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Weihnachten

Weihnachts-Shopping: Offline doch besser als online?

Der technophile Teil meines Ichs hat ja längst verstanden, dass man Weihnachtsgeschenke am Besten in virtuellen Kaufhallen besorgt. Denn wer online konsumiert, der kann dies gemütlich von zuhause aus tun, muss nicht hinaus in die Kälte, in die Massen, in die echte Welt mit all ihren zahlreichen Nachteilen. Doch leider steht diese rational begründete Zukunfts-Euphorie meinem Laster der Prokrastination gegenüber, was de facto bedeutet: In Wahrheit bin ich jede Jahr zu spät dran, als dass die Geschenke rechtzeitig zum Aufbruch in die allweihnachtliche Fernreise auf meinem Postamt landen. Denn: Wer online bestellt, gibt Macht ab – und zwar nicht an irgendwen, sondern ausgerechnet an Lieferdienste und die Post, die wohl unzuverlässigsten Outsourcing-Partner des uns bekannten Universums.

Also, auch heuer wieder die leidige Last-Minute-Entscheidung: Es muss die Mahü sein.

Diese geographische Region, mitten in Bobostan gelegen, gilt für den Konsumkritiker als die Hölle auf Erden: Hier sagen sich Systemgastronomie, Kleidungsgeschäfte mit den Früchten ertragreicher Kinderarbeit und dubiose Spenden-Keiler täglich Guten Tag und Gute Nacht – wer Moral hat, der meidet die Mariahilfer Straße, erst recht zur Weihnachtszeit. Wer allerdings muss, der muss – und heuer hatte ich einen Plan, um mir die lästige Pflicht des gesellschaftlich und religiös vorgeschriebenen Geschenke-Konsums so angenehm wie möglich zu machen: Auf die eigenen, von Natur gegebenen Ur-Wurzeln besinnen.

Ja. Ich bin ein Männchen. Auf der Jagd. In einer lebensfeindlichen Umgebung.

Und nicht nur, dass dieser Raum lebensfeindlich ist; er ist auch vollkommen transformiert. Mein erster Blick, als ich von der Zieglergasse aus das Schlachtfeld betrete, fällt auf den Thalia: Ein Geschäft, das in erster Linie Papier-Bücher verkauft. Diese Gegenstände, die im 21. Jahrhundert vermehrt an Bedeutung verlieren, finden absurderweise im Dezember einen reißenden Absatz – selbst liest heute kaum noch jemand ein gedrucktes Buch, aber den Nächsten kann man damit ja vielleicht zufrieden stellen. Die Menschen stehen Schlange, um hinein zu kommen.

Ebenso verhält es sich mit dem Riesen-Spielzeugimperium „Müller“, vor dessen Eingang sich die Menschenmassen tummeln. Die „Spielerei“ hingegen, früher als kleines, aber feines Geschäft eine garantierte Anlaufstelle für intellektuell hochwertige Freizeitbeschäftigung im Kreis der Liebsten bekannt, musste inzwischen einem Laden für Computer-Games weichen. Dies ist der Geist der Zeit.

Mein Weg treibt mich weiter in die großen Kaufhäuser. Die hier anzutreffenden Menschenmassen pflegten mich früher abzustoßen – nun weckt das anlassbezogene Getummel aber fast ein wenig Erinnerungen an den Alltag im fernen Indien. Ich sehe Kosmetik, Kleidung, und viele, viele andere blinkende, lustige Dinge; doch ich bin mir meiner Mission bewusst: Ein bestimmtes Wild muss ich erledigen, es dann nach hause in meine Höhle schaffen, von mystischen Naturwundern wie exotischen Düften darf ich mich nicht ablenken lassen.

