Zu Weihnachten war ich in Saudi Arabien. Wer durch ein streng muslimisches Land wie dieses reist, muss sich kulturell anpassen; vor allem muss der eigene Tag rund um die Gebetszeiten geplant werden – denn während die Gläubigen beten, ruhen ihre Geschäfte.
Als digitaler Nomade bat ich somit den App Store des iPhones um Hilfe und fand eine interessantes Programm: Die App „Muslim Pro“. Diese nutzt den modernsten Stand der Technik, um gläubige Moslems mit allen nötigen Informationen zu versorgen:
Prayers: Entweder über eine Suchfunktion oder mit Hilfe von GPS-Lokalisierung wird der aktuelle Standort inklusive dafür gültiger Gebetszeiten ermittelt.
Qibla: Der Kompass des iPhone wird genutzt, um die Position Mekkas zu bestimmen. Das ist vor allem praktisch für Moslems auf Reisen, um die korrekte Richtung ihrer Gebete zu bestimmen.
Holidays: Nicht nur, dass die wichtigsten muslimischen Feiertage aufgelistet werden – es kann auch gleich aus der App heraus eine Grußkarte designed und anschließend via SMS, Email, Facebook oder Twitter versandt werden.
Places: Während hierzulande noch über Business Cases und tatsächliche Anwendungsszenarien für Foursquare philosophiert wird, hat es hier einen konkreten Nutzen: Über den Location Based Service werden nahe gelegene Moscheen und Halal-Restaurants identifiziert.
Eine solche App ist nicht nur für Moslems selbst praktisch, sondern eben auch für interkulturell interessierte Geschäftsreisende – nicht zuletzt aus bereits erwähnten Gründen. Eine ähnlich innovative App der katholischen Kirche habe ich leider nicht gefunden – für Feedback, Antworten und Kommentare bin ich aber dankbar.
Auf meiner Rückreise von Riad nach Wien hatte ich neun Stunden Aufenthalt in Istanbul. Und obwohl ich nur vier Stunden mehr schlecht als recht im Flugzeug geschlafen hatte, wollte ich mir eine Besichtigung nicht nehmen lassen – schließlich hatte ich mal ein starkes Naheverhältnis zu der Metropole am Bosporus, als ich sie von 2001 bis 2004 ganze zwölf Mal besucht hatte. Dort kenne ich mich aus; und unbedingt wollte ich sehen, was sich in den vergangenen Jahren getan hat, welche Spuren der Status der Europäischen Kulturhauptstadt hinterlassen hat. Die drei schönsten Erlebnisse gebe ich hier gerne wieder.
1. Richtig feilschen
Schlaftrunken torkle ich über den Bazar. Um mich herum Touristen, die Fotos von Souvenirs machen und sich nach den höchsten Regeln der Kunst ausnehmen lassen. Mich selbst lässt das glitzernde Klimbim relativ kalt, habe ich doch in Saudi Arabien bereits mein Einkaufskontingent für diese Reise erschöpft. Doch dann fällt mein Blick auf die wunderschönen Iznik-Fliesen: Weiß, mit blauer Bemalung, wunderschön – und eine davon würde wohl wundervoll die Kaffeekanne ergänzen, die ich auf dem Souk in Riad erstanden habe. Wir erinnern uns: Dabei bin ich ordentlich über den Tisch gezogen worden.
Umso mehr gilt hier also: Richtig feilschen.
Ich frage den Händler also, wie viel er dafür haben will. „30 türkische Lira“, sagt er. Ich muss kichern – teils, weil Übermüdung den gleichen Effekt haben kann wie leichte Alkoholisierung; teils, weil ich die gleiche Fliese in einem anderen Laden zuvor um drei Lira gesehen habe. Das sage ich ihm auch; und er erläutert mir,dass seine Fliese zwei Millimeter dicker ist und daher berechtigt 27 Lira (14 Euro!) mehr kostet. Mir ist die Dicke wurscht, ich nehm lieber die billige Fliese und frage ihn auch danach.
Er zeigt sie mir, aber hier gefällt mir das Design nicht. Ein paar kleine Details, die mir leider nicht zusagen. Ich frage ihn, ob er mein bevorzugtes Design auch in dünn und billig hat – Nein, leider nicht. Ich steh nun vor dem Dilemma: Billig und hässlich, oder völlig überteuert. Er merkt, dass ich zögere, will mir also fix die dicke Fliese andrehen: „How much you want to pay?“. „Five“, sage ich. Und bin mir sicher, dass er darauf eh nicht eingeht.
Er ächzt und stöhnt. Versucht, mich rauf zu handeln.
