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bombay

Ein Moment: Familienausflug

Ich verstehe meinen Rikscha-Fahrer nicht; denn er kaut auf Kautabak, während er das Gefährt durch den wildem Straßenverkehr Bombays navigiert. Dazwischen lehnt er sich immer wieder zur Seite und spuckt auf die Straße, während die anderen Fahrzeuge vorbei ziehen: Schlechte, alte Autos heutzutage weit weniger als die so beliebten deutschen Luxus-Limousinen; dazu andere Rikschas, und natürlich Motorräder – neben mir erblicke ich also das Bild eines romantischen indischen Familienausflugs: Vater sitzt fest im Sattel, mit einem Helm auf dem Kopf, hinter ihm die Ehefrau, zwischen den Beiden ein Kind. Vor dem Vater sitzen zusätzlich zwei weitere Kinder – fünf Fahrgäste an der Zahl also auf einem einzigen Moped, und nur der Fahrer trägt einen Helm. „Naja“, denke ich mir: „Wenigstens trägt die Mutter ein Kopftuch.“

Die Fahrgemeinschaft verschwindet im wilden Verkehr aus meinem Blickfeld; ein paar Minuten später tauchen sie auf, sind aber nur noch zu viert. Was wohl aus dem fehlenden Fahrgast geworden ist? Besser nicht drüber nachdenken, denke ich mir. Der Fahrer spuckt erneut aus.

Indische Messen sind anders

Besuch einer indischen Messe, in Bombay. Messen bin ich gewohnt, sie sind Teil meines täglich Broterhaltens; indische Messen aber – so musste ich erfahren – sind anders als erwartet: Nicht ganz so indisch, wie sie sein könnten, aber auch irgendwie nicht ganz westlich. Das beginnt bereits mit dem Trennungspostulat: Während etwa auf dem Messegelände Hannover, auf dem alljährlich mit der Cebit eine der größten IT-Messen der Welt abgehalten wird, das Tagungszentrum von den Hallen nahezu umschlossen wird, sind in Indien die Messe und die parallel dazu laufende Tagung strikt getrennt: Erstere findet im „Bombay Exhibition Centre“ – quasi dem Messezentrum – statt, zweitere im teuren, aber feinen Leela Kempinsky Hotel.

Zuerst begebe ich mich auf die Tagung, um mein Wissen über Solarenergie – das Thema der Veranstaltung – aufzufrischen. Hier ist alles wie gehabt: Dunkler Raum mit halb-komatösen Managern werden mit Hilfe langweiliger PowerPoint-Präsentationen von viertel-motivierten Vortragenden in den Schlaf geredet; dazwischen gibt es Kaffee und außerdem ein Mittagessen – also eigentlich also so wie Zuhause. In der Mittagspause erfrage ich, wie ich denn zum Messezetrum komme und  erfahre, dass ein Shuttle-Bus fährt. Ich freue mich, und gehe an Bord – und bin recht einsam in diesem Groß-Bus, der sonst wohl für landesweite Nachtfahrten verwendet wird. Später steigen zwei weitere Fahrgäste zu – und so verballern wir zu dritt eine große Ladung CO2 auf dem Weg zur Messe, während wir uns zuvor über Umweltschutz mit Hilfe Erneuerbarer Energien informiert haben.

Einmal angekommen, schaut die Messe ebenfalls normal aus – auf den ersten Blick zumindest. Das sage ich dann auch den ersten Österreichern, deren Stand ich besuche, die daraufhin allerdings grinsend entgegnen: „Nach oben schauen darf man aber nicht“. Ich tue es trotzdem – und erblicke den Dämmschutz, ohne Verkleidung, dafür aber mit etlichen Spinnweben. Am anderen Ende der Halle, so stelle ich später fest, schläft ein Arbeiter in der Ecke; die Dekoration etlicher Stände ist gegen Ende des ersten Messetages noch nicht ausgepackt, Müll stapelt sich hinter den Verkleidungen, etliche Standbesitzer haben noch keine Flyer. Ein Messestand ist gänzlich unbewohnbar, weil der Trägerpfahl für die Hallendecke durch seine Mitte verläuft.

Der Bewohner eines österreichischen Stands schließlich hat den Schwarzen Peter gezogen: Er befindet sich unter einer undichten Leitung, und das Wasser tropft direkt auf seine Ausstellungsgeräte. „Zum Glück sind das Geräte für den Freiluftgebrauch“, sagt er lächelnd. Sie sind also wasserdicht; und daher ist es wurscht, dass sie die ganze Zeit angeregnet werden. Ganz im Gegenteil: Als ein vorbeigehender Inder fast im See neben dem Stand ausrutscht, deutet der Österreicher auf seine Geräte, sagt stolz „Wasserdicht!“ und kommt mit einem potentiellen Kunden ins Gespräch.