An der Wasserstelle angekommen, erblicke ich die farbenfrohe Vielfalt des zu erlegenden Wilds und bin vorerst entzückt – erkenne aber auch, dass  andere Raubtiere hier ebenso aktiv sind… man fährt über einander hinweg, weicht geschickt den Rempel-Angriffen aus, beobachtet die Strategien des anderen und kopiert die Verhaltensweise, um im Sozial-Darwinismus in höhere Höhen hinauf klettern zu können. „Wir könnten XY besorgen“, sagt etwa ein Weibchen neben mir. „“XY?!?“, denke ich erstaunt: Diese Idee war mir noch gar nicht gekommen – doch ich verwerfe den Gedanken gleich wieder: XY ist für meine Zwecke nicht geeignet – ich brauche YX, das habe ich mir fest in den Kopf gesetzt. Bleib beim Plan, Stefan, bleib beim Plan. Nur so kannst Du diese Hölle überleben. Eine dickliche Verkäuferin brüllt mit hochrotem Gesicht durch die Massen: „WER HAT MICH NACH XY GEFRAGT?“… keine Antwort: „ICH  HABE XY GEFUNDEN…. WER VON IHNEN HAT MICH GEFRAGT???“

Bleib fokussiert, Stefan. Du willst XY nicht.

Leider findet sich aber das YX, welches ich für unseren Stammesältesten (a.k.a. mein Vater) besorgen wollte, nicht unter den Beutetieren. Ich muss also ein YZ erlegen, nehme für seine Squaw gleich ein XZ mit und für mein eigenes Weibchen ein ZZ – gerade rechtzeitig, bevor eine andere Sexualgemeinschaft zuschlagen kann. Das Weibchen murmelt etwas, worauf das Männchen mit panischem Gesichtsausdruck erwidert, dass der Thalia zu dieser Zeit sicher kein angenehmer Aufenthaltsort sei.

Ich für meinen Teil habe aber meine Beute erlegt und bin glückselig. Nun muss ich nur noch durch das Nadelöhr namens „Kassa“; schon nach einer halben Stunde darf auch ich meinen Beitrag zur Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts leisten.

Rasch fülle ich die Beute in einen Beutel und stürme aus dem Turm des Terrors, um das erlegte Wild heim in meine Höhle zu bringen, wo das Weibchen schon auf mich wartet. In freier Wildbahn spricht mich ein anderes Männchen an; ich schüttele hastig den Kopf und eile davon. „Was wollte er von mir?“, denke ich, während mich meine Füße weiter tragen. Er hatte irgendetwas von „Kerze“, „Kirche“ und „Jesus“ geredet… geht es darum etwa, wenn wir von Weihnachten reden? Nicht, oder? Es geht um Geschenke, die Befriedigung unserer Bedürfnisse und die Steigerung des Umsatzes der großen Handelsketten. Online ebenso wie offline. Alles andere hat im 21. Jahrhundert längst an Bedeutung verloren.

In diesem Sinne wünsche ich den Leserinnen und Lesern schon jetzt ein glückliches Weihnachtsfest. Im Idealfall mit ein paar ruhigen, besinnlichen Stunden. Man sagte mir, an einem Ort namens „Kirche“ könne man so etwas finden. Doch dies ist nur eine Legende, aus längst vergangenen Tagen.

Ein Moment: Bald ist Weihnachten

In der Nähe der St.Andrews-Church in Bandra hockt ein Mann am Wegesrand. Er macht nichts Besonderes, sondern verweilt einfach nur an der Mauer. In seinen Händen hält er einen Papierteller, den er liebevoll zusammen faltet – zwei Mal – und anschließend nachdenklich betrachtet. Dann wirft er ihn auf die Straße.

Eine Familie schreitet an dem hockenden Papiertellerwerfer vorbei. Eines der Mädchen trägt eine rote Zipfelmütze, wie jene des Weihnachtsmanns.

Wo wir Männer versagen

„Typisch männlich eingepackt“, sagt ein lieber Mensch, als ich ihr das Geschenk in die Hand drücke. Und in dem Moment wusste ich: Ja, diese Zeit des Jahres ist schon wieder da – jene, in der wir Männer wie kleine Kinder vor dem Geschenkpapier sitzen und wissen, dass wir wieder versagen werden. Christos Frau konnte sich glücklich schätzen, weil ihr Mann ein Verpackungs-Genie war – alle anderen Besitzer eines Y-Chromosoms sind jedes Jahr von neuem heillos überfordert.

