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Indien

Pune: Beim Sex-Guru

Auch Osho, der berühmte Sex-Guru, hat in Pune seine Zelte aufgeschlagen. Oder, naja, „Zelte“ ist vielleicht das falsche Wort. Sagen wir lieber: Sein Ressort. Denn zwar wurde mir der Eintritt in den Sex-Ashram verwehrt, von außen konnte ich aber durchaus wahrnehmen, dass man hier deutlich luxuriöser lebt als in anderen Heiligen Stätten: Hier scheint es recht moderne Häuser zu geben, verschiedene Quellen sprechen auch von Spas und Massagen. Dementsprechend scheinen die Menschen, die beim stark bewachten Haupteingang des Geländes ein- und ausgehen sehr glücklich, entspannt und ausgeglichen zu sein – doch das kann freilich auch andere Gründe haben als die vermeintliche spirituelle Erleuchtung.

Pune: Gandhis Asche

Abseits von inkompetenten Hotel-Angestellten, schmierigen Bars und Rikscha-Fahrern, die jeden Ausländer mit einer Pauschale über den Tisch ziehen wollen – hat Pune etwas zu bieten? Am Sonntag nach der Konferenzen fahren der Wolf und seine Wolfsfrau wieder heim, meine Wenigkeit hingegen möchte ein wenig den Touristen heraushängen lassen. Also empfiehlt sich ein Blick in die allmächtige Schrift des Lonely Planet; und siehe da: Empfohlen wird ein Palast, der ein kleines Museum zu Ehren Mahatma Gandhis enthalten soll. Gandhi? Gute Idee.

Der Palast ist nicht wirklich ein Palast. Mehr so etwas wie ein großes Haus. Aber sehr schön. Und drum herum gibt es Gärten, in denen man lustwandeln kann; hinter einem Schild mit der Aufschrift „Betreten verboten“ spielen ein paar Schulkinder unter Aufsicht ihrer Lehrerin, ein Pärchen hält Händchen.

Das Museum selbst enthält ein paar Artefakte aus dem Leben Gandhis, Gemälde zu seinen Ehren und Erklärungen zum Palast: Hier hat er in Gefangenschaft gelebt und seine Frau ist an diesem Ort gestorben. Ein Teil von Gandhis Asche, dies wird in einem Nebensatz erwähnt, wurde dem Museum gespendet und befindet sich nun im Hinterhof.

Und tatsächlich: Wer bis zum hinteren Teil des Geländes spaziert, am Wachmann vorbei, durch eine unscheinbare Gasse hindurch, der steht vor dem Gründer der Nation: Mahatma Gandhi. Zumindest vor seiner Asche. An dem Ort, an dem seine Überreste im Hinterhof vergraben wurden, steht ein Denkmal aus weißem Marmor. Es ist nicht mal zwei Meter hoch; und eine simple Tafel verkündet, was hier begraben liegt. Es ist totenstill hier, die Sonne scheint. Keine Touristen, kein Hupen, keine Abzocker und keine Straßenköter – nur Gandhi und ich, in trauter Zweisamkeit.

Indien ist ein lautes, grelles, buntes, permanent nach Aufmerksamkeit kreischendes Land. Gerade die Schlichtheit dieser letzten Ruhestätte des Gründers der Nation macht den Ort so berührend.

Pune: Alles nicht so einfach

TED-Konferenzen sind unter Wissensarbeitern eine heiße Sache. Unter dem Motto „Ideas worth spreading“ treten hier Menschen auf, die in ihrem Leben etwas Besonderes bewirkt haben und durch ihre Vorträge andere Menschen motivieren wollen – in den USA treten etwa Größen wie Bill Clinton auf; und als eine Besonderheit dieser Konferenzen ist die Redezeit streng limitiert, und alle Präsentationen werden nach dem Event online der Welt zur Verfügung gestellt. Das Konzept ist patentiert; doch Jeder und Jede kann in der eigenen Stadt eine Konferenz dieser Art veranstalten – Indie-TEDs bezeichnet man dann ganz cool als „TEDx“; und eine solche TEDx fand in Pune statt, wo es folglich den Wolf und mich für ein Wochenende hin zog.

Doch eigentlich will ich gar nicht über die Konferenz schreiben. Sondern über den anschließenden Check-In im Hotel.