So hat er die Situation also ins Gute verkehrt – eine Improvisationskunst, die man nur bewundern kann, und die für Westeuropäer sehr ungewöhnlich ist: Die schlimmste Kombination, so sagte mir eine Kollegin am Vortag, ist die aus einem deutschen und einem indischen Manager: Der Deutsche plant gerne und rastet dann aus, wenn in letzter Minute noch ein Problem auftritt, es mangelt ihm an Improvisationstalet; der Inder hingegen lässt monatelang die Seele baumeln und improvisiert in letzter Minute, um das Projekt doch noch gelingen zu lassen – das sieht dann nicht immer schön aus, aber es funktioniert.

Entsprechend wird wohl auch die Messe am Ende ein Erfolg sein, denke ich mir beim Verlassen der Halle. Es werden in letzter Minute alle Flyer auftauchen, alle Deko-Gegenstände ausgepackt und alle Kunden überzeugt werden – die Inder kriegen das schon irgendwie hin. Mit dieser Erkenntnis nehme ich mir eine Rikscha zu meinem nächsten Termin, während bei strahlendem Sonnenschein ein Straßenköter genüsslich vor das Messegelände kackt.

Ein Moment: Indische Straßenhunde

Mein Weg in die Arbeit ist inzwischen sehr routiniert: Einmal über die Straße, dann über die Kreuzung, nach rechts, links, wieder rechts schauen und die Kopfbewegung während des Gehens stetig wiederholen – kann ja doch sein, dass mal wieder jemand gegen die Fahrtrichtung fährt. Dann Zeitung kaufen, während des Gehens bereits die ersten Mails auf dem Handy lesen, Papaya als Vormittags-Snack beim Papaya-Mann kaufen. Und: Straßenhunden ausweichen.

Heute gesehen: Zwei Exemplare paaren sich vor einem Straßenstand, an dem Essen verkauft wird. Sie wirken nicht so, als würde es ihnen Spaß machen – eher so, als sei das die erste echte körperliche Anstrengung in ihrem Leben. Ein paar Meter weiter sitzen andere Hunde auf der Straße und schauen dem Treiben stoisch zu. Sie sind teilnahmslos, emotional vollkommen unberührt. Die Rikschas, die sich den Weg durch den Verkehr Bombays bahnen, müssen ihnen ausweichen. Der Hund regiert die Straße. Wieder ein paar Meter weiter schläft ein Viech unter einem LKW.

Indien ist ein Hindu-Land, ein vegetarisches Land, ein tierfreundliches Land. Daran würde auch ein sportliches Großereignis nichts ändern. Man ko-existiert. Eigentlich nett – in dem Laden mit dem koitierenden Kötern würde ich aber trotzdem nicht mein Frühstück kaufen.

Drei Schals und eine Öllampe

Als ich am Samstag morgens aus meinem Schlaf erwachte, befanden sich in meinem Zimmer eine blaue Öllampe und drei Schals – das ist recht ungewöhnlich angesichts der Tatsache, dass ich in Bombay lebe und man bei 35 Grad im Schatten recht selten einen Schal braucht. Wie kam es also dazu?

Die Geschichte beginnt – so wie viele Geschichten, die in und um Bombay herum stattfinden – im Cafe Leopold, Downtown. Da ich später noch ein paar Termine im Stadtzentrum hatte, wollte ich mir hier ein Mittagessen genehmigen. Auf der Speisekarte finde ich den reizvollen Eintrag „Beef Burger“… Rindfleisch? In Indien, dem Land der Heiligen Kuh? Dem will meine journalistische Neugierde freilich nachgehen und ich bestelle – dem traurigen Blick des Obers zum trotz – zum ersten Mal nach zwei Monaten eine Mahlzeit mit Rindfleisch.

Dann klingelt mein Handy; und ein Termin, dem ich seit drei Wochen nachlaufe, ist am anderen Ende der Leitung – so eine Gelegenheit muss man freilich am Schopf greifen, und wir führen das lang ersehnte Interview, während mein Burger serviert wird. Eine halbe Stunde später weiß ich dann wieder mehr über Mobilfunk in Indien; mein Burger aber ist kalt – was allerdings auch halb so wild ist: Denn, so verriet mir später ein indischer Freund, statt „Beef“ wurde mir vermutlich „Buff“ serviert; also Büffelfleisch statt des Heiligen Rindes.

Dann ruft der Vater einer sehr guten Freundin an, den ich mittlerweile auch zu meinen persönlichen Freunden zähle. Mit dem Freund, der auch Vater einer guten Freundin ist, wollte ich mich auf einen Kaffee treffen. Stattdessen holt er mich aber im Leopold ab, und wir gehen auf einen Markt in Colaba, spazieren an traumhaft hergerichteten Gemüseständen vorbei und machen Fotos von Händlern, die hinter dem Grünzeug sitzend mit ihren Handys spielen.

