

Wandern und Wildlife

Die größeren Tiere gibt es ohne Zweifel in Indien zu sehen: Wer sich hier im richtigen Bundesland in einen Jeep setzt, der kann mit etwas Glück nicht nur gehörnte Viecher, sondern auch Elefanten und diverse Raubkatzen sehen. Damit bietet Indien weniger als diverse schwarzafrikanische Länder – aber mehr als der Schwarzwald.

Allerdings hat Indien den Nachteil, dass man dort nicht selbst aktiv werden kann – mit Ausnahme von Nischen-Programmen wie dem in meinem Buch beschriebenen Matheran. In Israel wiederum bin ich am Toten Meer bei knapp 40 Grad Celsius eigenständig durch die Wildnis gewandert – und hab dabei sogar ein paar Steinböcke gesehen.

Wer also gerne Tiere per Auto verfolgt, ist in Indien besser dran – wer gerne selbst aktiv ist, sollte auf Israel setzen.

Interkulturelle Flashs

Wie bereits zuvor beschrieben, ist Indien fremd, fern und exotisch – es gehört hier zum Alltag, sich von fremden Kulturen überraschen zu lassen und den Horizont zu erweitern, und der durchschnittliche Mitteleuropäer ist durch seine weiße Haut schnell bekannt wie ein bunter Hund.

In Israel gibt es diese Flashs auch – man muss aber länger danach suchen, meist ergeben sie sich erst in längeren Gesprächen. Auf den ersten Blick hingegen sind die Israelis den Mitteleuropäern extrem ähnlich, dank meines Vollbartes wurde ich gar mehrmals für einen Israeli gehalten – nicht zu vergessen ist immerhin die Tatsache, dass auch dieses Land mit vollem Einsatz am Eurovision Song Contest teilnimmt.

WLAN/WiFi

Manche Leute fahren scheinbar nur auf Urlaub, um endlich ungestört im Internet surfen zu können. Ich selbst ziehe es vor, auf Reisen so viel wie möglich offline zu sein und mich meiner unmittelbaren Umgebung zu widmen – gegen eine rasche Verfügbarkeit von Google Maps und booking.com im Bedarfsfall habe ich aber auch nichts einzuwenden.

In Indien findet sich vor allem in Großstädten WLAN in diversen Hotels und Bars; wer allerdings ständig online sein möchte, der ist wohl besser beraten, sich eine Wertkarte mit 3G-Internet zu holen – sonst könnte die Durststrecke bis zum nächsten Tweet vielleicht doch zu lang sein.

In Israel ist die WLAN-Dichte meiner subjektiven Wahrnehmung zufolge noch besser. Nicht nur, dass hier all meine Unterkünfte mit gratis WLAN ausgestattet waren und ich von vielen Cafes aus Zugriff auf das Web hatte – sogar während der Überlandfahrten in den grünen „Egged“-Bussen (das israelische Gegenstück zu Eurolines) gab es kostenloses WiFi.

Infrastruktur, Sicherheit und Hygiene

A propos Busse: Reisen ist in Israel einfach. Busse fahren zwischen den einzelnen Orten ebenso wie „Sheruts“: Mini-Busse, die als Sammel-Taxis fungieren und in denen man rasch mit Einheimischen ins Gespräch kommt. Da das Land sehr klein ist, kommt man sehr schnell von A nach B – während in Indien das Zugnetz zwar auch gut ausgebaut ist, die Züge aber erstens deutlich dreckiger sind und zweitens auf Grund der Größe des Landes Reisen oft sehr zeitaufwändig sind.

Einen weiteren Punkt gewinnt Israel in punkto Hygiene: Selbst öffentliche Toiletten sind sauber, das Leitungswasser kann man ungefiltert trinken – Punkte, die viele zartbesaitete Urlauber vor Indien zurück schrecken lassen.