„Twenty-Five?“
„No. Five.“
„Twenty!“
„Five“
„Fifteen. Last price!“
Eigentlich will ich die blöde Fliese gar nicht mehr. Ich will nur noch weg. Also bleibe ich weiter unrealistisch: „Five“
„Okay, my, friend: Ten!“
Verdammt. Ich bin so übermüdet vom Flug dass ich fast im Stehen einschlafe. Kann der mich nicht endlich in Ruhe lassen?
„Okay“, er ächzt: „Five.“
In die Augen schaut er mir nicht mehr, als er die Ware einpackt. Er ist stinksauer. Ich wiederum bin froh, dass der Deal gelaufen ist und ich gehen kann.
Wer hätte gedacht, dass Müdigkeit gute Feilscher macht?
2. Englisch unterrichten
Wer sich als Händler keinen eigenen Laden leisten kann, muss seine Produkte auf offener Straße verkaufen. Im ungünstigsten Fall stehend. Einer dieser Männer spricht mich an, als ich auf dem Weg zwischen den beiden Bazaren unterwegs bin: „You want Skakkett?“
Ich frage mich, was das ist und schaue ihn an: Er verkauft Schals. Lächelnd zeige ich auf meinen Hals: hab leider schon einen, Geschenk von meiner Mama. „Scarf“, berichtige ich ihn.
Er kommt zu mir, und möchte es nun genau wissen: Wie heißt das? „Scarf“, wiederhole ich. Und wie man das schreibe? „C“, beginnt er fragend – ich entgegne: Nein, nein, das beginne mit einem „S“, und erst dann komme das „C“. Und wir machen gemeinsam weiter: Als nächstes das „A“, dann das „R“ und als krönender Abschluss das „F“. Er freut sich, dankt mir, wünscht mir allen Segen und viel Glück, und überhaupt nur das Beste. In der Überzeugung, diesem Menschen geholfen und seine Geschäftschancen deutlich gesteigert zu haben, gebe ich die Wünsche zurück, drehe mich um und gehe meines Weges.
Hinter mir höre ich ihn den nächsten Passanten ansprechen: „You want Skakkett?“
3. Weihnachten feiern
Meine zweite Heimat war für viele Jahre die Istiklal gewesen – gleich am Taksim-Platz gelegen, ist sie die beliebteste Einkaufsstraße der Stadt, quasi Istanbuls Version der Mariahilfer Straße. Dort tummeln sich die westlich-orientierten Türken zwischen modernen Boutiquen und Fastfood-Läden. Zwischendurch fährt eine nostalgische Straßenbahn und am Ende die „Tünel“ – eine unterirdische Bahn mit nur zwei Stationen, die es schon zu einer Zeit gab, als Istanbul von einem umfassenden Metro-Netz noch nicht mal zu träumen wagte.
Hier hat sich viel verändert seit ich das letzte Mal hier war, 2004. Noch mehr Kommerz, noch mehr Schickimicki. Alles noch eine gute Spur westlicher, moderner. Die Werbung für die Kulturhauptstadt 2010, die noch an manchen Geschäften prangt, wirkt da fast ein bisschen wie Ironie, denke ich mir. Doch dann zieht es mich plötzlich wie magisch auf die linke Straßenseite.
Ich stehe vor der katholischen Kirche an der Istiklal und merke, wie meine Füße fast eigenmächtig auf das pompöse Gebäude zugehen. Draußen scheint die Sonne, das Wetter ist frühlingshaft. Aber mich zieht es trotzdem ist das kalte, dunkle Gebäude. Und drinnen ist dann Ruhe; ich lasse mich nieder auf einer Bank, lausche – höre zum ersten Mal seit zwei Wochen an einem öffentlichen Ort Weihnachtsmusik. Denn in Saudia Arabien war diese ja verboten gewesen; und Weihnachten war dieses Jahr seltsam. Ich gehe in mich. Und meine Augen werden feucht: Das ist meine Christmette für dieses Jahr – alleine, ein paar Tage verspätet, in Istanbul. Das ist schön; auf seine ganz eigene Art und Weise.
Als ich schließlich, einige Stunden später, mit der Metro wieder Richtung Flughafen fahre, denke ich mir: Ich liebe diese Stadt; vor allem die Menschen, die in ihr wohnen. Istanbul ist für mich jahrelang Heimat und Fremde in einem gewesen. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich freue mich bereits auf ein Wiedersehen.
Das 302 Meter hohe Kingdom Centre ist nicht nur das höchste Gebäude Saudi Arabiens, sondern auch Wahrzeichen der Hauptstadt Riad. Von der „Sky Bridge“, die die beiden Gabelspitzen des majestätischen Gebäudes verbindet, haben die wenigen Touristen – und auch einheimische Reiche – einen formidablen Blick über das schachbrettartige Muster der Stadt. Und zu so viel Glamour gehört freilich auch ein echtes französisches Restaurant, das sich ebenfalls in den oberen Stockwerken befindet.