Wie bereits an anderer Stelle beschrieben (und ein bisschen ist das ja auch der thematische Inhalt dieses Werks), ist Indien eine digitale Nation. Man kann Hotels bequem über das Web mit Seiten wie Cleartrip, Makemytrip oder Stayzilla buchen – schade nur, dass das de Hotel-Angestellten manchmal nicht wissen.

„Sie brauchen einen Ausdruck ihrer digitalen Buchung“, sagt der Mann hinter der Rezeption. Den haben wir nicht dabei, denn wir sind im Jahrhundert des papierlosen Büros angekommen. „Haben Sie die Buchung nicht in ihrem System vermerkt?“, fragt der Wolf. Nein, hat er nicht. Warum auch? „Sie müssen immer ein Ausdruck ihrer Buchung dabei haben; das sind die Regeln, wenn Sie bei Cleartrip buchen“, sagt der Hotelangestellte. Was Cleartrip mit solchen Ratschlägen sagen möchte, ist: Nehmen Sie vorsichtshalber einen Ausdruck mit; denn es könnte sein, dass Ihr Gegenüber ein Idiot ist – und dieser Mensch beharrt vehement darauf, ein Idiot zu sein. „Hinter Ihnen steht ein Drucker“, sage ich: „Können Sie die Bestätigung nicht ausdrucken?“ Wir schicken die Buchungsbestätigung von unsren Smartphones an seine Emailadresse und er druckt sie aus. Erledigt.

„Diese Medienbrüche in Indien sind faszinierend“, sagt der Wolf: Buchungen vom Sofa über das Web treffen auf Hotels, die noch nicht mal einen Computer besitzen. Nach meinem Aufenthalt in Matheran war auch der Wolf für ein Wochenende dorthin gefahren: Die Buchung war problemlos über das Web gegangen; das Hotel verlangte allerdings eine Vorab-Zahlung, ohne Zugriff auf ein entsprechendes Payment-System zu haben – folglich wurde kurzerhand ein Mitarbeiter von Matheran zur Wohnung des Wolfs in Bombay geschickt, um das Geld abzuholen. Menschen sind in Indien weit billiger als Maschinen.

Als nächsten Schritt sollen wir unsere Pässe vorweisen. Als brave Ausländer haben wir unsere freilich dabei – doch die Begleitung des Wolfs, eine indische Staatsangehörige, hat ihren zuhause gelassen. Warum sollen sich Inder im eigenen Land registrieren? „Sie sind mit den Ausländer gemeinsam unterwegs“, erklärt der Angestellte. „Und wenn wir eigentlich gar nicht gemeinsam reisen, sondern nur zufällig gleichzeitig einchecken?“, schlagen wir hilfreich vor. Nein, keine Chance: Wir sind gemeinsam zur Tür hinein bekommen, somit fällt sie unter die Registrierungspflicht.

Geistesblitz der Wolfsfrau: Sie hat eine Kopie des Passes auf dem Smartphone gespeichert – diese könnte sie per Mail an ihn schicken, und er könne es ausdrucken. Der freundliche Idiot: „Nein, das geht auch nicht. Ich brauche eine Kopie auf Papier. Wenn ich eine digitale Kopie ausdrucke, gilt das nicht.“ Der Wolf greift zur letzten Waffe des indischen hierarchischen Bürokrate-Wahnsinnns: Nach dem Vorgesetzten fragen. Dieser wird angerufen und erklärt freundlich, die Wolfsfrau solle die Passkopie per Mail an ihn schicken – er drucke sie dann aus. Auch dieses Problem gelöst.

Mein Visum ist ungültig. Sagt der freundliche Idiot zumindest. „Das liegt daran, dass sie auf der falschen Seite nachgesehen haben“, kläre ich ihn auf: „Das gültige Visum befindet sich auf der nächsten Seite.“

Der Prozess hat eine Stunde gedauert. Und da wir noch nichts zwischen den Rippen haben, wandern der Wolf, die Wolfsfrau und ich durch die Straßen. Ein Lokal sieht recht vielversprechend aus – allerdings erklärt man uns am Eingang, dass Familien nicht erlaubt seien. „Wir sind keine Familie“, erläutern wir: „Bloß Freunde.“ Nein, trotzdem nicht, erklärt der Türsteher mit Blick auf die Wolfsfrau. Ich spicke ins Lokal und entdecke ausschließlich Männer – die Stripperinnen, die man in einem solchen Etablissement aber erwarten würde, sind nicht zu sehen. Wir gehen weiter.

