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Wien | Vienna

Die nette Dame aus dem Vespa-Fachgeschäft

Eigentlich wollte ich heute endlich etwas über die neuesten abgefahrenen Werbetrends aus Berlin schreiben. Aber dann hat sich doch wieder ein anderes Thema dazwischen gedrängt.

Wie Menschen aus meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis wissen, sind mir diese Woche am Naschmarkt beide Seitenspiegel meiner Vespa abmontiert und gestohlen worden. Finanziell ist das halb so wild, da so ein Spiegel nur rund 20 € kostet, auf Ebay ist er gar um einen niedrigen einstelligen Betrag zu haben – entsprechend ist das Handeln des Diebs  nicht nur unmnoralisch, sondern auch dumm. Er hat sich sein Karma versaut, seine Seele verkauft; und vom finanziellen Ertrag kann er sich nicht mal ein Abendessen leisten.

Ärgerlich war für mich nur die Aussicht, wieder in ein testosterongetränktes Motorradgeschäft zu gehen, um die neuen Spiegel zu kaufen.

Denn auf den meisten Webseiten, die sich um den motorisierten Zweiradsport drehen, geht es um dicke Brummer, meist präsentiert in Kombination mit exzessiver Darstellung sekundärer weiblicher Geschlechtsmerkmale. Vespa-Fans, die einen Hang zu Nostalgie und schmuckem Design haben, urbane Freizeitintellektuelle wie meine Wenigkeit, schreckt so was ab. Ich brauchte was anderes und erinnerte mich wieder an den Laden „Filipo Vespa“ auf der Nussdorfer Straße, den ich mal im Vorbeigehen entdeckt habe – ein Vespa-Fachgeschäft. Verunsichert war ich aber durch die Tatsache, dass der Laden keine schmucke Website hat – würde ich auch hier statt intellektuellen Cosmopoliten auf schmierige Automechaniker stoßen, die an jeder Wand drei PinUp-Kalender hängen haben?

Weit gefehlt: Als ich den Laden heute morgen betrat, fand ich in dem kleinen Raum zuerst Leere. Bis aus dem hinteren Teil des Geschäfts eine ältere Dame mit grauem Haar hervor trat – schätzungsweise ist sie schon in den wilden 50er-Jahren auf Vespe durch die Landschaft gedüst.

„Ich brauche zwei Spiegel“, sage ich, „links und rechts. Sind mir beide gestohlen worden.“ Die Dame versteht, sagt: „Da muss ich mal schauen, was wir noch haben; Montag geht das dann alles wieder schneller.“ Sie verschwindet wieder im hinteren Teil des Ladens, kramt in Kisten: „Ich hab vier linke… wo ist denn der rechte… ach, da…“. Langsamkeit ist hier Programm; und ich finde es irgendwie super. Keine elektronische Lagerverwaltung, kein Heckmeck, keine PinUps – stattdessen lächelt sie stolz, als sie mir die beiden Spiegel hin legt.

Bankomat-Zahlung gibt es keine. Und auch keinen Computer. Dass sie einen rechten Spiegel nachbestellen muss, schreibt sie per Hand auf einen Zettel. Zwei Zettel hat sie schon da liegen mit Dingen, die im Lager fehlen. „Ich könnte das mit Computern machen, aber ich will nicht“, sagt sie: „Früher hätte ich ja ein Fax geschickt, aber das geht auch nimma so gut wie früher.“ Sie entschuldigt sich freundlich für das Durcheinander: „Montag ist der Gerhard wieder da; der macht das normalerweise. Ich mache hauptsächlich die Buchhaltung.“

Ich kenne Gerhard noch nicht, aber ich freue mich auf ihn. In einer Welt, in der der Handel von Ketten und Konzernen dominiert wird, kehre ich gerne zurück in ein Mini-Universum, in dem Freundlichkeit und Menschlichkeit mehr zählen als IT-gesteuerte Effizienz-Maximierung.

Das Geschäft habe ich mit einem Lächeln auf den Lippen verlassen.

