Zum Inhalt springen

Indien

Eine Kleinigkeit

Ach, verdammt: Arbeiten muss ich ja auch ab und zu. Denn mit irgendeinem Geld muss ja die Reise eines urbanen Business-Nomaden finanziert werden. Und so begebe ich mich in Chennai nochmals ins Start-Up Center, um dort ein paar Artikel in die Tasten zu klopfen und nach Österreich zu schicken – dabei geht es um ein potentielles Handelsabkommen zwischen Indien und der Europäischen Union. Recherchieren, Schreiben und Verschicken kann ich ja zum Glück überall auf der Welt, solange ich einen Laptop und einen Internet-Zugang habe; und das Start-Up Center ist trotz seiner seltsamen „Dawn oft he Dead“-Atmosphäre dafür bestens geeignet.

Dann zieht es mich zum Knüpfen potenziell interessanter Kontakte noch auf eine Messe rund um das Thema Wasser. Diese findet im „Chennai Trade Center“ statt – ein Ort, den keiner meiner Bekannten, Freunde und Office-Kollegen kennt, der aber laut Google Places „eines der besten Messe-Zentren Asiens“ ist. Nun ja, dann lasse ich mich mal überraschen.

Die Anfahrt dauert ewig. Der Autorikscha-Fahrer will freilich kein Taxameter verwenden, weshalb wir länger verhandeln – schließlich bugsiert er mich doch eine Stunde lang durch den Verkehr, vorbei an hupenden und stinkenden Autos.

Einmal angekommen sorgt das weite Gelände am Stadtrand für eine positive Überraschung: Hier ist es ruhig, und sauber – mit vielen Grünflächen, gut gepflegten Hecken und Bäumen; der Besucher schaltet automatisch einen Gang herunter, atmet durch, wird entspannt, flaniert – vorbei an Sicherheitsmännern, Gärtnern und viel Grün – in Richtung Messehalle.

Und auch dort, alles schön: Hinter einem Springbrunnen, der leise dahin plätschert erhebt sich die Halle; am Eingangsbereich funktioniert die Registrierung problemlos – ich erhalte Unterlagen und ein Namensschild und betrete das Gebäude. Dort sammle ich Visitenkarten ein, teile hier und da auch selbst eine aus – und auch das eine oder andere Gespräch führe ich mit interessanten Unternehmen aus der Wasserwirtschaft. Filterung, Lagerung und Verteilung von Wasser – es wird wirklich kein Themenbereich ausgelassen.

Nur eine Kleinigkeit, die gäbe es da halt: Die Entsorgung. Schade, dass der Architekt bei der Planung der Hallen die Toiletten vergessen hat. Wirklich schade. Aber man kann ja nicht alles haben.

Zurück in den Tempel, in dem er geboren wurde

Die Bekannten wohnen in einer Villa am Stadtrand Chennais. Sie sind Deutsche, die aus beruflichen Gründen hier leben; nachdem sie einige Zeit lang eine Unterkunft im Zentrum der Stadt ausprobiert hatten, sind sie an den Stadtrand gezogen – hier ist zwar alles etwas rustikaler, aber dafür bleibt man vom Lärm der Großstadt verschont.

Ich komme an, werde freudig begrüßt und kann mich duschen – immerhin bin ich schon länger unterwegs heute, habe vor einem Kristall meditiert, einen Koffer zerstört und eine längere Autofahrt zurück gelegt. Anschließend gibt es zum Abendessen deutsche Rouladen und Kartoffelbrei. Draußen arbeiten die Bediensteten, füllen gerade den Pool mit neuem Wasser. Auf den antiken Möbelstücken stehen altertümliche Steinstatuen verschiedener hinduistischer Götter und Dämonen, die mit gedämmtem Licht angestrahlt werden.