Man schickt uns in verschiedene Richtungen, als wir nach dem Weg fragen – was in Indien keine Besonderheit; das Eingestehen von Unwissen ist heiliges Tabu. Schließlich erreichen wir doch einen Ort, der um 11 Uhr abends noch offen hat; zumindest halbwegs: Wer um den Vordereingang einen großen Bogen macht, gelangt an eine schmierige Metalltür, vor der ein Türsteher steht. Dieser blickt und in die Augen, um sicherzugehen, dass wir keine polizeiliche Sperrstunden-Kontrolle sind; hinter der Tür, die sich quietschend öffnet, steht dann ein Nordinder mit Wollmütze der chinesischen Armee. Er begrüßt uns mit der Parodie eines Lächelns und führt uns in den ersten Stock, wo wir bei Kerzenschein und Flüsterton essen und ein Bier trinken. Am nächsten Tisch sitzt ein Mittelklasse-Inder, vor ihm steht auf dem Tisch ein Eimer mit einer Flasche Vodka drin; er selbst lallt und kann sich kaum auf der Sitzbank halten. Dann dreht er sich zur Seite und reiert aus vollem Hals.

Pune. Sonderlich positiv war mein Ersteindruck von dieser Business-Metropole nicht.

Call-Center: Bitte zuhause bleiben

Anruf bei Air India.

Ich: „Guten Nachmittag. Ich habe einen Flug von Mumbai nach Wien am 30.3. und würde ihn gerne auf den 14.3. umbuchen.“

Freundliche Stimme am andere Ende der Leitung: „Sir, bitte sagen Sie mir Ihre Buchungsnummer.“

Ich: „Selbstverständlich. Sie lautet ABCDEF.“

Freundliche Stimme: „Sir, bitte sagen Sie mir Ihre Buchungsnummer.“

Ich: „Achso, das ist anscheinend die falsche. Warten Sie, da steht noch eine Rechnungsnummer: 9A-LMIADBCC666.“

Stimme: „Sir, bitte sagen Sie mir Ihre Buchungsnummer.“

„Wissen Sie, das ist anscheinend etwas komplizierter… Ich habe das Ticket über ein deutsches Reisebüro gebucht, der Flug ist auf Sie registriert und wird von Austrian Airlines durchgeführt.“

„Sir, bitte sagen Sie mir Ihre Buchungsnummer.“

„Ja, ähem… wie gelange ich denn an diese? Offensichtlich sind die Daten auf meinem deutschen e-Ticket nur in Europa gültig. Was muss ich tun?“

„Sie, bitte sagen Sie mir Ihre Buchungsnummer.“

Das Gespräch hat an Dynamik verloren. Ich lege auf.

Situationen wie diese sind kein Einzelfall. Als auf der Website cleartrip.com – eine Art indisches Tripadvisor – drei Mal in Folge die Buchung einer Zugfahrt scheiterte, rief ich im Call Center an. Dort versichert man mir wiederholt, ich solle mir keine Sorgen machen: Meine Kreditkarte sei mit dem Preis von umgerechnet drei Euro nicht belastet worden. „Das ist mir relativ egal“, sage ich: Mir ist wichtiger, dass ich meine Zugfahrt buchen kann. „Keine Sorge“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung: „Ihre Kreditkarte ist nicht belastet worden.“

Auch das Zahlungssystem der Website redbus.in – hier kann man klimatisierte Busse durch ganz Indien buchen – versagt nicht selten. Nachdem meine Kreditkarte drei Mal abgewiesen wurde, versuche ich mein Glück im Call Center: Dort bittet man mich wiederholt, den Buchungsprozss nochmals auszuprobieren, erfragt meine Telefonnummer und meinen Namen. Als ich mich wenige Minuten später ein Mitarbeiter zurück ruft und mir anbietet, mich „durch den Buchungsprozess zu leiten“, bin ich schon längst zum Konkurrenten makemytrip.com gewechselt, bei dem die Buchung problemlos funktioniert.

Was ist in den drei Fällen passiert? Simpel auf den Punkt gebracht: Kastensystem. Im Rahmen der hinduistischen „Bhagavad Gita“ erklärt der Gott Krishna einem Krieger, der nicht kämpfen will, das Konzept des „Dharma“: Jeder Mensch, so die Aussage, hat in seinem Leben eine Aufgabe für die Gesellschaft zu erfüllen, und an diese muss er sich halten. Für den Krieger bedeutet das, dass er töten muss; der Priester arbeitet im Tempel – und der Call Center-Mitarbeiter muss nach einem Schema F arbeiten, bei dem er dem Kunden Fragen stellt, die mit der eigentlichen Problemstellung nichts zu tun haben.

