Als ich am Samstag morgens aus meinem Schlaf erwachte, befanden sich in meinem Zimmer eine blaue Öllampe und drei Schals – das ist recht ungewöhnlich angesichts der Tatsache, dass ich in Bombay lebe und man bei 35 Grad im Schatten recht selten einen Schal braucht. Wie kam es also dazu?
Die Geschichte beginnt – so wie viele Geschichten, die in und um Bombay herum stattfinden – im Cafe Leopold, Downtown. Da ich später noch ein paar Termine im Stadtzentrum hatte, wollte ich mir hier ein Mittagessen genehmigen. Auf der Speisekarte finde ich den reizvollen Eintrag „Beef Burger“… Rindfleisch? In Indien, dem Land der Heiligen Kuh? Dem will meine journalistische Neugierde freilich nachgehen und ich bestelle – dem traurigen Blick des Obers zum trotz – zum ersten Mal nach zwei Monaten eine Mahlzeit mit Rindfleisch.
Dann klingelt mein Handy; und ein Termin, dem ich seit drei Wochen nachlaufe, ist am anderen Ende der Leitung – so eine Gelegenheit muss man freilich am Schopf greifen, und wir führen das lang ersehnte Interview, während mein Burger serviert wird. Eine halbe Stunde später weiß ich dann wieder mehr über Mobilfunk in Indien; mein Burger aber ist kalt – was allerdings auch halb so wild ist: Denn, so verriet mir später ein indischer Freund, statt „Beef“ wurde mir vermutlich „Buff“ serviert; also Büffelfleisch statt des Heiligen Rindes.
Dann ruft der Vater einer sehr guten Freundin an, den ich mittlerweile auch zu meinen persönlichen Freunden zähle. Mit dem Freund, der auch Vater einer guten Freundin ist, wollte ich mich auf einen Kaffee treffen. Stattdessen holt er mich aber im Leopold ab, und wir gehen auf einen Markt in Colaba, spazieren an traumhaft hergerichteten Gemüseständen vorbei und machen Fotos von Händlern, die hinter dem Grünzeug sitzend mit ihren Handys spielen.
Nächste Station: Kunsthändler. Hier begutachten wir die Kunstwerke, die meist hinduistische Gottheiten darstellen. Ich verliebe mich in eine Messingstatue, die Krishna auf dem Vogelgott Garuda reitend darstellt, in dessen Schnabel eine Schlange; gemeinsam mit Krishna sitzen die vollbusigen Super-Göttinen Laxmi, Göttin des Geldes, und Saraswati, Göttin der Weisheit, auf Garuda – ein prächtiges Werk also, das ich im Endeffekt aber doch nicht kaufe, weil man erstens als junger Schreiberling 1000 Euro nicht mal eben so locker sitzen hat und sich zweitens kaum ein Platz in meiner Wohnung findet für ein derart pompöses Stück. Stattdessen kaufe ich Weihnachtsgeschenke – nein, keinen Schal und auch keine Öllampe; aber keine Sorge: auf das Thema komme ich schon früher oder später wieder sprechen.
Wo war ich? Ach ja: Bier trinken. Wir verlassen das Geschäft und entdecken das Cafe Mondegar, ebenfalls in Colaba gelegen. „Cafe“ ist in dieser Hinsicht aber ein irreführender Ausdruck, denn Kaffee wird hier kaum getrunken, sondern hauptsächlich Bier. Wir bestellen eine Kanne und bewundern die Dekoration im Inneren des Lokals: Christsterne, Plastk-Tannenbäume, Girlanden und Buchstaben, die farbe-kreischend „Merry Christmas“ verkünden. Stimmt ja – es ist Adventszeit; und davon bekommt man ansonsten in Indien recht wenig zu spüren. Wir bestellen noch ein paar Bier, philosophieren über Indien und das Leben und so – bis ich irgendwann anmerke, dass ich ja noch auf eine Abendveranstaltung eingeladen bin.
Also brechen wir auf, aber wir machen noch Halt in einem Geschäft, in dem mein Freund, der auch der Vater einer sehr guten Freundin ist, sich immer seine Hemden schneidern lässt. Wir werden freundlich begrüßt, die Hemden sehen wirklich toll aus. Ob ich wohl ein Hemd haben möchte? Oder einen Anzug? Ich bin leicht angeschwipst, und treffe in diesem Zustand nie lebensweisende Entscheidungen – wie etwa das Design eines Anzugs -, lehne daher dankend ab. Aber tolle Pashmina Schals hat der Händler… er führt mir mehrere vor, Originalstücke in feinster Qualität. Ein dunkelroter Schal hat es mir besonders angetan. „So günstig findest Du ein solches Stück nie mehr“, höre ich eine väterlich-freundschafliche Stimme neben mir. Und denke mir: Gut, dann kaufe ich den jetzt und tausche ihn gegen meinen alten Schal aus, den ich zum Schutz vor indischen Klimaanlagen aus Österreich mitgenommen habe. Somit besaß ich zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Schals.
Und dann eilt es, denn die abendliche Veranstaltung hat bereits begonnen. Zu Fuß mache ich mich auf in den Fort District. Da ich ein Sakko trafe und es noch immer rund 30 Grad auf den Straßen Bombays hat, komme ich verschwitzt an meinem Ziel an: Eines der größten Consulting-Unternehmen Indiens schmeißt eine Weihnachtsparty auf der hauseigenen Dachterrasse; und – tja – da es auf Dachterrassen meist kälter ist als auf dem Erdboden wird dem verschwitzten Stefan ein Schal zum Schutz umgehängt.
Ich bin ein höflicher, diplomatischer Mensch. Und daher stört es mich wenig, dass ich leicht angeschwipst bei rund 30 Grad Hitze und elendiger Luftfeuchtigkeit auf einer Dachterrasse stehe, eingepackt in ein europäisches Sakko und einen dicken Schal. Ob ich ein Bier möchte? „Nein danke, erst Mal Wasser“, sage ich. Irgendwann fragt mich aber ein höflicher Schotte, ob ich denn den ganzen Abend bloß Wasser trinken möchte, und ich bestelle mir doch noch ein weiteres Bier. Wir kommen ins Gespräch, witzeln, haben Spaß – irgendwann verrät er mir, dass er der Indien-Korrespondent des „Economist“ ist. Mein Idol also quasi. Wir reden zuerst ein wenig über Wirtschaft, dann über Straßenhunde.
Seine Frau fragt mich scherzhaft, ob ich meinen Schal auch später noch zu offiziellen Anlässen tragen möchte. „Ich dachte, den muss ich nachher zurück geben?“, frage ich. Nein: Dürfen wir behalten. Und nicht nur das: Beim Verlassen der Party wird uns als Erinnerung an den Abend eine Öllampe in die Hand gedrückt.
Wir teilen uns ein Taxi heim, nach Bandra im Norden der Stadt. Ich lege mich mit brummendem Schädel schlafen und denke mir: Heute habe ich tolle Leute getroffen, hatte spannende Gespräche, habe viel gelernt und – vermeintliches – Rindfleisch gegessen. Und das alles an einem Tag. Bombay ist schon eine tolle Stadt. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlafe ich ein.
Die Öllampe habe ich inzwischen meiner Vermieterin geschenkt, sie hat freundlich Freude geheuchelt. Die Schals behalte ich mit vorerst als Erinnerung an den Tag.