Oberflächlich betrachtet wecken solche Bilder Neid, wenn sie im westlichen Fernsehen gezeigt werden. Dann ist immer davon die Rede, wie dekadent westliche Expats und Diplomaten im Ausland leben, welch große Häuser sie bewohnen und wie viel sie verdienen. Selten werden in solchen Fernsehreportagen die Widrigkeiten erwähnt: Meine Bekannten erzählen etwa, dass sie vor weniger Wochen drei Tage lang keinen elektrischen Strom hatten – während Zuhause wohl eine Revolution ausbrechen würde, wenn die Menschen nicht auf ihre tägliche Portion „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ kommen, müssen sich Expats und Diplomaten halt irgendwie arrangieren.

Und dann stellen sie fest, dass der Hund weg gelaufen ist; scheinbar hat einer der Gärtner das Tor offen gelassen. Das Tier gehört zur Familie, stammt aber ursprünglich aus der näheren Umgebung. „Wenn das Tor offen ist, läuft er immer weg und kommt dann später zurück“, sagt mir die Frau kopfschüttelnd: „Er kehrt dann zurück in den Tempel, in dem er geboren wurde.“ Das klingt vorerst romantisch und mystisch, ist es aber nicht: Lange nach Einbruch der Dunkelheit ist das vierbeinige Familienmitglied wieder da, wedelt freudig mit dem Schwanz – und stinkt bestialisch nach Kloake. Er hatte sich offensichtlich im Dreck gesuhlt. Als Strafe gibt es Liebesentzug und keine Kuscheleinheiten mehr für den restlichen Tag.

Wir trinken noch ein wenig deutschen Rotwein, und dann lege ich mich schlafen. Still im Bett liegend – so ganz ohne Tinitus – lasse ich die vergangen Tage, Wochen und Monate Revue passieren: Vielfältig war es, auf jeden Fall. Ich habe bei Kakerlaken geschlafen ebenso wie in einer teuren Villa am Stadtrand; ich habe meditiert, gearbeitet und gefeiert. Noch zu Beginn des Tages war ich vor dem größten makellosen Kristall der Welt gesessen, dazwischen habe ich altertümliche Tempel besichtigt und nun liege ich in einem warmen Bett, trunken mit deutschem Rotwein – wieder mal bereue ich nicht, nach Indien gekommen zu sein. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlafe ich ein.

Mit dem Auto durch Indien

Nun muss ich also mit meinem kaputten Koffer irgendwie von Mahabalipuram an den Stadtrand von Chennai kommen, wo Bekannte ein Haus besitzen und ich für eine Nacht unterkommen kann, bevor ich meine Reise fortsetze. Öffentliche Verkehrsmittel bringen mich höchstens in das Zentrum Chennais, und so brauche ich ein Auto. Vor dem größten Tempel der Stadt spreche ich daher den Fahrer eines weißen Ambassador – stilvolle indische Oldtimer – an, ob er mich an mein Ziel fahren könne. Das genaue Ziel wisse ich nicht, aber ein Anruf bei den Bekannten und Google Maps werden uns schon den Weg weisen.

Er verlangt rund 1000 Rupien, und wir düsen gemeinsam in seinem weißen Oldtimer durch die südindische Landschaft – immer an der Küste entlang, zu unserer rechten Seite das Meer. Die Straßen sind außerordentlich gut, merke ich an. Er nickt. Ob er oft Touristen in andere Städte fahre? „Ja“, sagt er. Einen Europäer habe er gar quer durch Indien gefahren, bis nach Bombay rauf, und dazwischen hätten sie immer wieder Halt an unterschiedlichen Orten gemacht, die der Gast sehen wollte. Gekostet hat das 3000 Rupien pro Nacht, plus Benzin, Essen und Unterkunft.

Ich denke an den kaputten Koffer im hinteren Teil des Wagens und stelle fest, dass diese Idee gar nicht mal so schlecht ist: Zwar ist die Reise teurer als mit dem Zug, aber billiger als Fliegen – und deutlich angenehmer, da keine Verkehrsmittel gewechselt werden müssen, lästige Security-Checks entfallen. Zudem ist man deutlich flexibler und erreicht Orte, die mit Zügen und Bussen nur schwer, mit dem Flugzeug überhaupt nicht erreichbar sind. Wirklich Sinn macht das aber erst mit zwei oder drei Mitreisenden – denn so können die Kosten aufgeteilt werden.