Hier gibt es feines Essen zu teuren Preisen; und ein Blick auf das Gedeck zeigt zuerst nichts Ungewöhnliches: Teller, Besteck, Weinglas, sogar ein Schnapsglas. Und irgendwann kommt der Ober, schenkt aus einer dunkelroten Glaskaraffe den Aperitif ein. Wir stoßen mit unseren Schnapsgläsern an, nippen an dem dunklen Getränk und… müssen den Ober erst mal fragen, was das eigentlich ist. Antwort: Apfel- und Traubensaft, gemischt mit Balsamico-Essig – in einem Land, in dem echter Schnaps verboten ist, muss nun mal ein Ersatz her. Auch wenn er nach Salatsauce schmeckt.
Auch der Blick in die Speisekarte zeigt, dass ein französisches Restaurant in Saudi Arabien nicht ist wie eines in Frankreich:Hierzulande fasst die Getränkekarte nur eine A4-Seite; die Hälfte davon wird von Warmgetränken – vor allem Kaffee – eingenommen, der Rest sind Softgetränke. Prickelndes Mineralwasser ist teurer als stilles, warum auch immer.
Bier kann man im Supermarkt trotzdem kaufen – alkoholfreies halt, das zwar weniger Platz im Regal einnimmt als in Europa, dafür aber sich aus unterschiedlichen internationalen Marken von Carlsberg bis Efes zusammen setzt.
Testosteron Pur
Abendliche Unterhaltung ist rar in Saudi Arabien: Kino, Theater, Oper und öffentliche Musikaufführungen sind verboten. Und auch Sport machen die Saudis kaum: Für Outdoor-Sport ist es meist zu heiß; und begibt sich ein Saudi doch mal in ein Fitness-Center, so sagte man mir, verbringt er die meiste Zeit nicht mit Training – sondern damit, an seine Freunde SMS darüber zu verschicken, dass er gerade im Fitness Center ist. Kein Wunder, dass Diabetes hier zur Volkskrankheit wird; die Massen an westlichen Fastfood-Buden tun ihr Übriges.
Kein Sport also, keine Kultur und keine Trinkgelage. Was dient also dann als Freizeitbeschäftigung? In einem Land, in dem das Öl zuhause ist liegt die Antwort im Tank: Autos. So richtig dicke Brummer. Damit fahren die Saudis Sanddünen hoch – bei Sonnenuntergang versammeln sie sich in der Wüste; in der Testosteron-Show wird zuerst die Luft aus den Reifen gelassen und dann die Motorleistung bei der Auffahrt durch den Sand verglichen. Das ist zwar kein Sport im engeren Sinne, aber wenigstens Bewegung.
Aber das alles so ganz ohne Alkohol und so?
Machen wir nochmal einen Schritt zurück zum Kingdom Center. Beim Verlassen des französische Restaurants fällt mein Blick nämlich auf die „Oxygen Bar“. Hier arbeitet ein Marokkaner und erklärt: In entspannter Atmosphäre kann man hier einen Tee trinken und sich mit moderner Technik Sauerstoff in die Nase pumpen lassen. Das soll dann beruhigend sein. So etwas ist innovativ, habe ich zuvor noch nie gesehen – und dürfte auch bei den Wiener Bobos recht gut ankommen.
Vielleicht ja auch eine gute Alternative dazu, sich ständig über leichte Vergiftungen mit Flüssigkeit selbst künstlich zu verblöden.
Zu jedem arabischen Picknick gehört ein arabischer Kaffee; entsprechend kann man die Kaffeekannen an jeder Ecke eines jeden Souks kaufen. Es herrscht Konkurrenz, und das belebt den Markt.
Als ich eine kaufen möchte, frage ich, wie viel sie denn koste. Die Antwort: 220 Rial. Hm, okay… Und die dazu passende Zuckerdose? 90 Rial, sagt der Verkäufer freundlich. Ich überlege: Im Set ist sicher alles billiger… Was kosten denn beide gemeinsam? Der Händler rechnet: 320 Rial.
Seltsam: Ein umgekehrter Mengenrabatt also, im Set sind die Beiden um 10 Rial teurer als einzeln. Ich versuche zu feilschen: Nicht 320 Rial will ich zahlen, sondern 300. Der Händler kommt mir umgekehrt entgegen und erhöht von 320 auf 330 Rial.
Erbost breche ich auf, ärgere mich über die aus meiner Sicht absurde Feilschweise, suche den gesamten Souk nach einer schöneren Kanne ab – kann mich aber für keinen anderen Kaffeepott erwärmen, da die Wut über die unbeendete Feilsch-Schlacht noch zu groß ist. Energiegeladen kehre ich zu meinem Widersacher zurück – mit dem festen Willen, den Preis im erbitterten Kampf auf 300 zu drücken.