In punkto Sicherheit hatte ich das Gefühl, dass der Israel-Reisende weniger Angst vor Taschendieben haben muss und generell weniger gebettelt wird als in Indien. Dafür sollte ein Israel-Reisender stets einen Blick auf das weltpolitische Geschehen haben – aus bekannten Gründen.

Kosten

Flüge nach Mumbai werden ab 650 Euro angeboten (plus Visum und Impfungen), mein Flug nach Tel Aviv hat mich 400 Euro gekostet – der Differenz stehen allerdings deutlich höhere Beträge vor Ort gegenüber. Meine billigste Unterkunft in Israel war ein Jugendherbergszimmer in der Altstadt von Jerusalem um 40 Euro, in Indien wiederum habe ich für manche Unterkünfte – allerdings mit Fröschen und Kakerlaken geteilt – unter 10 Euro gezahlt. Ein Essen in Indien kostet einen Euro, ein Burger mit Bier in Tel Aviv kostet 20 Euro.

Stellt man die Fixkosten (Flug, Visum, Impfungen) den variablen Kosten (Schafen, Essen, Alkohol, Ausflüge) gegenüber, so ergibt sich, dass ein Trip nach Fernost ab einer Reisezeit von circa zwei Wochen billiger kommt als ein gleich langer Ausflug in den Nahen Osten.

Fazit

Eine eierlegende Wollmilchsau gibt es nie – auch nicht in Bezug auf das Reiseziel. Klar ist für mich freilich, dass meine Liebe zu Indien nicht so schnell nachlassen wird – dafür schätze ich zu sehr die Möglichkeit, auch mit einem geringen Reisebudget Erfahrungen zu sammeln, die einfach unvergesslich sind.

Allerdings habe ich in Israel eine gute Alternative gefunden für den Fall, dass ich nur wenige Urlaubstage zur Verfügung habe und dennoch ein famoses Abenteuer erleben möchte. Womit für mich klar ist, dass mich beide Länder sicher früher oder später wieder als Gast begrüßen dürfen – über die entsprechenden Erfahrungen lesen Sie dann auf diesem Kommunikationskanal.

IndiaCamp auf der Schallaburg ist abgesagt

Wie mein Freund und Partner Wolfgang Bergthaler bereits auf indische-wirtschaft.de verkündet hat, müssen wir das IndiaCamp 2013, das am 22. 6. auf der Schallaburg hätte stattfinden sollen, aus organisatorischen Gründen leider absagen.

Doch keine Sorge: Unterhaltung für Indien-Fans gibt es genug: Die Ausstellung „Das Indien der Maharadschas“ ist nach wie vor auf der Schallaburg zu bewunden; weitere tolle Events gibt es zum Beispiel von Natya Mandir, die indische Botschaft zeigt am 24.5. den SRK-Film „Ra One„.

Und wer sich für Wolfgangs und meine Geschichten interessiert, der kann sich gerne mit uns persönlich in Graz oder Wien treffen – oder über uns lesen: Indische-wirtschaft.de wird von Wolfgang noch immer eifrig betrieben; mein Buch „Indien 2.0“ erfährt gerade eine Generalüberholung und wird in Kürze auch auf Papier erhältlich sein.

Das IndiaCamp geht in die nächste Runde!

indiacampjpgDas IndiaCamp geht in die dritte Runde. Nach den beiden Erfolgen 2011 und 2012 haben wir uns für heuer was besonderes ausgedacht. Am 22. Juni tagen wir im Renaissanceschloss Schallaburg!

Gemeinsam mit der Österreichisch-Indische Gesellschaft (ÖIG) organisieren wir im Rahmen der Ausstellung „das Indien der Maharadschas“ wieder unsere legendäre (Un)Konferenz zum modernen Indien. Im Laufe eines Tages bekommst du einen einzigartigen Einblick über die verschiedenen Facetten des zeitgenössischen Indien. Wir spannen den Bogen von urban Lifestyle, Musik und Film zu Politik und sozialer Entwicklung bis hin zu Wirtschaft und Innovation.

