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Bandra

Ein Moment: Bald ist Weihnachten

In der Nähe der St.Andrews-Church in Bandra hockt ein Mann am Wegesrand. Er macht nichts Besonderes, sondern verweilt einfach nur an der Mauer. In seinen Händen hält er einen Papierteller, den er liebevoll zusammen faltet – zwei Mal – und anschließend nachdenklich betrachtet. Dann wirft er ihn auf die Straße.

Eine Familie schreitet an dem hockenden Papiertellerwerfer vorbei. Eines der Mädchen trägt eine rote Zipfelmütze, wie jene des Weihnachtsmanns.

Bertram, der Blogger aus Bombay

Die Pizza-Frau mag ein gutes Beispiel für eine nette indische Begegnung sein – aber sie ist freilich nicht das einzige tolle Exemplar. Etwa gibt es da einen Blogger, der in Bombay lebt und den ich sehr schätzen gelernt habe. Weil ich Alliterationen so mag, sollten wir ihm den Namen Bertram geben – Bertram, der Blogger aus Bombay.

Bertram der Blogger führt mich begeistert durch Bandra, einen Stadtteil von Bombay mit eigener Bucht. „Bombay ist meine Stadt“, sagt der begeisterte Blogger Bertram. Er trägt schon seit einiger Zeit eine leere Wasserflasche mit sich herum. „Warum schmeißt Du sie nicht einfach weg?“, frage ich ihn. „Weil ich mir vorgenommen habe, Müll nicht einfach auf die Straße zu werfen“, beeindruckt mich Bertram. „Die meisten Menschen würden darauf pfeifen“, sage ich. Er nickt: „Die meisten Menschen sind Arschlöcher.“ Nach ein paar Metern finden wir wirklich einen Mülleimer – der Abfall wird fachgerecht von Bertram entsorgt.

Er erzählt, wie er vor ein paar Tagen von einer Reise aus Kuala Lumpur zurückgekehrt ist. Im Flugzeug hatte er noch seinem Sitznachbar begeistert erzählt, wie sehr die indische Wirtschaft boomt, wie eine neue Mittelklasse entsteht, wie technologieaffin Indien ist… Er erntet bewundernde Blicke für seine Beschreibungen des indischen Utopia – bis der Flieger in Bombay aufsetzt, die Türen sich öffnen, und diese spezifische Bombay-Geruch in die Nasen der Passagiere dringt, diese Mischung aus Urin, Räucherstäbchen, Meer, Gewürzen und Undefinierbarem. Der Gesichtsausdruck des Sitznachbars wandelt sich augenblicklich von Bewunderung zu Mitleid. „Warum ändern sie nichts daran? Warum muss ausgerechnet der Flughafen stinken, wo Reisende den ersten Eindruck meiner Stadt kriegen?“, fragt er vorwurfsvoll.

Wir spazieren hinauf zum Fort von Bandra, beobachten das Meer und die Ratten, wie sie an der Küste im Sonnenuntergang herum tollen – sie sind so groß wie durchschnittliche Hauskatzen. Zwei Inder kommen, beugen sich über die Brüstung und spucken in den Abgrund. Bertram ärgert sich – genau so, wie er sich ein paar Minuten zuvor über den rücksichtslosen Fahrstil mancher Autofahrer geärgert hat, als wir die Straße überquerten. „Das ist meine Stadt. Und ich will, dass sie schön ist“, fasst er zusammen: „Es kann doch wohl nicht sein, dass das Verantwortungsbewusstsein der Menschen außerhalb ihrer eigenen vier Wände aufhört.“

Bertram ist etwas Besonderes. Und das schreibe ich nicht, weil es eine Alliteration ist. Sondern, weil es stimmt. Bertram, der bewundernswerte Blogger aus Bombay.

Ein Moment: Der Cyber-Straßenkehrer

Auf dem Fußweg von meinem Wohnort ins Büro – Beide im hippen, sauberen Bombayer Bezirk Bandra gelegen – wird mir die Strecke von einem arbeitenden Menschen versperrt: Ein Straßenkehrer. Das ist an sich nichts Besonderes, allerdings fiel mein Blick auf sein Ohr: Während er geschäftig den Dreck zusammen kehrte, prangte an seiner Ohrmuschel ein Headset – eben eines dieser Geräte, das sich über Bluetooth mit dem Handy verbindet, so dass der professionelle Arbeiter auch weiter werken kann, wenn er gerade ein wichtiges Gespräch führt. In meiner Heimat rennen hauptsächlich Manager mit solchen Dingen geschäftig über IT-Messen, ich nenne sie stets liebevoll „Business-Borgs“.

Die brauchen das, habe ich mir bisher immer gedacht – weil die halt so beschäftigt sind und Deals per Telefon abschließen müssen, während sie gerade mit den Händen ein Offert verfassen. Und nun, so scheint es, ist die Technik auch beim einfachen Straßenkehrer in Bandra angekommen. Technischer Wandel findet statt, und er transformiert die Gesellschaft. Toll.

Dann kratzte er sich geistesabwesend an den Eiern. Und ich setzte meinen Weg fort.