Dort steht er schon, bei der Kanne, wartet auf mich, hält mir einen Taschenrechner entgegen, dessen Display eine frohe Botschaft verkündet: 300. Sogleich erstrahlt mein Gesicht, ich reiche ihm die Hand, das Geschäft ist besiegelt.
Überglücklich verlasse ich das Geschäft mit meinem Einkauf, strahlend über beide Ohren, wenn auch verwundert über die seltsame Strategie meines Gegenübers. Erst zuhause wird mir bewusst, dass der Streitwert bloß vier Euro betragen hat und der Händler den Preis von Anfang an zu hoch angesetzt hatte.
Man sieht: Mir als Europäer fehlen im Vergleich zum Araber doch einige Jahrhunderte Feilschkultur. Doch, wie heißt es so schön: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen – und beim nächsten Kaffeepott-Kauf weiß ich dann Bescheid.
Auch ich konnte der Versuchung nicht widerstehen: ich habe mir einen arabischen Teppich gekauft. Für 25 Rial, das sind umgerechnet fünf Euro. Er ist so groß wie ein Gebetsteppich, die Symbolik ist allerdings schlicht und enthält keinerlei religiöse Andeutungen – als Ungläubiger würde ich mich andernfalls wie ein Blasphemiker fühlen. In meine Wohnung wird er sich bestimmt gut einfügen.
Gekauft habe ich ihn auf einem Souk – einem arabischen Markt, auf dem so gut wie alles erhältlich ist: Es gibt Antik-Souks, Möbel-Souks und sogar Souvenir-Souks (die allerdings kleiner sind, weil sich im Gegensatz zu Istanbul oder Dubai nach Riad nur selten ein Tourist verirrt). Immer beliebt ist jegliches Equipment rund um Kaffee und Picknick, denn die Araber sind begeisterte Picknicker; und dazu gehören eben auch die Teppiche.
Diese gibt es wie erwähnt mit religiösen Motiven, in floralen Mustern (so wie meiner) oder mit Aufdruck eines Fußballfelds (man freut sich bereits auf die WM in Qatar). Etwas verstörend für den westlichen Geschmack sind aber folgende Motive:
Beängstiged? Bei genauem Hinsehen sind da zwar viele Waffen und zwei Hochhäuser abgebildet, allerdings ist die Message eine pro-amerikanische; schließlich steht auf dem zweiten Teppich der Satz „Afghans liberated from Terrorists“ geschrieben. Und die ausgezeichneten diplomatischen Beziehungen zwischen den Saudis und den Bushs sind ja spätestens seit dem Film „Fahrenheit 9/11“ bekannt.
Wer mich schon länger kennt, dem ist das Prozedere bekannt: Jedes Jahr um die Weihnachtszeit besuche ich meine lieben Eltern, die berufsbedingt in fremden Ländern leben. Die vergangenen Jahre über reiste ich daher ins russische Kaliningrad. Das bedeutet: Vodka, Kälte, Schnee, offenherzige Damen und Vladimir Putin. Nun zog es mich erstmals ans ideologische andere Ende der Welt, ins saudi-arabische Riad. Das bedeutet: Alkoholverbot, Hitze, Sand, verschleierte Frauen und neugierige Kamele.
Die vergangenen Tage über ruhte daher dieser Blog. Weil ich mal Zeit brauchte, um Ideen zu sammeln und Eindrücke aufzusaugen. Und auch, weil Weihnachten war.
Dieses ließ sich in einem muslimischen Land freilich anders feiern als im katholischen Österreich. Schnee gibt es nicht, aber freilich auch keine Weihnachts-Deko, Punschstände, Gedudel und Werbe-Jingles; ebensowenig wie Gedränge an Shoppingcenter-Kassen oder besoffene Nikolos. Stattdessen ruft fünf mal täglich der Muezzin zum Salah, dem für Muslime verpflichtenden Gebet. Kann man in einer solchen Atmosphäre überhaupt Weihnachten feiern?
Ja, kann man. Denn man besinnt sich dann auf das Wesentliche: Darauf, dass die Familie beisammen ist und diesen Tag gemeinsam mit einem guten Essen und Geschenken zelebriert. Das ist mehr wert als alle Punschstände von Wien bis Berlin zusammen. Schön, daran mal wieder erinnert zu werden.
Abseits von Heiligabend waren wir zudem viel unterwegs, in der Wüste ebenso wie der Hauptstadt jenes Landes, in dem auch die heiligen Stätten Mekka und Medina stehen. Von den Erfahrungen möchte ich an dieser Stelle die kommenden Tage über gerne berichten – vorbei zu schauen lohnt sich also allemal.