Diese Analyse zu „The Force Awakens“ haben Sie noch nicht gelesen
Eine Freundin hat mich gebeten, meine Meinung zu „Star Wars: The Force awakens“ kundzutun, sobald ich den Film gesehen habe. Das ist keine allzu leichte Aufgabe, zumal erstens ich als Fan des Franchises ein wenig befangen bin und zweitens bereits zuvor etliche Kritiken zum jüngsten Teil der Sternensaga veröffentlicht wurden. Nun, ein paar Tage nach meinem Kinobesuch, wird es aber Zeit, die subjektive Perspektive über Bord zu werfen und sich auf die Metaebene zu begeben, von der Journalisten die Dinge beobachten sollten. Denn ein paar Dinge, so meine ich, wurden noch nicht geschrieben.
Vorab eine Spoiler-freie Zusammenfassung für jene Leser, die den Film noch sehen wollen und/oder wenig wert auf Details legen.
Meiner Meinung nach ist der Film sehr gelungen. Die Macher haben aus den Fehlern der Episoden 1-3 gelernt und Wert darauf gelegt, diese nicht zu wiederholen. So entstand ein Werk, das in seiner Rohheit stilistisch stark an den Stil der frühen Filme erinnert; alte ebenso wie neue Charaktere fügen sich wundervoll in das Gesamtgeschehen ein. Die Zuschauer werden am Ende von Episode 6 mit neuen Konflikten abgeholt – was ob des positiven Abschlusses der alten Trilogie kein leichtes Unterfangen war. Fans bekommen nun aber das, was sie sich wünschen; Neulinge erhalten eine Einführung in das Universum, das George Lucas 1978 erschuf, und auf das er nun keinen Einfluss mehr hat (Lucas hat seine Firma Lucasfilm für vier Milliarden Dollar an den Unterhaltungskonzern Disney verkauft). Etwas platt wirkt, dass sich Erzählmuster der Episoden 4-6 allzu offensichtlich wiederholen – ob man in dem neuen alten Universum Geschichten erzählen kann, muss Regisseur J.J. Abrams erst noch beweisen.
So, und nun gehen wir in medias res. Ab diesem Punkt kann ich nicht mehr für Spoiler-freie Inhalte garantieren. Wer also den Film noch nicht gelesen hat, der sollte nun mit dem Lesen aufhören und später zurückkehren.
Bei meiner nachfolgenden Analyse berufe ich mich auf ein Interview, das ein Kollege für unser Star Wars-Special in FORMAT geführt hat, sowie die Inhalte einer StarWars-Sonderausgabe des Philosophie Magazins und Erkenntnisse aus diversen Storytelling-Workshops.
Frauen
Wie stellt man fest, ob ein Film frauenfreundlich ist? Als ein Indikator dafür gilt der sogenannte Bechdel-Test, der seine erste Erwähnung in einem Comic Strip des Jahres 1985 findet. In diesem beschließt die Protagonistin, nur noch Filme zu schauen, die die folgenden drei Voraussetzungen erfüllen:
- Es kommen mindestens zwei Frauen vor, die einen Namen haben
- Die Frauen reden miteinander
- Sie reden über etwas anderes als einen Mann
Obwohl diese Bedingungen auf den ersten Blick recht läppisch erscheinen, erfüllen die meisten zeitgenössischen Filme noch nicht einmal diese Minimalanforderungen der Frauenfreundlichkeit. Auch die alten Star Wars-Filme sind dabei keine Ausnahme: In den Filmen 4-6 ist Leia Organa die einzig nennenswerte Protagonistin; in den Episoden 1-3 gibt es zwar Padme, Amidala und Shmi Skywalker – doch erinnerungswürdige Diskussionen zwischen ihnen sucht man vergebens.
Das ist in Episode 7 anders: Rey, Leia und Maz Kanata sind starke Frauen. Und auch wenn es zwischen Leia und Rey hauptsächlich nonverbale Kommunikation gibt, so gibt es eine längere, äußerst relevante Diskussion zwischen Rey und Maz Kanata über das Schicksal der jungen Heldin… was bedeutet: Bechdel-Test? Check, ist erfüllt.