Donauinselfest: Kein Schlamm, aber viel Dreck.

Der Schwarzmalerei der Wetterfrösche haben wir zu Unrecht vertraut. Denn geregnet hat es am Samstag den ganzen Abend über nicht, zumindest nicht auf der Donauinsel. Zur Ehrenrettung der Meterologen-Zunft sei hier aber angeführt, dass die Luftfeuchtigkeit in Wien derzeit höher ist als in Mumbai zu Beginn der Monsum-Zeit – und das ist alles andere als angenehm. Somit war es also heiß und schwül; und so wie wir uns ursprünglich vor einem Sommerregen gefürchtet hatten, so sehr sehnten wir ihn nun herbei – als Immigrant habe ich mich bereits wunderbar an die hiesige Kultur angepasst: Einen Grund zum Sudern gibt es immer; und kein Zustand ist perfekt.

A propos sudern/nicht perfekt: Abgesehen vom Wetter erwarten uns auf dem DIF auch in diesem Jahr wieder die üblichen Organisationsprobleme: Einer geht Bier holen just wenn zehn andere Mitglieder der Horde zur anderen Bühne wechseln wollen – Warten! -; andere wollen unbedingt Freunde treffen, die wieder woanders sind; das muss besprochen werden – wieder warten! -; eine größere Gruppe bricht Richtung Dixi-Häusl auf, bei ihrer Rückkehr fällt einem Nachzügler ein, dass er ebenfalls nochmal die Blase entleeren möchte – WARTEN! – und zwischendurch verlieren wir immer wieder Leute, weil wir auf das Fastfood in unserer Hand starren, einer Schlägerei ausweichen müssen oder einfach nur darauf achten, dass uns Betrunkene nicht ins Bier rotzen.

Aber hey: Einem geschenkten Gaul schaut man ja bekanntlich nicht ins Maul.

Nun zur Musik:

Als wir um ca. 19 Uhr uns endlich zur FM4-Bühne vorgekämpft hatten, platzten wir mitten ins Sterne-Konzert. Die Sterne… Helden meiner Sturm-und-Drang-Zeit! Sänger Frank Spilker steht auf der Bühne mit den Jungs, singt seine poetischen Parolen Richtung Publikum. Wir sollen raus, wir sollen die Welt retten; wir hängen hart… fest entschlossen, den Ort zu verlassen…. denn wahr ist, was wahr ist… da hilft nicht auf der Welt… Von allen Gedanken… Die Interessanten… Was hat Dich bloß so ruiniert?

Vielleicht zu oft gesehen, vielleicht sind sie alt geworden, vielleicht aber auch wir, vielleicht liegt’s an Franks neuer Frisur; oder auch daran, dass er in letzter Zeit mehr Energie in seine Soloprojekte gesteckt hat statt in die Band. Jedenfalls: Die neuen Stücke rocken nicht so wie die alten; und auch bei den alten Stücken kommt die Stimmung nicht so sehr auf wie früher. Naja, man applaudiert trotzdem: Der alten Zeiten mit Kopfzerbrechen und Leute-abwertend-anschau-Einstellung wegen.

Aufbruch zur Ö3-Bühne.

„How much is the fish?“
Ziel war, es pünktlich zum Scooter-Konzert zu schaffen. Die Band ist teilverantwortlich für zahlreiche verhunzte Pubertäten, hat den Sound der 90er deutlich geprägt. Geld zahlen würde ich dafür nie, aber man muss sie mal gesehen haben – eine einmalige Gelegenheit. Nach den bereits zuvor erwähnten üblichen Organisationsproblemen erreichen wir die Ö3-Bühne zeitig, sehen noch Snow Patrol: Zeitgenössischer Britpop-Rock aus der Dose, mit Schmusenummern und ein wenig Distortion. Freundliches Gähnen. Dann: Scooter. Hardcore.