Ziel der Veranstaltung ist der informelle Erfahrungs- & Wissensaustausch zum Thema Indien, die Vernetzung von Gleichgesinnten in einem ungezwungenen Umfeld, und Inspiration für neue gemeinsame Projekte. Das IndiaCamp ist ein intensiver Event mit Diskussionen, Workshops und Vorträgen. Alle Teilnehmer sind eingeladen, zum Gelingen des Events aktiv beizutragen.

Zwischen 11 und 17 Uhr erwarten dich zehn bis zwölf Sessions (Deutsch und Englisch), die teilweise parallel statt finden. Außerdem gibt es leckeres indisches Essen, Chai und genug Raum für persönliche Gespräche.

Wir laden alle EuropäerInnen und InderInnen ein, die ihre Erfahrungen mit der Indien-Community teilen wollen. Das interdisziplinäre Publikum aus Wissenschaft, Wirtschaft, Studenten und Berufstätigen und Selbstständigen eröffnet auch heuer wieder einzigartige Potentiale.

Wir freuen uns auf deine Teilnahme! Bitte um deine e-mail Anmeldung bis 15. Juni.

Die Teilnahme ist kostenlos! Außerdem gibt es einen Shuttle Bus von Wien zur Schallaburg (Unkostenbeitrag von 5 EUR p.p.).

http://www.austro-indian.at

http://www.indische-wirtschaft.de

Probelesen: „Pferde sind doof“

Der kleine Zug, der sich durch Tunnel und Biegungen, an steilen Klippen entlang von Neral – einem Ort in Maharashtra, zwischen Mumbai und Pune – zur Hill Station „Matheran“ hinauf bewegt, fährt so langsam, dass teilweise die Händler nebenher laufen können; Trittbrettfahrer springen auf und hängen während des letzten Wegstücks auf der Außenseite der Waggons. Als wir den Bahnhof erreichen und uns ein Schild freundlich mit den Worten „Welcome to Matheran“ begrüßt, steige ich mit meinem Gepäck aus dem Zug – und an meiner Stelle klettert eine Ziege in das kleine Abteil, macht es sich dort bequem.

Exkurs (1): Warum das Wochenende in Matheran verbringen? Nun, der Grund ist eine Mischung aus Neugierde und Nostalgie. Wie ich bereits an früherer Stelle erwähnte, habe ich als Kind in Bombay gelebt  – viel Zeit habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten nicht mit dem Stöbern in alten Erinnerungen verbracht; doch gerade Matheran will ich mir nicht entgehen lassen. Denn schließlich haben unsere Schulausflüge genau in dieses kleine Eck Indiens geführt – während in Deutschland und Österreich die Kinder auf Sportwache oder Skikurs fuhren, verbrachte ich als 10jähriger meine Zeit mit Wanderungen über ein Hochplateau, Reiten auf Pferden und dem Füttern wilder Affen. Ziel meines Ausflugs ist, diese alten Erinnerungen hochleben zu lassen. Ende des ersten Exkurses.

Schon auf der Hinfahrt merke ich, dass irgendetwas anders ist. Als ich mein Ticket für den Miniatur-Zug kaufe, stehe ich Schlange hinter einem Haufen verwöhnter College-Kids aus Bombay – allesamt schwerst pubertierend -, die mit ihren Smartphones spielen. Ich passe mich an und mache einen Foursquare-Checkin. Im Zug selbst schließlich sitzen mir zwei Pärchen gegenüber, die den Stereotypen US-amerikanischer Highschool-Filme entsprechen: Die jungen Herren Beide muskelbepackt, mit offenem Hemd; das eine Mädel ist das Urbild der Chearleaderin – hübsch, aber mit offensichtlicher Dummheit in den Augen -, die andere ist ein Mauerblümchen, das ebenfalls mit fahren darf.

Nach zwei Stunden Fahrt: Besagte Ankunft in Matheran. Mit Ziege. Ich frage mich durch das kleine Dorf und finde schließlich mit Hilfe der freundlichen Einheimischen mein Ziel, das Cecil Hotel, irgendwo in der Wildnis, umgeben von Dschungel, rotem Sand und Straßenhunden.