Ich mache mir selbst eine geistige Notiz, dass ich dieses Abenteuer zu einem späteren Zeitpunkt in meinem Leben noch nachholen möchte.

Ich höre das Om

Wie vereinbart treffe ich Mauna am nächsten Morgen an den Toren des Matrimandir. Wir passieren den Security-Check, wo sie mich als ihren Gast registriert, und betreten den Garten, der das gewaltige Bauwerk umgibt. Hier führen verschlungene Pfade hin zu der goldenen Kugel, vorbei an Dingen, die für sich selbst genommen schon etwas Besonderes sind – etwa ein Banyan-Baum, dessen Zweige sich majestätisch in den Boden senken, um von dort erneut zu sprießen; den Durchmesser der Blattkrone würde ich auf 20 bis 30 Meter schätzen. Gärtner arbeiten fleißig an der Bewässerung der Rasenflächen, die Sonne des Südens brennt bereits am frühen Morgen auf das Gelände herunter.

Dann erreichen wird die goldene Kugel, die im Sonnenlicht schimmert und glänzt. Unter ihr befindet sich ein kleiner Teich – auf ihn fällt Sonnenlicht, das in ein Loch am Dach der Kugel eindringt, durch den berühmten Kristall hindurch fällt und schließlich am Boden der Kogel wieder austritt, um das Gewässer zu erleuchten. Das Wasserspiel hat die Form einer Lotusblüte, und das kühle Nass plätschert beruhigend dahin.

Zum Betreten der riesigen Kugel – dem spirituellen Zentrum Aurovilles – muss ich meine schwarzen Socken gegen weiße eintauschen. Nicht etwa aus religiösen Gründen, wie mir Mauna erklärt – sondern weil die schwarzen Socken Spuren hinterlassen würden. Das finde ich zuerst etwas zimperlich, doch als ich das Innere des Heiligtums betrete, verstehe ich, was gemeint ist: Die Teppiche sind hier weiß, die Wände aus weißem Marmor, die Geländer aus Glas, die Farblosigkeit des Raums wird unterbrochen von Silber. Menschen sind komplett in weiße Gewänder gekleidet; sie bewegen sich schweigend und gemächlich an Wendeltreppen im Stil eines Gemäldes von M. C. Escher hinauf zum oberen Teil der Kugel. Wäre ich süffisant, so würde ich sagen: Das Gesamtbild wirkt so, wie man sich in den 60er-Jahren die Zukunft vorgestellt hat. Aber eigentlich ist Süffisanz hier nicht angebracht; der Ort strahlt tatsächlich eine magische Energie aus, religiöse Symbole sind übrigens nicht zu finden.

Oben angekommen, sehe ich den Kristall. Es ist eine Kugel, die von oben durch einfallendes Sonnenlicht erleuchtet wird; wie magisch scheint er zu schweben und zu strahlen. Drum herum sitzen Menschen im Schneidersitz auf weißem Teppichboden vor den weißen, gebogenen Wänden der Halbkugel; sie meditieren. Und auch wir haben nun eine halbe Stunde Zeit dafür. Ich setze mich also hin, schließe die Augen und atme bewusst, um mich auf ein anderes spirituelles Level zu bewegen.

Es will mir nicht gelingen.

Denn im Ashram war es zwar ruhig, aber nicht vollkommen still gewesen – hier hingegen herrscht vollkommene Geräuschlosigkeit außerhalb meines Körpers; und dadurch höre ich, wovor ich mich die vergangenen Monate öfters gefürchtet hatte: Ein leises, permanentes Fiepen in meinen Ohren. Oh Schreck, denke ich mir: Ein Tinitus. Wie lange ich ihn wohl schon habe? Vielleicht schon seit Bangalore? Und ich habe ihn bloß nie wahrgenommen, weil es in Indien stets so laut war? Ist es nun zu spät für schulmedizinische Hilfe? Werde ich mein Leben lang dieses Fiepen im Ohr tragen? „Reg Dich ab, konzentriere Dich auf die Meditation“, sagt ein anderer Teil in meinem Körper: „Das ist eine einmalige Chance, ignoriere das Fiepen jetzt einfach.“ Der verängstigte, westliche Teil meines Gehirns streitet sich anschließend lauthals mit dem spirituellen Teil, der einfach nur in Ruhe vor dem größten makellosen Kristall der Welt meditieren will – und dieser Tumult in meinem Kopf tut mir gar nicht gut, ich fühle mich unzufrieden und komme auf keinen grünen Zweig. Und dann – blink, blink – leuchtet schon ein Licht auf, das den Meditierenden das Ende der halben Stunde einläutet. Wir stehen auf und verlassen die Kugel.