Nächste Station: Kunsthändler. Hier begutachten wir die Kunstwerke, die meist hinduistische Gottheiten darstellen. Ich verliebe mich in eine Messingstatue, die Krishna auf dem Vogelgott Garuda reitend darstellt, in dessen Schnabel eine Schlange; gemeinsam mit Krishna sitzen die vollbusigen Super-Göttinen Laxmi, Göttin des Geldes, und Saraswati, Göttin der Weisheit, auf Garuda – ein prächtiges Werk also, das ich im Endeffekt aber doch nicht kaufe, weil man erstens als junger Schreiberling 1000 Euro nicht mal eben so locker sitzen hat und sich zweitens kaum ein Platz in meiner Wohnung findet für ein derart pompöses Stück. Stattdessen kaufe ich Weihnachtsgeschenke – nein, keinen Schal und auch keine Öllampe; aber keine Sorge: auf das Thema komme ich schon früher oder später wieder sprechen.

Wo war ich? Ach ja: Bier trinken. Wir verlassen das Geschäft und entdecken das Cafe Mondegar, ebenfalls in Colaba gelegen. „Cafe“ ist in dieser Hinsicht aber ein irreführender Ausdruck, denn Kaffee wird hier kaum getrunken, sondern hauptsächlich Bier. Wir bestellen eine Kanne und bewundern die Dekoration im Inneren des Lokals: Christsterne, Plastk-Tannenbäume, Girlanden und Buchstaben, die farbe-kreischend „Merry Christmas“ verkünden. Stimmt ja – es ist Adventszeit; und davon bekommt man ansonsten in Indien recht wenig zu spüren. Wir bestellen noch ein paar Bier, philosophieren über Indien und das Leben und so – bis ich irgendwann anmerke, dass ich ja noch auf eine Abendveranstaltung eingeladen bin.

Also brechen wir auf, aber wir machen noch Halt in einem Geschäft, in dem mein Freund, der auch der Vater einer sehr guten Freundin ist, sich immer seine Hemden schneidern lässt. Wir werden freundlich begrüßt, die Hemden sehen wirklich toll aus. Ob ich wohl ein Hemd haben möchte? Oder einen Anzug? Ich bin leicht angeschwipst, und treffe in diesem Zustand nie lebensweisende Entscheidungen – wie etwa das Design eines Anzugs -, lehne daher dankend ab. Aber tolle Pashmina Schals hat der Händler… er führt mir mehrere vor, Originalstücke in feinster Qualität. Ein dunkelroter Schal hat es mir besonders angetan. „So günstig findest Du ein solches Stück nie mehr“, höre ich eine väterlich-freundschafliche Stimme neben mir. Und denke mir: Gut, dann kaufe ich den jetzt und tausche ihn gegen meinen alten Schal aus, den ich zum Schutz vor indischen Klimaanlagen aus Österreich mitgenommen habe. Somit besaß ich zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Schals.

Und dann eilt es, denn die abendliche Veranstaltung hat bereits begonnen. Zu Fuß mache ich mich auf in den Fort District. Da ich ein Sakko trafe und es noch immer rund 30 Grad auf den Straßen Bombays hat, komme ich verschwitzt an meinem Ziel an: Eines der größten Consulting-Unternehmen Indiens schmeißt eine Weihnachtsparty auf der hauseigenen Dachterrasse; und – tja – da es auf Dachterrassen meist kälter ist als auf dem Erdboden wird dem verschwitzten Stefan ein Schal zum Schutz umgehängt.

Ich bin ein höflicher, diplomatischer Mensch. Und daher stört es mich wenig, dass ich leicht angeschwipst bei rund 30 Grad Hitze und elendiger Luftfeuchtigkeit auf einer Dachterrasse stehe, eingepackt in ein europäisches Sakko und einen dicken Schal. Ob ich ein Bier möchte? „Nein danke, erst Mal Wasser“, sage ich. Irgendwann fragt mich aber ein höflicher Schotte, ob ich denn den ganzen Abend bloß Wasser trinken möchte, und ich bestelle mir doch noch ein weiteres Bier. Wir kommen ins Gespräch, witzeln, haben Spaß – irgendwann verrät er mir, dass er der Indien-Korrespondent des „Economist“ ist. Mein Idol also quasi. Wir reden zuerst ein wenig über Wirtschaft, dann über Straßenhunde.

Seine Frau fragt mich scherzhaft, ob ich meinen Schal auch später noch zu offiziellen Anlässen tragen möchte. „Ich dachte, den muss ich nachher zurück geben?“, frage ich. Nein: Dürfen wir behalten. Und nicht nur das: Beim Verlassen der Party wird uns als Erinnerung an den Abend eine Öllampe in die Hand gedrückt.