Nach einem raschen Mittagessen mache ich mich auf, um die Stadt zu erkunden. Meine Erkenntnis: Nichts ist gleich. Die Herberge, in der ich als Kind residiert hatte, finde ich nicht mehr; und auch keinen anderen der früher so markanten Punkte. Dafür entdecke ich etwas anderes: Geschäfte. Sehr viele Geschäfte. Und sie verkaufen zweierlei: Souvenirs – und Schuhe.

Nun möge man denken, dass Schuhe ja auf einer Hill Station stark benötigt werden. Schließlich gibt es hier nicht allzu viel zu tun, außer im eigenen Hotel gemütlich einen Tee zu trinken oder wandernd die nähere Umgebung zu erkunden; und für einen gesunden Fußmarsch benötigt der Wanderer nun mal festes Schuhwerk. Ein genauerer Blick offenbart allerdings: Denkste. Denn statt sportlicher Ausrüstung finden sich in den Läden billige Flip-Flops aus China, als Wanderwerk denkbar ungeeignet. Wie bewegt man sich also hier fort, wenn nicht wandernd per Schuhwerk?

Diese Frage wird beantwortet durch auffallend viele Pferde. Die hohe Anzahl dieser Reittiere in Matheran wird nicht etwa damit erklärt, dass männliche Exemplare dieser Gattung echte Hengste sind, sondern ist eine simple ökonomische Schlussfolgerung aus dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage: Die Teenager selbst sind nämlich zu verwöhnt und faul, um sich per pedes fort zu bewegen; stattdessen reiten sie lieber.

Das war mir anfangs noch egal – doch irgendwann drückt es auf meine Stimmung. Gerade als ich mal wieder tief durchatme, um in meinen Lungen die verpestete Luft Bombays gegen die saubere, wenn auch staubige Landluft auszuwechseln, höre ich hinter mir wieder ein hysterischen Kreischen – ein weibliches Exemplar der Gattung Homo Pubertando hat das Gefühl, den eigenen Gaul nicht unter Kontrolle zu haben; durch den entsprechenden Brunftschrei versucht sie, die Aufmerksamkeit der Männchen zu erregen. Das Paarungsritual erstreckt sich über das gesamte Hochplateau.

Ich bin genervt. Meine Entspannung ist dahin.

Wenn in Indien der Status der Frustration erst mal eingetreten ist, wird es meist bald noch ein bisschen schlimmer. Als ich also den Weg entlang trotte, den trabenden Pferden ausweichend, suhle ich mich in meiner Unzufriedenheit: „Matheran – das Mallorca Mumbais“, grummle ich vor mich hin: „Nur halt mit Pferden statt mit Alkohol.“ Wenn man den Teufel ruft: Eine Horde männlicher Exemplare kommt aus dem Gebüsch, und spielt das Ausländer-Spiel: Wo kommst Du her, wie heißt Du, ich muss auf ein Foto mit Dir. Weil Du weiß bist. Keine Widerrede. Ob ich einen Whisky trinken möchte, fragt einer am helllichten Tag. Ich lehne ab und suche das Weite.

Exkurs 2: Die Werbeindustrie arbeitet mit dem dualen Prinzip von Freunde und Schmerz. Ein Konzept, das sich im Großteil aller Werbeclips wiederfindet: Zuerst wird eine Situation des Schmerzes erzeugt- mein Gott! Dreckige Wäsche! -; um anschließend umso brillanter gelöst zu werden (Hurra! Alles sauber!“).Das klingt bescheuert, funktioniert aber tatsächlich. Indien ist in dieser Hinsicht ein gewaltiger Werbeclip: Zuerst wird das Individuum mit allen Mitteln der Kunst frustriert, bis er sich schließlich über jede Kleinigkeit umso mehr freuen kann. Ende von Exkurs 2.