Zurück im Garten erkläre ich Mauna mein Problem: „Ich fürchte, ich habe seit Monaten einen Tinitus, und ich habe es erst jetzt – in der Stille – bemerkt“, jammere ich. Sie schaut mich mit großen Augen an und fragt: „War das ein hoher, gleichbleibender Ton?“. Ich bejahe, und sie lacht: „Das war kein Tinitus, das war das OM!“ Der heilige Ton also, der das Universum erfasst? Ich habe meine Zweifel, bin aber höflich. Ich sage ihr, dass ich das wohl falsch verstanden habe; und sie meint lediglich, das beruhe halt auf meiner westlichen Sichtweise. Irgendwie meine ich, zwischen den Zeilen ihrer Aussage ein „Du Trottel“ vernehmen zu können; ich hätte mich auf den Ton konzentrieren sollen und mit ihm meditieren, statt ihn zu ignorieren, sagt sie.

Naja. Ich zweifle die Aussage weiterhin für mich selbst an und nehme mir vor, in Österreich zu einem Arzt zu schauen, solle das Problem weiter bestehen – vermutlich, so fürchte ich, werde ich es wohl in den kommenden Wochen noch weiter hören. Ich verabschiede mich freundlich und fahre mit dem Auto weiter; zuerst nach Mahabalipuram, und dann weiter nach Chennai.

Am Abend des gleichen Tages liege ich in einem Bett, am Stadtrand von Chennai; und es ist totenstill. Komplett still. Mein vermeintlicher Tinitus, so stelle ich erstaunt fest, ist verschwunden.

Auroville: Das endlose Experiment

Nach der Erfahrung im Ashram von Aurobindo ist klar, dass ich auch dem nahe Pondicherry gelegenen Auroville einen Besuch abstatten muss – was so klingt wie die Verballhornung alles Sektoiden in bester Simpsons-Manier ist in Wahrheit ein Versuch, der Ende der 60er Jahre gestartet wurde und bis heute andauert. Hier sollen verschiedene Völker friedlich miteinander leben; es soll spirituelle Erfüllung geben, aber keine Religion; keinen Besitz, aber eine Bereicherung des Lebenssinns durch Arbeit – Ziel ist, ein Vorbild für die gesamte Menschheit zu bilden.

Das klingt stark nach Hippie-Traum und John Lennons „Imagine“ – in Wahrheit sind meine Gesprächspartner aber alles andere als kiffende Alt-68er, sondern eifrige Geschäftsleute; es ist recht schwierig, an einem einzigen Tag alle Termine mit einander zu koordinieren. „Manchmal frage ich mich, wie sich das überhaupt ausgehen soll“, sagt mir ein österreichischer Zivildiener – sein Chef macht sich manchmal mehrere Termine gleichzeitig aus; halt so, wie es im Westen der CEO eines großen Konzerns machen würde.

Schließlich führt mich mein erster Weg doch zu Martin, dem Geschäftsführer eines Unternehmens namens „Auroville Consulting“. Ich frage ihn, was seine Firma so macht – und trete damit schon mal gleich ins Fettnäpfchen: „Das ist nicht meine Firma“, korrigiert er mich. Denn in Auroville gibt es keinen Besitz; sein Unternehmen, sein Haus und sein Einkommen gehören der Auroville Foundation, als Bezahlung für seine Arbeit erhält er – ebenso wie alle anderen, die zum Erfolg Aurovilles beitragen – jeden Monat 11.000 Rupien. Dieses Einkommen ist unabhängig von der Art der Beschäftigung, es gibt keine Angestellten und keine Arbeitsverträge. „Der finanzielle Anreiz fällt somit weg“, sagt Martin, während wir uns im Schneidersitz in einem sonnigen Innenhof gegenüber sitzen: „Daher arbeiten wir ausschließlich aus Leidenschaft für die Arbeit, die meisten hier glauben an die Vision von Auroville.“