Unsere Einstellung, eine Gratis-Freakshow zu Gesicht zu bekommen, teilen viele. Der Platz ist brechend voll; um uns herum springen die Leute, ahmen HP Baxxters Prolo-Posen nach, Mädels brüllen: „HP, ich will ein Kinder von Dir!“. HP hat das freilich nicht gehört, ruft aber ins Mikro: „All young girls, go directly to the V.I.P.!“. Heiser gebrüllte, betrunkene Antwort aus dem Publikum: „HP, du geile Sau!“.

Musikalisch ist Scooter so monoton, wie wir sie in Erinnerung haben. Abwechslung kommt durch wechselnde Backgroundtänzerinnen und -tänzer, Lichteffekte und jene Textzeilen, die freilich jeder kennt, es aber niemals zugeben würde: Von „Maria, Maria“ bis hin zum legendären Dadaismus-Klassiker: „How much is the fish?“. Die Stimmung ist am Höhepunkt. Die Menge tanzt, grölt mit, niemand nimmt diesen Blödsinn wirklich ernst. Ist aber auch egal.

Vor der Zugabe verlassen wir das Gelände, um uns Massenansammlungen zu ersparen; dabei kommen uns noch der Klassiker „Hyper, Hyper!“ und eine Cover-Version von „Bitter Sweet Symphony“ zu Ohren. Letzteres verursacht eine Gänsehaut: Stimmt ja, da war ja noch was anderes in der Pubertät aus schnelle Beats und zugedröhnte MCs.

Als ich schließlich im Bett liege und gegen den Tinitus kämpfe, schießt mir eine Frage durch den Kopf: „Was habe ich an diesem Abend eigentlich gelernt?“. Und ich gebe mir selbst die Antwort: Wer Anfang der 80er geboren wurde, darf sich glücklich schätzen, denn er durfte die Pubertät mit unschuldigem Party-Techno und die Sturm-und-Drang-Zeit mit intellektuell bereichernder Hamburger Schule verbringen. Danach kam nur noch Retorten-Mist.

Irgendwie eine schöne Erkenntnis für einen Samstagabend.

Spaßverbot im MQ?

mq-bierNatürlich liegt mir nichts ferner, als eine Kausalität zwischen diesem Blog und dem restlichen Universum zu implizieren. Aber es ist schon auffällig, dass nur wenige Tage nach dem Erscheinen meines Postings über Bier-Händler im MQ eine besorgte junge Dame auf mich zutritt mit einem Flyer, den MQ-Securities ihr übergeben haben.

Der Wisch kommt zur Anwendung, wenn Leute es wagen, im öffentlichen Raum Dosenbier zu trinken; es werden die neuen Verhaltensregeln für das Museumsquartier angeführt, konkret:

  1. Eigenes Bier darf nicht getrunken werden. Nur jenes, das in den Lokalen um fünf Euro ausgeschenkt wird; in Mehrweg-Bechern, die nach Sperrstunde nicht mehr übergeben werden können.
  2. Müll muss entsorgt werden.
  3. Graffitis und Schmierereien auf den Enzis, die jedes Jahr eine andere Farbe haben (sic!), sind verboten. Im Flyer wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese kriminelle Handlung mit Videoüberwachung bekämpft wird.
  4. Der Verkauf von Getränken (wie berichtet) und Zeitungen (auch der Augustin?) ist verboten – außer durch die ansässige Gastronomie.
  5. Musizieren und Abspielen von HiFi-Geräten ist verboten.
  6. Radfahren und Skaten ist verboten.

Gegen dieses Vorgehen formiert sich bereits eine Bürgerbewegung; wie in so vielen Fällen auch hier über das Social Network „Facebook“.  Die Gruppe „Freiheit im MQ“ hat inzwischen knapp 5000 Mitglieder und richtet sich gegen diverse Punkte der neuen Hausordnung; die Gruppe „Bring your own beer to Meseumsquartier“ versteift sich vor allem auf das Gerstensaft-Problem. Die Gruppen argumentieren damit, dass das MQ ein öffentlicher Platz ist, für den sie immerhin Steuern zahlen. Er gehöre dem Volk, nicht  der Gastronomie.