Problemlösungskompetenz ist hier nicht gefragt. Und das frustriert Kunden – nicht nur mich, sondern vermutlich alle westlichen Klienten, die bei dem Unternehmen Ihres Vertrauens anrufen und nicht jene Hilfe erhalten, die sie sich eigentlich erwarten.

Unternehmen sollten sich folglich zwei Mal überlegen, ob sie ihr Call Center nach Fernost auslagern wollen. Klar, Kosten können hier gespart werden – doch ein solcher interkultureller Clash vergrault Frau Kunze aus Buxtehude, die absolut keine Lust hat, sich mit Dharma und Karma zu beschäftigen. Dann geht sie zur Konkurrenz; und die Einsparungen für Personal gehen auf Kosten des Umsatzes.

Allein deswegen sollten Call Center westlicher Unternehmen auch im Westen bleiben – mal abgesehen davon, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland ein paar schöne Zeilen im nächsten CSR-Bericht hermacht.

Indischer Mittelklasse-Alltag

Der Wolf ist zu Besuch. Gemeinsam nehmen wir eine Rikscha vom Hub zum Bahnhof in Khar, futtern noch etwas in meinem Lieblings-Straßenlokal. Dann spazieren wir los: Vorbei am Sikh-Tempel, wo die bärtigen Männer mit den Turbanen sitzen, vorbei am vermeintlichen Strip-Club, vorbei am Bambusstab-Tuch-Gestell, in dem die Männer Karambol spielen – „Das ist wirklich eine schräge Gegend“, sagt der Wolf; und ich entgegne: „Wir sind zuhause.“

Wir sitzen in meinem Wohnzimmer auf den gemütlichen Sofas und trinken Löskaffee. „Wie hast Du den Feiertag verbracht?“, fragt mich der Wolf.

Am Feiertag vergangene Woche hatte ich versucht, etwas zu unternehmen. Ich war in die Hanging Gardens im Süden der Stadt gefahren und dort ein wenig spaziert. Dann war ich am Chowpatty Beach gewesen und habe dort die Menschen beobachtet, wie sie Fahnen schwenken im Sonnenuntergang.

„Und dann bin ich zurück gefahren in meine Wohnung“, sage ich dem Wolf: „Dort habe ich mich auf das Sofa gelümmelt, den Fernseher eingeschaltet und mich den ganzen Tag durch die Kanäle geschaltet – es lief nur Schrott, aber ich habe mir dann einfach irgendeinen komischen Bollywood-Film angeschaut, um meine Freizeit tot zu schlagen.“ Der Wolf steht auf und umarmt mich: „Ich bin stolz auf Dich“, flüstert er: „Nun bist Du ein echter Mittelklasse-Inder geworden.“ Abendliches Fernsehen ist in Indien unabdingbare Mittelklasse-Alltagskultur.

Abhängen mit den Jungs

Im Hub gibt es so einen netten Kerl; er hat circa meine schmächtige Statur, trägt meistens T-Shirts mit lustigen Sprüchen drauf und hat einen gewaltigen Schnauzer. Wenn ich nicht gerade in einem Seminar hänge oder mit der Pizza-Frau über Hinduismus philosophiere, witzle ich mit ihm. Irgendwann verlassen wir mal wieder nach einem langen Arbeitstag das Büro; und da die Autorikschas wieder knapp sind, beschließen wir, uns eine zu teilen – eine Gelegenheit, bei der wir feststellen, dass wir eigentlich Beide in Khar leben, in der Nähe des kleinen Bahnhofs. „Heute Nacht gehe ich ohnehin mit meinen Freunden aus“, sagt er: „Wäre schön, wenn Du mit kommst.“ Ich freue mich.

Freilich hat er an besagtem Abend nicht angerufen. Dafür aber am nächsten. Und so eile ich in meiner Kurta zum „WTF?!“, einem der hippen Lokale, in denen sich die indischen Mittelklasse-Bobos Bier um 500 Rupien pro Flasche in die Birne kippen. Der nette Kerl stellt mir seine Freunde vor, mit denen er vor dem Lokal wartet – wir gehen nicht hinein, sondern bewegen uns Richtung Bahnhof.