Ob man von 11.000 Rupien im Monat wohl leben kann? „Es ist tough, denn in meinem Beruf braucht man einen guten PC, muss Fachliteratur kaufen und auf Konferenzen fahren“, sagt er mir. Es gibt aber auch einen Fonds, aus dem man Geld schöpfen kann, wenn es wirklich dringend benötigt wird – die Bedienung aus diesem erfolgt auf Vertrauensbasis. In Österreich war er fast fünf Jahre lang nicht, bis er im April 2010 kurzfristig zurückkehrte: „Da habe ich festgestellt, dass sich in der langen Zeit nicht wirklich etwas verändert hat“, sagt er grinsend. In Auroville, wo permanent an einer besseren Welt gearbeitet wird, tut sich einfach mehr.

Und die Kulturen mischen sich – allein in Martins Freundeskreis finden sich acht Nationalitäten, wie er mir erzählt. Die gesamte Community macht heutzutage mehr als 1800 Einwohner aus 35 Nationen aus, die in 80, auf zehn Quadratkilometern verstreuten Siedlungen unterschiedlicher Größe leben. Über 40 Prozent der Bewohner sind Inder, rund 15 Prozent Franzosen und elf Prozent Deutsche. Vor der Gründung Aurovilles gab es hier bloß zwei Dörfer mit rund 50 Einwohnern – und nachdem mir ein paar Wochen zuvor eine Reisende von Auseinandersetzungen zwischen den internationalen Siedlern und der lokalen Bevölkerung erzählt hatte, spreche ich Martin darauf an: „Natürlich gibt es Reibereien“, sagt er: Die lokale Bevölkerung habe etwa andere Vorstellungen zu Entwicklung; während der Westler ein Leben abseits des Konsum-Wahns rund um Shopping-Center und schwachsinnige Fernseh-Shows sucht, wünscht sich die hiesige Bevölkerung eigene TV-Geräte und Motorräder – auch Alkoholismus ist ein Thema. „Und das entspricht nicht dem Lebensstil von Auroville“, sagt Martin: „Wir müssen daher Alternativen bieten.“

So wie es Aurelio tut. Er hat in Österreich Ethnomusikologie und Musiktherapie studiert und nutzt hier das Wissen der lokalen Bevölkerung um neue Instrumente zu bauen – in seinem Shop reihen sich Klangkörper aneinander, die ich in dieser Form noch nie gesehen habe. Mit einem Monatsbudget von 500.000 Rupien hat er bisher über 30 Mitarbeiter zu Instrumentenbauern ausgebildet. „Sie waren zuerst Analphabten, nun sind sie im Management“, sagt er mit einem milden Lächeln. Während wir uns unterhalten findet ein paar Meter weiter ein Workshop zum Thema „Body Percussion“ statt – die Teilnehmer klopfen sich auf verschiedene Körperteile und machen lustige Geräusche mit ihren Mündern; Aurelios hauseigene Truthähne stimmen begeistert mit ein.

Und dann ist da noch Mauna. Sie ist Teil des PR-Teams von Auroville, und ich treffe sie zum Mittagessen. „Puh, das ist ganz schön viel Info für einen Tag“, ächze ich: „Vermutlich bräuchte ich Wochen, um das System von Auroville komplett zu verstehen.“ Denn zwischen meinen Gesprächen habe ich noch einem der Museen Aurovilles einen Besuch abgestattet – und dort mich zumindest eingelesen in die Tatsache, dass Auroville auch rund um Solarenergie, Abfallmanagement und Alternative Antriebssysteme eine Vorreiterrolle einnimmt. Mauna lächelt angesichts meines Informations-Overflows: Sie hatte mich schon im Vorfeld per Email gewarnt, dass das Projekt Auroville zu komplex ist, um es an einem einzigen Tag zu erfassen.

