This article deals with the sheer madness of Austrian bureaucracy and is therefore written in German.
„Das ist doch lächerlich“, sagt der Arzt, während er auf die Laborbefunde starrt. Er schüttelt den Kopf, kann es nicht fassen. Ebenso der Augenarzt, dem ich am Vortag einen Besuch ab gestattet habe: „Solche Beschränkungen gibt man vielleicht Einäugigen“, sagt er: „Aber sicher nicht Ihnen.“ Ich überlege: Ja, ich hab noch beide Augen. Und sehe mit Brille 120 Prozent. Ich habe auch sonst keine Beschwerden, die mich vom Lenken eines Kraftfahrzeugs abhalten könnten. Dennoch: Seit zwölf Jahren kämpfe ich dafür, keine Befristung mehr in meinem Führerschein zu haben. Warum?
Ein Sprung in die Vergangenheit. Klein-Stefan, damals 17 Jahre alt, sitzt vor dem Amtsarzt. Da muss er hin, weil er den Führerschein machen möchte. Es gibt ein Formular; und Klein-Stefan kreuzt brav überall wahrheitsgemäß „nein“ an. Nur beim Punkt „Diabetes“ hat er seine Zweifel: Hatte er da nicht bei einer Gesundenuntersuchung letztens leicht erhöhte Werte gehabt? „Lieber mal mit dem Herrn Doktor darüber reden“, denkt sich Klein-Stefan. Und sagt dem Amtsarzt, dass er sich nicht sicher ist.
Inzwischen weiß ich mit einer ziemlichen Gewissheit, dass das gar kein echter Arzt war. Denn als er meine Unsicherheit erkannte, löcherte er mich mit Fragen, wie lang ich denn nun Diabetiker sei und ob ich Insulin spritze. Ich erinnere mich, etwas gesagt zu haben wie: „Nein, ich bin kein Diabetiker; aber sagen Sie, Herr Doktor, kann es nicht sein, dass ich mit leicht erhöhten Werten vielleicht doch mal Insulin spritzen muss?“. Das Schlagwort reichte dem vermeintlichen Medizinstudenten, um groß das Wort „INSULINABHÄNGIG“ auf das Formular zu schreiben. Darunter setzte er eine Paraphe – in einer derart unleserlichen Schrift, dass ihn in den kommenden Jahren niemand würde zurück verfolgen können.
Seitdem galt ich im Verkehrsamt der BPD Wien als schwerst insulinabhängiger Hardcore-Diabetiker. Als eine Gefährdung für die Verkehrssicherheit. Dass ich in meinem Leben noch nie Insulin gespritzt habe und auch keinerlei Kranheitsanzeichen zeige, kümmerte dort niemand – es zählt das Urteil des Herrn mit der unleserlichen Paraphe. Vor fünf Jahren war ich das letzte Mal zum Verlängern dort: Dann sitzt man im Warteraum zwischen Alkoholikern, Drogenabhängigen und anderen freundlichen Gestalten, für die sich die „Führerscheinentzugsbehörde“ verantwortlich fühlt und versucht zu erklären, dass das alles ein Irrtum war. Damals war ich gescheitert: Viel Misstrauen bei den Beamten; doch wer will es ihnen schon verübeln, bei dem Gesocks, mit dem sie sonst so zu tun haben?
Dieses Jahr sollte es anders werden, habe ich mir vorgenommen. Und so stellte ich bereits im Vorfeld vor Ablauf des Führerscheins einen schriftlichen Antrag in peniblem Amtsdeutsch auf Aufhebung der Beschränkung. Antwort bekam ich freilich keine, dafür eine Ladung zur amtsärztlichen Untersuchung plus Zahlschein über knapp 50 Euro.
Brav und eigenmächtig wie ich bin, habe ich die Überweisung bei meiner Hausbank in der Filiale durchgeführt, Stempel selbst drauf gesetzt. Ein Fehler, wie sich vor Ort im Amt heraus stellte: Eine eigenmächtige Überweisung könne sie nicht anerkennen, heißt es von der Schalterbeamtin. Warum? Weil es theoretisch möglich wäre, dass ich den roten Abschnitt des Erlagscheins nicht einwerfe, sondern bloß den blauen Teil abstemple und mitnehme. „So etwas würde mir doch im Traum nicht einfallen“, sage ich entgeistert. Die Dame zuckt die Schultern: „Glauben Sie mir: Es gibt Leute, denen fällt so was ein.“ Also die Stiegen rauf kraxeln, zur „Amtskassa“.