Meine Erlösung will nicht kommen. Ganz im Gegenteil: Die Sonne verschwindet hinter den Hügeln, taucht den Himmel in ein blutiges Rot – und nur zehn Minuten später ist es stockfinster; ich für meinen Teil stehe mittendrin in der Dunkelheit: Auf meiner Flucht vor Pferden und Fotografen habe ich einen der Seitenwege eingeschlagen, und nun zahle ich den Preis dafür. Ich bin verloren, irre durch das schwarze Dschungelmeer; anfangs finde ich noch ein paar Einheimische auf den schmalen Wegen, die mich auf der Suche nach meiner rettenden Bleibe aber stets in die falsche Richtung schicken – Halb-Wissen kann fatale Auswirkungen haben.

Irgendwann sind selbst die Einheimischen fort; es ist kein Mensch mehr im Dschungel, mit Ausnahme eines kleinen Deutschen, der erkennt, dass er verloren ist – statt der Menschen finden sich aber andere Lebewesen im Wald: Aus den dunklen Büschen höre ich Geraschel; es sind Geräusche, die kein Gesicht haben. Ein paar Straßenhunde – jene Viecher, die sonst nur faul auf der Straße liegen – sind erwacht; jetzt jaulen und bellen sie, und sie sind ganz nah. In diesem Augenblick ist es so weit: Ich verfluche die moderne Technik. Verfluche die Smartphones und Google Maps, und Foursquare und GPS. Verfluche, dass sie mein Leben in den vergangenen Jahren so einfach gemacht haben, dass ich abhängig von ihnen wurde – so dass ich nicht mal die grundlegenden Orientierungskenntnisse mehr besitze, um ein kleines Hotel im Urwald zu finden.

Ich überlege, ob ich auf eine weit simplere, aber stets effektive Form der Kommunikation zurückgreifen soll: Laut um Hilfe rufen.

Dann: Ein Licht. Ein Licht am Ende des … Weges. Ich spurte auf die Taschenlampe zu, spreche gehetzt: Ich habe mich verlaufen; man möge mir doch bitte sagen, wie ich zu meinem Hotel komme – bei den Besitzern der Taschenlampe handelt es sich um ein älteres Ehepaar. Sie sind sehr freundlich; und ihr Hotel ist gleich in der Nähe des meinigen, noch ein wenig weiter in der Wildnis.

Gerettet. Und glücklich. Der alte Werbe-Schmäh hat also mal wieder gewirkt, denke ich mir, als ich mit dem Hotel-Inhaber beim Abendessen sitze. Er ist ein alter Mann, um die 70 Jahre alt; sein weißer Schnurrbart drückt eine verschmitzte Ernsthaftigkeit aus, seine verbleibenden Haare hinter den stark ausgeprägten Geheimratsecken sind nach hinten gekämmt und vermitteln Seniorität. „Ja, die Pferde. Es sind tatsächlich mehr als vor 20 Jahren“, sagt er, und schaut mir tief in die Augen: Früher, da habe Matheran doch gute Rennpferde exportiert, heute sei das nur noch Mist. Und eine Lizenz zum Pferdevermieten bekomme heute Jeder, mit Bestechung der Polizei sei das kein Problem. Wir sitzen uns kurz schweigend gegenüber – ohne ein Wort zu sprechen sind wir uns einig, dass früher alles besser war.

Dann sprechen wir über andere Dinge. Etwa darüber, dass dieses Gasthaus mitten im Dschungel über 100 Jahre alt ist. Und das Restaurant des Anwesens, das sich in der Mitte zwischen den Wohnhäusern der Gäste befindet, war früher das Kino von Matheran – heute bröckelt der Putz von den Wänden, die Eingangstür ist flankiert von illuminierten hinduistischen Göttern; ich bin der einzige Gast, und es hallt gespenstisch, wenn ich kauend mein Mahl zu mir nehme.