Sie selbst ist im Jahr 1971 hierhergekommen. Ursprünglich war sie eine Journalistin, die durch Indien reiste: „Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich nur in Schlagzeilen denke“, sagt sie – jetzt bin ich derjenige, der lächelt; wir verstehen einander offensichtlich. Verschiedene Ereignisse reihten sich aneinander, die ihr Weltbild veränderten; und dann traf sie die Frau Aurobindos – in Auroville bekannt unter dem Namen „Mutter“ – und entschloss sich, hier zu bleiben und beim Fundraising für das Projekt Auroville zu helfen.

Ob das Projekt wohl irgendwann abgeschlossen ist? Derzeit jedenfalls noch nicht, sagt sie: Verschiedene ökonomische Systeme – etwa eine Wirtschaft ohne Geld – wurden bisher ausprobiert, aber alle hatten irgendwie ihre Macken; und so probiert die Community nach einem Trial-and-Error-Prinzip weitere Systeme aus, bis irgendwann die optimale Lösung gefunden ist. Und das kann noch lange dauern.

Wir sitzen in einer Kantine nahe ihrem Büro, und im Hintergrund sehen wir den wohl auffälligsten Erfolg von Maunas Fundraising-Arbeit: Das Matrimandir. Dieses Gebäude mit seiner riesigen goldenen Kuppel ist das geographische und spirituelle Zentrum Aurovilles. Im „Lonely Planet“ habe ich gelesen, dass in seinem Zentrum der größte makellose Kristall der Welt verborgen ist; Fremden ist der Zutritt aber verwehrt. Mauna allerdings merkt, dass ich mehr bin als ein bloßer Tourist; sondern ein Reisender, der etwas sucht, wovon er noch immer nicht weiß, was es eigentlich ist – und außerdem habe ich ihr von meiner Meditation im Ashram erzählt, die zeigt, dass ich spirituell nicht vollkommen unerfahren bin. „Du solltest daher nicht abreisen, ohne im Matrimandir meditiert zu haben“, sagt sie. Ich solle doch am nächsten Tag früh morgens wieder kommen. Das trifft sich gut, zumal ich am nächsten Tag ohnehin nach Mahabalipuram abreisen wollte und Auroville quasi auf dem Weg zwischen dort und Pondicherry liegt – ich willige also ein, fahre zurück nach Pondy und bin schon gespannt auf den nächsten Tag.

Wie ich mein Start-Up für 100.000 Kröten verkaufte

Irgendwann Ende Jänner waren der Wolf und ich gerade gleichzeitig in Bombay, und er wollte sich unbedingt mit mir treffen, um etwas Wichtiges zu besprechen. Wir trafen uns im Hub, und saßen uns kurz danach in meinem Lieblings-Veg-Restaurant in Bandra – dem Sai Sagar – gegenüber.

„Wie sind denn Deine weiteren Pläne für ‚Indische Wirtschaft‘?“, fragt mich der Wolf, während hinter mir der Verkehr lärmt und der Kellner zwei Metallbecher mit gefiltertem Wasser lautstark auf den Tisch knallt. Ich weiß: Mitte März bin ich wieder in Österreich, und dann beginnt wieder mein Arbeitsalltag bei der größten Wirtschafts-Tageszeitung des Landes; nebenbei habe ich während der letzten Monate meine Liebe zum kreativen Schreiben entdeckt und möchte mich in der Freizeit darauf fokussieren. Dann sind da noch die Jungs von Rebeat, die ich in Delhi kennen gelernt habe und die mir vor Augen führten, wie einfach sich heute selbstgemachte Musik digital vertreiben lässt. Und Partys möchte ich auch wieder veranstalten, wenn ich wieder in Wien bin.