Dort sitzt hinter einem Pult eine Dame im deutlich höheren Alter. Sie grüßt mich freundlich; ich grüße freundlich zurück und halte ihr den Zahlschein hin. Sie erhebt sich von ihrem Platz, geht zu einem Regal mit Aktenordnern und murmelt vor sich hin: „Maaah, jetzt hamma a Problem“. Als sie meinen beunruhigten Blick sieht, korrigiert sie aber: „Na, ned mir mitanand… aber des is so a Durcheinander.“ Schließlich findet sie doch den gewünschten Aktenordner, kramt ihn hervor, und ihr Finger fährt über ein A4-Blatt… da ist es: Handgeschrieben wurde mein Zahlungseingang vermerkt.
Ich schreibe beruflich fast täglich über IT-Themen. Und ich weiß, dass man dadurch ein wenig betriebsblind wird. Aber niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich mal unerwartet durch ein Dimensionstor in die Zeit der K&K-Monarchie zurück schreiten würde.
Zurück im ersten Stock. Da muss ich auf die augenärztliche Kontrolle warten. Ich versichere, dass das nicht nötig ist, weil ich erst am Vortag beim Augenarzt war. Der habe bescheinigt, dass ich keine Brille dringend zum Fahren brauche, aber es dennoch von Vorteil wäre. Man hatte mich am Vortag eingetropft, genau untersucht, mit modernsten Mitteln in einer Praxis in Mariahilf. Einzelne Brillengläser wurden mir maschinell vor die Augen gesetzt, um die Brillenstärke genau zu ermitteln.
Die Bematen können das besser. Ich werde herein gebeten, setze mich hin. Soll mir händisch die Augen zu halten; erst mit Brille, dann ohne. Urteil: Ich brauche die Brille nicht dringend zum Fahren, aber besser ist es. Schön, dass mit primitiven Mitteln die gleiche Aussage getroffen wird wie in einer modernen Praxis.
Schließlich dann der lang erwartete Termin bei jenem „Arzt“, der über meine Führerschein-Zukunft entscheidet. Dem lege ich meinen augenärztlichen Befund ebenso vor wie Laborbefunde der besten Internistin der Stadt. „Alles wertlos“, sagt er: Ich soll mich von einem jener Ärzte untersuchen lassen, die auf seiner Liste stehen. Die Liste sehe ich zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal; und ich rege mich auf über die enorme Zeitverschwendung. Als er sieht, dass ich offensichtlich vor Wut koche, entschließt er sich zu einer spontanen Blutdruckmessung. Immerhin: Trotz deutlich aggressiver Haltung in meinem aktuellen Gemütszustand war mein Puls normal. Hurra.
Also, nächster Schritt: Zu einem passenden Arzt gehen, der meine medizinische Situation deutlich schlechter kennt als jeder mir bekannte Arzt, aber mir zumindest das gewünschte Gutachten wird ausstellen kann. Was uns zu der eingangs beschriebenen Situation führt: Unverständnis. Zur Sicherheit macht er noch einen EKG und einen Ultraschall meines Herzens – wenn schon, denn schon; immerhin kann er das ja direkt an die SVA und die Beitragszahler weiter verrechnen. Ich zahle nochmal läppische 60 Euro und halte bald eine Bestätigung in Händen, dass ich nicht todkrank bin.
Und gestern war es dann so weit: Rein spaziert ins Verkehrsamt, Gutachten abgelegt, blödes Gelaber des Beamten angehört („Na, sehen Sie; dann ist Ihr Diabetes also gar nicht so schlimm“), „Jazz Gitti“-Poster im Hintergrund während der langen Wartezeit angestarrt, abartig bunt lackierte Fingernägel der Sachbearbeiterin bewundert, B-111 eintragen lassen, mal eben nochmal rund 60 Euro für einen neuen Führerschein eingezahlt – und fertig!
Gewonnen. Nach zwölf Jahren bürokratischen Schwachsinns bin ich die Beschränkung in meinem Führerschein los. Und nicht nur das: Durch den Ärztemarathon weiß ich nun, dass Herz, Augen, Blut und Puls bestens funktionieren. Und ich habe eine faszinierende Zeitreise gemacht. Dass mich dieser Spaß knapp 200 Euro gekostet hat, davon sehen wir jetzt mal ab. Auf Nimmerwiedersehen, Verkehrsamt. Und, trotz allem: Danke.