Die größte Herausforderung ist dabei nicht der Freundeskreis, sondern meine Familie, allen voran meine Mutter – denn der möchte ich jedes Jahr beweisen, dass ich mich gebessert habe, muss aber jedes Jahr mit einer Enttäuschung leben. Dieses Jahr habe ich es mir leicht gemacht: Möglichst viele quaderförmige Geschenke. Denn Quader lassen sich vergleichsweise leicht verpacken – was kein Quader ist, muss in Bonbon-Form eingewickelt werden. Es gab Zeiten, in denen ich einen starken Bonbon-Überschuss hatte; heuer konnte ich die Bonbon-Quote deutlich reduzieren.

Sodann ging ich an’s Werk: Zurückziehen in mein Zimmer, Tür verriegeln, Weihnachtsmusik auflegen. Und dann tief durchatmen.

Das Problem ist die Ökonomie: Man(n) möchte von dem Papier nichts verschwenden. Und wenn wir dann aber zu viel verwendet haben, stehen wir vor der Aufgabe, wieder etwas weg schneiden zu müssen. Unser Geschenkpapier zeigt viele kleine Nikoläuse; und als ich Santa mit der Schere den Kopf vom Rumpf abtrenne, im Hintergrund John Lennon „War is over…“ nölt, läuft es mir kalt den Rücken runter. Ich fühle mich unchristlich, weiß aber auch, dass ich zur Erreichung meiner Ziele Opfer bringen muss.

Und dann  diese Sache mit den Händen. Wer ein quaderförmiges Geschenk einpackt, muss das Papier ordentlich zusammen halten, die Spannung halten; und während mir in diesem Moment schon der Angstschweiß des Versagens den Rücken runter läuft, stelle ich fest, dass ich noch nicht den Tesafilmstreifen von der Rolle gelöst habe. Also die weit entfernte Rolle mit dem Fuß her angeln, während die Hände die Spannung halten. Dann die Hände gegen das Kinn tauschen, das fortan die Spannung hält, während meine Hände den Tesafilm (der sich dabei freilich verklebt) von der Rolle zu lösen versuchen.

Dabei hab ich sicher wahnsinnig bescheuert ausgesehen.

Liebes Chtristkind: Zu Weihnachten wünsche ich mir einen dritten Arm.

Und dann diese gottverdammten Schleifen. Die sind meine Nemesis. Einfach drum wickeln, zuknoten, zwirbeln, mag sich frau denken. Ich hingegen scheitere immer am Knoten, bei dem ich ebenfalls verzweifelt die Spannung zu halten suche, wieder auf mein Kinn zurück greifen muss. Liebes Christkind, a propos: Vielleicht doch lieber gleich zwei neue Arme. Der Symmetrie wegen.

Als ich bereits total verzweifelt bin, in einem Hafen zerfledderten Geschenkpapiers und verklebter Tesastreifen sitze, tritt er endlich ein: Der Messias. In Form meiner Schwester. Sie lacht; über das Chaos und auch über meinen verzweifelten Blick. Kniet sich nieder, und hilft mir, zumindest die Geschenke der Eltern noch geschickt zu verpacken.

Liebe Frauen dieser Welt, bitte seht es ein: Wir modernen Bobo-Männer haben uns in vielerlei Hinsicht an Euch angepasst. Wir haben kochen und putzen gelernt, kaufen modische Kleidung, gehen regelmäßig zum Frisör. Die meisten von uns waschen sich sogar täglich. Wir haben uns von Euch emanzipiert, weil Ihr es von uns erwartet habt, und weil wir Euch lieben. Aber in Momenten wie diesen wissen wir, dass wir kapitulieren müssen: Am Ende bleiben wir doch die ungehobelten Affen, die von Euch abhängig sind. Danke, dass es Euch gibt.

So, und ich geh mir nun erst mal den Schweiß abduschen, bevor ich in Richtung Christmesse aufbreche.

In dem Sinne: Frohe Weihnachten alle miteinander,

Euer Stefan

baum