Er fragt mich auch, was ich so beruflich mache. „Journalist“, sage ich: „Und außerdem schreibe ich Geschichten – über Indien, über diese Reise, und wie sich die indische Gesellschaft verändert. Wie chaotisch alles ist, und am Ende doch irgendwie einen Sinn macht.“ Wieder starrt er mich mit seinem durchdringenden Blick an, sein weißen Schnurrbart ruht über den dünnen Lippen: „Das Leben“, sagt der 70jährige: „ist ein Lernprozess – egal, wie alt man ist.“

Die Weisheit eines alten indischen Mannes, der auf einem Berg im Dschungel sitzt. Nicht wirklich spezifisch, sondern irgendwie allgemeingültig – und zu meiner Situation könnte es wohl nicht besser passen: Stimmt; ich habe hier nicht das gefunden, wonach ich gesucht habe, denke ich mir: Stattdessen habe ich auf meiner Reise durch dieses Land eine weitere Erfahrung gesammelt. Und diese ist Teil eines gewaltigen Lernprozesses.

 

Dieser Beitrag ist Teil des E-Books „Indien 2.0 – Twittern im Tuk-Tuk“, das aktuell bei Amazon erhältlich ist.

Probelesen: „Bye bye, Neo-Imperialismus!“

Seit dem Jahr 2002 mache ich einen großen Bogen um die Fastfood-Kette Mc Donald’s. Gründe dafür gab es viele: Erstens hat mich eine befreundete Vegetarierin davon abgehalten, zweitens erkannte ich, dass Fastfood ungesund ist, drittens schmeckte es mir nicht mehr und viertens – das ist wohl das wichtigste – sagt mir die Politik US-amerikanischer Fastfood-Ketten nicht zu, bei der mit Hilfe unterschwelliger Werbung Kunden zum Verneinen ihrer lokalen gastronomischen Kultur verführt werden. Ich gehe auch lieber in ein verrauchtes Wiener Kaffeehaus mit grantigem Kellner und teurem Kaffee statt ins supersterile Starbucks-Marketingparadies.

Dennoch: Gestern war ich mal wieder bei Mc Donalds. In Bombay. Schuld daran war alles und jeder.

Man nehme: Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit, eine der schwülsten Klimazonen unseres Planeten. Und mittendrin wir, wie wir versuchen, den Bahnhof zu erreichen – in einem Taxi, mit schweren Koffern, inmitten lauten, stinkenden Straßenverkehrs. Lärm und Blink-Blink; überall. Stau, Stau, nochmals Stau. Schließlich erreichen wir den Bahnhof. Blick auf die Anzeigetafel: Kein Gleis für unseren Zug angeschrieben. Es ist circa 21 Uhr, um 22 Uhr soll unser Zug gehen. Die Anzeigetafel zeigt aber 7 Uhr morgens als Abfahrtszeit.

Eintritt also in die Wartehalle, wo viele Menschen warten. Liegend, auf dem Boden, und auch aufeinander. Durchkämpfen mit schweren Koffern, angerempelt werden. Nachfragen am Ticket-Schalter, ob die Angabe stimmt: Ja, tut sie; der Zug hat neun Stunden Verspätung.

Also diverse Hotels in der Nähe durch telefonieren. Bei manchen ist das Fax als Telefonnummer hinterlegt, andere verlangen horrende Preise. Schließlich komme ich beim „Galaxy Avenue“ durch und sage, wir seien in 20 Minuten dort.

Der Rikschafahrer will 150 Rupien für eine fünfminütige Fahrt. Mit Mühe bringen wir ihn auf 50 Rupien runter. Er fährt uns ins „Galaxy Avenue“ und kommt mit rein. Bleibt beim Rezeptionisten stehen und schaut uns beim Einchecken zu, weil es gerade lustig ist. Zwei Hotelboys schauen ebenfalls. Zu sechst stehen wir auf geschätzt vier Quadratmetern.

Ring ring. Mein Handy läutet.
Stimme: „Hallo, hier spricht das Galaxy Hotel. Wann kommen sie?“
Ich: „Wir stehen in Ihrer Lobby.“
Er: „Ah.“
Klick. Er hat aufgelegt. Okay.