Um 70 Rupien pro Flasche haben die Jungs große Exemplare von „Kingfisher Strong“ gekauft, und damit gehen wir auf das Bahnhofsgebäude zu. Gemeinsam spazieren wir dann an ein paar Wellblechhütten vorbei und befinden uns kurz darauf auf den Gleisen. Diese gehen wir entlang, während ich mich immer wieder nervös umschaue, ob hinter uns nicht ein Zug sich nähert – bis wir einen Ort finden, der den Jungs gefällt.

Dort sitzen wir dann – an einem Krater, der den angrenzenden Hütten als Müllhalde dient. Wir lassen unsere Füße Richtung Abgrund baumeln, von wo wir recht oft ein lautes Quieken vernehmen: Die Ratten sind aktiv; und die Schatten, die über das entsorgte Plastik huschen, sind gewaltig. Hinter uns, da rattert indes immer wieder ein Zug vorbei. Die Waggons sind erleuchtet, und Menschen hängen aus den Türen hinaus; sie beobachten uns beim Vorbeifahren, wie wir so da sitzen bei den Ratten und gemeinsam Kingfisher-Bier trinken.

Der nette Kerl aus dem Hub wohnt gleich in der Nähe. „Dort drüben ist die Hindu-Kolonie, ein paar hundert Meter weiter leben die Christen“, erklärt er: „Und auf der anderen Seite, da leben die Moslems.“ Lebhafte Erinnerungen werden wach – von den Ayodya-Unruhen Anfang der 90er-Jahre, als es im ganzen Land auf offener Straße zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Hindus und Moslems kam. „Damals standen die Moslem-Kinder auf den Gleisen und haben mit Steinen auf unsere Häuser geworfen“, erinnert er sich. Wir schweigen.

Sein Freund holt das Handy raus und macht Musik. Das ändert die Stimmung radikal. Er singt mit, jemand anders möchte gerne etwas fetzigeres hören – das Problem ist, dass der Freund soeben von seiner Freundin verlassen wurde und Liebeskummer hat; entsprechend wird seine Playlist aktuell von Schnulzen dominiert. Dem netten Kerl aus dem Hub, der eigentlich einen fetzigen Hindi-Pop hören wollte, hält er sein Handy ans Ohr und beschallt ihn mit Enique Inglesias‘ „Hero“ – ich denke mir, dass ich gegen steuern muss und spiele das Musik-Spiel mit: Meinen iPod fingere ich aus der Tasche und wähle „Bridges Burning“ von den Foo Figthers aus. Das Gerät halte ich an das Ohr des netten Kerls, der folglich von einer Seite mit Enriques weinerlicher Stimme beschallt wird, auf der anderen mit den röhrenden E-Gitarren der Foo Fighters. Er hält sich die Ohren zu, kichert, kippt zurück – schon bald liegen wir nebeneinander lachend neben den Bahngleisen.

Als wir aufbrechen, urinieren meine neuen Freunde noch rasch auf den Platz, an dem wir zuvor noch gemütlich gelegen sind. „Die haben wirklich keine Manieren“, grinst der nette Kerl aus dem Hub. Als der Mann mit dem gebrochenen Herz wieder zu uns stößt klopfen wir ihm auf die Schulter und muntern ihn auf: „Wird schon werden“, ist die erste Plattitüde, die mir einfällt, gleich gefolgt von: „Es gibt genügend andere Frauen in dieser Stadt.“

Dann gehen wir noch zu dem indischen Äquivalent dessen, was man in Deutschland als „Pommesbude“ bezeichnet, in Wien als „Würstlstand“: Ein Straßenlokal, in dem die Autorikscha-Fahrer noch rasch die letzte Mahlzeit zu sich nehmen, bevor sie heimfahren. Wir bestellen eine Suppe; und es ist das schärfste, was ich bisher in Indien gegessen habe. Die Jungs zahlen die Rechnung, und wir gehen alle heim.

Als ich dann zuhause mit schwerem Kopf in meinem Bett liege, denke ich mir: Das ist eigentlich nicht anders als bei mir zuhause in Wien. Auch wir würden uns Bier kaufen, vielleicht ein wenig Musik mitnehmen und uns dann auf einer Wiese sitzend bis spät in die Nacht unterhalten. In Bombay gibt es halt nicht viele Wiesen, und daher müssen die mit Ratten verseuchten Bahngleise herhalten – aber generell, wirklich, ist das Prinzip der Abendgestaltung das gleiche. Khar wird mehr und mehr ein neues Zuhause für mich.