Abgesehen davon ist Rey die Figur, die den Film bestimmt – und das, obwohl sie neben Hollywood-Größen wie Harrison Ford über den Bildschirm spaziert. Daisy Ridley spielt hier eine Figur, die schießen und mit Schwert kämpfen kann, die Raumschiffe repariert, sie steuert und ihre Gegner mit Hilfe der „Macht“ manipuliert – dadurch stellt sie ihren Compagnon, den Ex-Stormtropper Finn, in den Schatten.
Das ist ein weiterer beeindruckender Schritt für Disney, welche mit der Marvel-Serie „Jessica Jones“ zuletzt auch das Frauenbild in Comic-Verfilmungen neu prägten. Kaum zu glauben, dass das gleiche Unternehmen durch magersüchtige Comic-Prinzessinnen das Selbstbild etlicher junger Mädchen… aber ich schweife ab – kommen wir zum nächsten Punkt:
Familiendramen
Die Episoden 4-6 waren mehr als bloß ein Märchen um Zauberer, Ritter, Bauernjungen und Prinzessinnen, das im Weltraum erzählt wird – vor allem geht es um das Familiendrama der Skywalkers. Luke will den Mann töten, den er für den Mörder seines Vaters hält, bis er erfährt, dass sein Vater selbst der Mann hinter der schwarzen Maske ist. In einem ödipalen Drama hadert er daraufhin, ob er Mord an seinem Vater begehen soll, der (so erfahren wir erst in Episode 3) seine Mutter getötet hat – bis der alte Herr schließlich doch das Blatt zum Guten wendet. Übrigens: „Vader“ ist das niederländische Sohn für „Vater“; und der Vorname „Luke“ wird nicht zufällig an den Nachnamen des Regisseurs, Lucas, erinnern.
In den Episoden 1-3 ging es hingegen weniger um Vater-Sohn-Konflikte, sondern verbotene Liebschaften in einem Mönchsorden und den Wunsch des Individuums, über sich selbst hinaus zu wachsen. Mit diesen Themen wollten sich offenbar weniger Menschen beschäftigen, was einer von vielen Gründen für den schlechten Ruf ist, den die Prequel-Trilogie unter Fans genießt.
In Episode 7 ist der Vater-Sohn-Konflikt zurückgekehrt. Allerdings ist nun der Antagonist nicht der Vater, sondern der Sohn. Dieser möchte sich als neuer Bösewicht der Galaxis profilieren, rebelliert gegen seinen Lehrer und gegen den alten Mann, den die Zuschauer so sehr lieben. Der Tod des Han Solo (whoops, das war ein Spoiler…) unterstreicht die Bösartigkeit des Jünglings mit dem Babyface.
Erklären würde ich dies mit der Adressierung der Zielgruppe: Waren die heutigen Star Wars-Fans damals jung und suchten daher jugendliche Identifikationsfiguren, so können wir uns heute damit identifizieren, dass unsere Jugendhelden Han, Leia und Luke gealtert sind, selbst Kinder gezeugt haben und mit deren aufmüpfigem Verhalten kämpfen – auch wenn Schule schwänzen nicht unbedingt mit Vatermord gleichgestellt werden sollte.
Heldenreisen
George Lucas ließ sich bei der Konzeptionierung seines ersten Films (1978) vom Mythologen Joseph Campbell, dem Erforscher der „Heldenreise“ unter die Arme greifen. Campbell hatte festgestellt, dass alle großen Epen die gleiche dramaturgische Entwicklung durchlaufen: Der Held verliert etwas, bekommt aber zugleich ein mächtiges Geschenk zur Hand; er muss ausziehen, um etwas zu zerstören und kehrt schließlich siegreich zurück.
In meinem Indien-Buch habe ich Campbells Heldenreise bereits integriert; gelernt habe ich damals aber auch, dass „A new hope“ als das Lehrbuchbeispiel aller Heldenreisen gilt: Luke verliert seine Adoptiveltern, bekommt ein Lichtschwert und zerstört den Todesstern – danach wird er als Held gefeiert.