Wir teilen uns ein Taxi heim, nach Bandra im Norden der Stadt. Ich lege mich mit brummendem Schädel schlafen und denke mir: Heute habe ich tolle Leute getroffen, hatte spannende Gespräche, habe viel gelernt und – vermeintliches – Rindfleisch gegessen. Und das alles an einem Tag. Bombay ist schon eine tolle Stadt. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlafe ich ein.

Die Öllampe habe ich inzwischen meiner Vermieterin geschenkt, sie hat freundlich Freude geheuchelt. Die Schals behalte ich mit vorerst als Erinnerung an den Tag.

Durch den Monsun

Gestern war es bereits über den Tag hinweg bewölkt und schwül, was wir als entsprechendes Vorzeichen hätten deuten können – dennoch hat es uns in den HUB Bombay verschlagen, um noch ein paar Mails zu schicken und zu schreiben. als es dann langsam zu donnern, blitzen und tröpfeln begann, ahnten wir noch immer nichts Böses – bis es dann so richtig begann, (wie man auf wienerisch so schön sagt) „obi zu wascheln“. Die Rikschafahrt durch den Monsun gestalte sich entsprechend abenteuerlich, wie das anschließende Video zeigt.

Music: „Train under water“ von Bright Eyes.

Back in Bombay

Aus dem Flugzeug aussteigen. Mit einer leichten Verkühlung, weil es die vergangenen Tage in Wien so kalt war – doch der europäische Herbst ist rasch vergessen. Die Hitze erschlägt einen, als man aus dem Flugzeug steigt und indischen Boden betritt. Heiß ist es, und feucht. Die Luft lässt sich durchschneiden; und der Flughafen von Mumbai (vormals Bombay) ist in einem Stil gehalten, der im Westen wohl schon in den 80ern als uncool gegolten hätte.Es riecht komisch – so wie nur Bombay riechen kann, und keine andere Stadt der Welt: Eine Mischung aus Abgasen, Schweiß, Urin, Räucherstäbchen und Gewürzen.

Beim Verlassen des Flughafens nimmt mir jemand den Koffer ab. Er schiebt ihn fünf Meter, bis ich ihm mein Gepäck entreißen kann. Für seine Dienstleistung will er zehn Rupees (15 Cent) haben. Okay. Das Taxi fährt los, bleibt beim Verlassen des Flughafens stehen; Bettler umringen das Auto. Es hat noch immer 35 Grad, um 11 Uhr abends.

Fahrt zum Hotel. In einem schlecht gefederten Auto vorbei an Menschen, die auf einer Verkehrsinsel schlafen. Und Kühen, und Hunden. Und vorbei an Geschäften, die auch zu später Stunde noch geöffnet haben – 94 Prozent des Handels in Indien läuft im informellen Sektor ab, da spielen staatlich vorgegebene Öffnungszeiten keine Rolle.

Ankunft im Hotel. Unter unserem Zimmer läuft eine wilde Bollywood-Party; draußen rattern die Züge vorbei. Für einen Aufpreis von 1000 Rupees (15 Euro) kriegt man ein Zimmer ohne Kakerlaken. Morgens nach dem Aufstehen beobachte ich die Pendler, wie sie in überfüllten Zügen in die Arbeit fahren – Bombay mag laut und dreckig sein, aber die 16-Millionen-Einwohner-Metropole gehört zu den teuersten Immobilienstandorten der Welt.

Dies ist Indien. Die größte Demokratie der Welt. Das Land mit den knapp neun Prozent Wirtschaftswachstum. Mit Städten wie Bangalore, welches als indisches Silicon Valley bezeichnet wird. Wo IT, Entrepreneurship und Mobilfunk wahre Boom-Märkte sind. Hier werde ich die kommenden Monate eintauchen. Werde jenseits der PR-dominierten Pressereisen und der sterilen Expat-Hilton-Welt recherchieren, werde über die aufstrebende indische IT-Welt schreiben.

Wie das wohl funktionieren soll, frage ich mich, während ich schwitzend auf dem Bett liege und mir ein paar Bollywood-Videos ansehe – bis diese von einer Werbung für den neuen Blackberry unterbrochen werden – und ein Blick in die „Times of India“ verrät mir, dass die Vorbestellungen des neuen iPhone 4S hier explodieren. High-Tech und Innovation gibt es hier wirklich. Halt irgendwo zwischen Dreck, Hitze und auf der Straße schlafenden Menschen.

Mein Begleitung, Wolfgang Bergthaler, kennt Indien wie seine Westentasche
Mein Begleitung, Wolfgang Bergthaler, kennt Indien wie seine Westentasche