Inzwischen will der Rezeptionist unsere Pässe haben. Wir sagen, dass sie in unseren Koffern sind und wir sie aus dem Zimmer holen müssen. Das dauere zwei Minuten. Der Rezeptionist wird nervös, willigt aber ein.

Auf dem Zimmer: Kein Luxus, aber wenigstens auch keine Kakerlaken. Wir öffnen die Koffer, um die Pässe heraus zu holen. Der Hotel-Boy klopft an die Tür – was jetzt mit den Pässen sei? Ja, gleich.

Unten geben wir unsere Pässe ab. Der Rezeptionist zeigt meinen Pass dem Rikschafahrer, sagt meinen Namen und lacht dreckig. Dann starrt er die Pässe noch weitere zehn Minuten an.

Indes: Ring-Ring.
Ich: „Hallo?“
Stimme: „Hier das Galaxy Hotel. Wann kommen Sie endlich?“
Ich: „Wir sind längst da. Ihr Rezeptionist betrachtet gerade unsere Pässe.“
Stimme: „Nein, sind Sie nicht“
Ich: „Wir sind im Galaxy Avenue.“
Stimme: „Nicht das Galaxy Palace?“
Ich: „Nein.“
Stimme: „Ah“
Klick.

Plötzlich kriege ich einen Gusto auf Schnitzel. Und auch: Lust auf einen weißen Spritzer, einen grantigen Ober, auf Schwarzbrot-Toast mit Kürbiskernen im MQ, auf laue Sommerabende auf dem Balkon eines Hauses am Stadtrand Wiens. Auch bekannt als: Kulturschock. Heimweh.

Auf der Suche nach etwas Essbarem gehen wir somit die Straße entlang, während Autos hupend an uns vorbei rauschen, die Luft noch immer schwül ist, es so seltsam riecht, wie nur Bombay riechen kann. Und dann sehen wir es: Das Mc Donald’s.

Kurzes Zögern, dann doch rein gehen. Auf’s WC, wo mich ein Mitarbeiter fragt, aus welchem Land ich komme. „Thailand“, sage ich, und bestelle einen Burger. Mit Huhn, Rind gibt es nicht. Wolfie nimmt Chicken Mc Nuggets, und wir essen. Es ist klimatisiert, die Werbung ist westlich. Kein Andrang, keine Hektik, bloß ein paar Mittelklasse-Familien und der Mitarbeiter, der mich für einen Thailänder hält.

Als wir das Etablissement verlassen, sehe ich eine Mutter mit Baby, welches begeistert eine lebensgroße Statue des McDonald’s-Clowns anfasst. Und dann hat es Klick gemacht in meinem Kopf.

Dann habe ich gemerkt, dass Indien stärker ist. Dass sich der alte Stefan wohl aufgeregt hätte über den „Neo-Imperialismus“, und über die manipulativen Marketing-Methoden, mit denen selbst Kleinkinder schon zu potentiellen Kunden erzogen werden. Nach dem Klick meinem Kopf dachte ich hingegen einfach nur: Scheiß drauf. Indien, dieses Land mit seinen Menschen, seinem Klima, seinem Chaos wird wohl niemals zu Füßen eines US-amerikanischen Konzerns kriechen, nur weil dieser ein paar Clowns aufstellt. Indien ist einfach größer, stärker, ist unbezwingbar in seiner chaotischen Art.

Das fühlt sich dann wieder gut an. Wir gehen noch zum Alkohol-Shop und kaufen uns Dosenbier, dazu eine Packung Beedies. Das konsumieren wir vor unserem Hotel, während uns ein Straßenköter anstarrt. Irgendwie ein beruhigendes Gefühl, dass Chaos die lokale Wirtschaft erhält.

Und übrigens: Der Burger hat beschissen geschmeckt.

Dieser Beitrag ist Teil des E-Books „Indien 2.0 – Twittern im Tuk-Tuk“, das aktuell bei Amazon erhältlich ist.