So offensichtlich wie der erste Streifen konnte kein anderer Star Wars-Film das Konzept der Heldenreise umsetzen – bis jetzt zumindest. Denn in „Das Erwachen der Macht“ gibt es gleich zwei Heldenreisen, die parallel zueinander ablaufen: Jene des Finn, und jene der Rey. Finn verliert sein Vertrauen in das Imp… äh, die „First Order“, Rey verliert die Ruhe und Einsamkeit ihres Verstecks in der Wüste; Rey entdeckt die Macht als Wunderwaffe, bei Finn ist es das Vertrauen zu neuen Freunden. Und gemeinsam machen sie so richtig viel kaputt.
Komik und das Spiel der Satyren
Unter den alten Griechen war es üblich, nach dem Ende der ernsten Tragödien die Satyren auf die Bühne zu bitten, die das Geschehene parodierten und so mit ihrem Satyrspiel für einen heiteren Ausklang des Abends sorgten. George Lucas ließ in den Episoden 4-6 das Satyrspiel parallel zur ernsten Haupthandlung geschehen, indem er die komische Figur des C-3PO eine eigene Heldenreise durchlaufen ließ, die jene des Luke parodiert: Der angsterfüllte goldene Roboter wird auseinander gebaut (verliert somit seine Würde), erlebt allerlei Abenteuer und wird am Ende von der Ewoks gar zum König erhoben – durch deren Hilfe wird der zweite Todesstern zerstört.
Die Figur des C-3PO kommt im neuen Film zwar vor, tritt jedoch im Hintergrund auf, ebenso wird seinem Partner R2D2 recht wenig Bildschirmzeit eingeräumt. Stattdessen gab sich Abrams Mühe, mit dem kugeligen Roboter BB-8 einen neuen androiden Star (und somit ein potenzielles Merchandising-Produkt) in das Universum einzuführen. Allerdings nutzt BB-8 keine verbale Ausdrucksweise, was ihm wenig parodistisches Potenzial verleiht.
Vermutlich eine bewusste Entscheidung, um das mittlerweile erwachsen gewordene Publikum nicht zu vergraulen. Man hat wohl aus einem Fehler gelernt, der den Namen „Jar Jar Binks“ trägt.
David gegen Goliath
Ein Start-up fordert einen Konzern mit einem neuen Produkt heraus, ein Mitarbeiter klagt seinen mächtigen Arbeitgeber – Journalisten lieben Geschichten, die nach dem „David gegen Goliath“-Konzept gestrickt sind. Also die Stories über kleine Underdogs, die gegen übermächtige Gegner antreten und trotzdem gewinnen. Ein Prototyp dieses Storytelling-Konzepts ist die Legende vom Bauerjungen, der ein Kaiserreich zu Fall brachte – ein Erfolgsrezept, das Lucas in der Prequel-Trilogie leider nicht so erfolgreich einsetzen konnte. Ganz im Gegenteil: Hier kämpfen die Jedi, diese Vollidioten, auf der Seite der Herrscher und helfen Imperator Palpatine gar beim Besteigen des Throns. Kein Wunder, dass sich davon niemand mitreißen ließ.
Nun ist der Klein-gegen-Groß-Mythos zurück. Die Underdogs Rey und Finn kämpfen wieder gegen eine militaristisch übermächtige, dunkle Herrscherschicht. Han Solo ist trotz seines Ruhms ein nutzloser Schmuggler, der mit seinem haarigen Freund durchs All streift. Sogar einen superbösen Todesstern gibt es wieder – aber diesmal ist er noch böser als zuvor. Eh klar.
Politische Parallelen
In den ersten Star Wars Filmen sahen viele Zuschauer politische Parallelen zu unserer eigenen Galaxie – vor allem das galaktische Imperium zeigt Elemente des Nationalsozialismus, in den 1980er Jahren betrachteten viele US-Amerikaner das Konstrukt als eine Anspielung auf den Kommunismus.