Das klingt nach recht viel Arbeit, wenn ich ehrlich bin – und für ‚Indische Wirtschaft‘ könnte ich wohl auch noch Zeit entbehren, aber es wäre nur ein Projekt von vielen, anstatt wie in den vergangenen Monaten das Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Also antworte ich wahrheitsgemäß, dass ich zwar ab und zu noch etwas schreiben würde, aber nicht mehr 100 Prozent meiner Energie in das Medium investieren möchte. „Und ich hingegen möchte, dass mir IW komplett gehört“, sagt der Wolf: „Ich würde gerne Deinen Anteil abkaufen.“ Weil ich ihn so ungläubig ansehe, verwendet er das E-Wort, das bei jedem Internet-Unternehmer leuchte Augen verursacht: „Einen Exit biete ich Dir quasi an.“ Das klingt schon deutlich reizvoller, aber über die Kohle müssen wir freilich auch reden.

Beide Seiten sind wir freilich nicht besonders liquide, man tauschte die finanzielle Sicherheit ein für eine berufliche Freiheit . „Ich kann Dir 1500 € anbieten,“ sagt er – was mich allerdings nicht wirklich begeistern kann. „Naa“, lacht er plötzlich: „Machen wir es anders… ich biete Dir einen Lakh!“ Ein Lakh – das sind 100.000 indische Rupien. Und 100.000 Kröten bei dem Verkauf meines ersten Start-Ups eingesammelt zu haben, das klingt gut. Das macht eine gute Überschrift für einen Blogbeitrag her; und so manche werden wohl auf den Link klicken in der Hoffnung, ich sei nun neureich (Tut mir leid, Sie an dieser Stelle enttäuscht zu haben). Und es ist deutlich mehr als ich bekam, als ich nach ebensolanger Zeit meine Arbeit an der Okto-Sendung „Community.Talk“ im Jahr 2008 niederlegte (nämlich nichts).

Ich willige also ein.

Aufstand der Maschinen

Danach trennen sich unsere Wege wieder. Den Wolf zieht es in den Norden und in den gefährlichen Osten des Landes; ich kämpfe hingegen im Süden gegen Kakerlaken-Krieger, meditiere vor dem größten makellosen Kristall der Welt und versuche mich als organisher Farmer (mehr dazu später auf diesem Kanal und in meinem bald erhältlichen Buch). Irgendwann treffen wir uns dann wieder in Bangalore; und ich kriege Post von der SVA – eindeutig: Jetzt wird es langsam mal Zeit, dass ich mein Exit-Geld einsammle; von dem Verkauf meiner ersten Firma kann ich dann zumindest einen Bruchteil meiner Sozialversicherungsbeiträge für ein Quartal bezahlen.

Also machen wir es uns in dem Wohnzimmer einer guten Freundin bequem. Auf dem Flatscreen im Hintergrund läuft gerade „Terminator 3 – Aufstand der Maschinen“; und während Schwarzenegger gegen Roboter kämpft, schreiben wir unseren Exit-Vertrag: Wir geben  uns große Mühe, Sachen hinzu zu dichten, um ihn professioneller wirken zu lassen; aber es hilft alles nichts: Länger als eine halbe Seite will er einfach nicht werden. Als Übergabedatum vereinbaren wir den 30. Geburtstag des Wolfs, Gerichtsstand ist Bangalore – wobei das wurscht ist, weil wir einander erstens ohnehin niemals klagen würden und zweitens keine Anwälte anwesend sind. Hätten wir uns ja unmöglich leisten können.

Dann gehen wir Bier trinken.

Neues Erscheinungsbild

Tja, und nun hat IW ein neues Erscheinungsbild: Statt unserer beider Köpfe prangt da nur noch das Bild des Wolfs – fesch schaut er aus, so in Schwarz-Weiß. Im Impressum stehen nun nur noch seine Kontaktdaten; aber zumindest mit einem Absatz zollt er mit Tribut, wünscht mir alles Gute und dankt für die schöne Zusammenarbeit.

Ich danke ebenfalls. Für mich ist das Projekt IW nun abgeschlossen; in wenigen Tagen werde ich nach Österreich zurück kehren. Dort warten dann neue spannende Aufgaben auf mich. Ich bereue nicht im geringsten, was in den letzten Monaten so alles passiert ist – und danke dem Wolf, dass er meine Neurosen so gut verkraftet hat. Für seine Zukunft und die von IW wünsche ich ihm nur das Beste. Er hat es sich verdient.