In den Episoden 1-3 ist wiederum der Sager „Wenn Du nicht für bist, bist Du gegen mich“ eine unmissverständliche Anspielung auf den übelsten aller Sith Lords, Darth Bush. Lucas war es vor allem wichtig, mit den Filmen den freiwilligen Niedergang eines politischen Systems zu beschreiben – die meisten Zuschauer waren allerdings eher gelangweilt von den endlosen Debatten über die Besteuerung fiktionaler Handelsrouten.
Und wo sind die politischen Parallelen in Episode 7? Stark an den Größenwahn des Dritten Reichs erinnert wohl nicht nur das Projekt „Starkiller Base“ (also der neue, supertödliche Todesstern), sondern auch die hitlereske Rede von General Hux, als er den totalen Krieg gegenüber ganzen Planetensystemen erklärt.
Etwas irreführend ist für viele Fans ohnehin die politische Ausgangslage zu Beginn des neuen Films: Warum kann es überhaupt noch Bösewichte geben? Wurde das Imperium nicht zerstört? Die Antwort gibt das US-Medium vox.com in einem aufschlussreichen Blogbeitrag: Nach dem Zusammenbruch des Imperiums gibt es kleinere Reiche, die nebeneinander existieren, darunter das böse „First Order“ und die friedliebende Republik. Die Republik und die First Order liegen miteinander im Clinch; zur Schwächung des Gegners unterstützt die Republik Widerstandskämpfer im Reich des Feindes mit Waffenlieferungen.
Die Parallelen zum aktuellen weltpolitischen Geschehen sind nach dieser Erklärung nur allzu offensichtlich.
Zielgruppe
Ich habe vor ein paar Wochen bei mir zuhause einen Star Wars-Marathon geschaut, bei dem wir uns über 14 Stunden hinweg die ersten sechs Filme angesehen haben. Der Großteil der Besucher quälte sich durch die Filme 1-3 und freute sich auf die Episoden 4-6 – mit zwei Ausnahmen: Ein Freund hatte seine zwei Kinder mitgebracht, die sich mit dem kindlichen Anakin Skywalker aus Episode 1 identifizieren konnten und daher beim Podrennen eifrig mitfieberten. Für diese Zielgruppe wurde Episode 1 gemacht. Episode 2 hingegen richtet sich an Menschen, die sich für die Besteuerung intergalaktischer Handelsrouten und schlechte Dialoge über die Nachteile von Sand interessieren, und Episode 3 haben wir uns ohnehin nur aus Gründen der Vollständigkeit angesehen.
Episode 7 hingegen adressiert klar jene Menschen, die mit den Episoden 4 bis 6 aufgewachsen sind und sich nun eine Fortsetzung gewünscht haben, die den Spirit der alten Filme weiter trägt und ein paar neue Inputs bringt – aber ja nicht zu viele.
Das ist schön, weil es – wie eingangs erwähnt – den Vintage-Stil der Originalfilme wiederbelebt und den Zuschauer in diese Galaxie entführt, mit der wir aufgewachsen sind. Der Nachteil ist jedoch, dass Vieles äußerst ersetzbar wirkt: Starkiller Base ist ein Todesstern auf Ecstasy, Jakku erinnert nur allzu stark an Tatooine, die „First Order“ agiert nicht anders als das Imperium und die neue Kantine sieht jener in Mos Eisley zum Verwechseln ähnlich – außer, dass die Band nun Reggae spielt.
Wie es weitergehen könnte
Es ist daher mit Spannung zu erwarten, wie Disney die Geschichte weiter erzählen wird. Die Stoßrichtung wurde nun festgelegt: Das Setting kehrt zurück zum ursprünglichen Geist der späten 1970er-Jahre, die Charaktere sind raue Underdogs und zwischen Gut und Böse wird klar differenziert.
Nun geht es darum, in diesem Setting eine Geschichte zu erzählen, die den Zuschauern Neues bieten kann. Aber dem Typen, der schon mit „Lost“ die Leute vor den Fernsehern fesselte, sollte das eigentlich gelingen. Dass er schon früher eine gewaltige Begeisterung für Star Wars zeigte, sieht man in dem abschließenden TED-Video.