Zwecks Protest sind auch gleich zwei Events geplant: Ein Flashmob am 13. Juni und ein kollektives Biertrinken am 20. Juni. Für ersteres Event gibt es noch recht wenig Informationen, allerdings wird mit einem Lied von Cat Stevens geworben – hoch lebe der Geist der 68er! Für das zweitgenannte Event ist vorgesehen, dass sich die Teilnehmer ab 18 Uhr alle fünf Minuten gegenseitig zuprosten.

Als Journalist steht es mir freilich nicht zu, hier meine eigene Meinung kund zu tun. Ich weise allerdings freundlich auf die „Kommentar“-Funktion dieses Blogs hin und erkläre die Diskussion unter den Leserinnen und Lesern hiermit für eröffnet.

Zudem sehe ich die Zeit nun gekommen, auf meine frisch eröffnete Spreadshirt-Boutique hinzuweisen. Wer an einem der beiden Events teilnimmt oder auch sonst einfach nur still den eigenen Unmut zum Ausdruck bringen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, sich folgende Produkte genauer anzusehen:

Ich wünsche viel Spaß beim Shoppen und Trinken – zu welchen Preisen auch immer 😉

Bier statt Aktien

„Du kaufst Dir eine Palett’n, säufst Dich an, machst dabei auch noch einen Gewinn – was gibt’s Geileres?“ – der junge Herr, der diese weisen Worte ausspricht, steht vor unserem Enzi im Museumsquartier, trägt eine dieser EdHardy-Kappen, Baggy-Pants und hat einen großen Rucksack mit sich, gefüllt mit kühlstem Ottakringer. Der Typ ist Unternehmer: Das 16er-Blech kauft er im Supermarkt um Cent-Beträge,lädt es in seinen Rucksack und verkauft es an die MQ-Besucher (längst nicht mehr nur Bobos, sondern inzwischen auch normale Menschen) um 1,50 €. Pro Dose macht er also gut einen Euro Gewinn. Und das Geschäft floriert: „Gestern war ich mit einer Palette da, die war schon um 10 Uhr weg; heute habe ich zwei Paletten, auch die habe ich jetzt verkauft“, sagt er. Es ist knapp 11 Uhr, er nippt an seiner Dose: „Jetzt hab ich Feierabend“.

Diesen Sommer sind die Dosen-Verkäufer verstärkt im MQ unterwegs. Mein Gesprächspartner arbeitet mit einem Freund zusammen, sie teilen sich den Gewinn. Gelernt hat er sein Handwerk von einem älteren Lehrmeister, der das Geschäft angeblich schon seit Jahren betreibt und „hier wohl irgendwo in der Gegend wohnt – das ist praktisch, dann kann er von zuhaus‘ immer kühles Bier nachholen.“ Ob die beiden wohl Konkurrenten sind, die Gefahr von Bandenkriegen besteht? „Das habe ich auch anfangs gedacht, aber der sieht das eigentlich ganz gelassen“, sagt er, schaut mich dann aber warnend an: „Komm aber ja nicht selbst auf die Idee, mir das nachzumachen!“

Was bringt die Zukunft?

Was wir schon lange geahnt haben, wird hier anhand eines Fallbeispiels nachgewiesen: Das Investment in Gerstensaft ist rentabler als riskante Aktien-Deals. Aber was sagt die MQ-Gastronomie eigentlich zu dem Thema? Noch sind die Dosen-Männer kleine Fische, die ihr Geschäft versteckt betreiben – früher oder später dürften aber mehr und mehr Besucher es reizvoller finden, sich für 1,50 € das Bier ans Enzi bringen zu lassen, statt sich für 4 € (!) selbst eins holen zu müssen. Und dann ist die Frage, wie sich die Zukunft entwickelt.

Dann besteht die Gefahr, dass im MQ verstärkt Securities eingesetzt werden, um den illegalen Bier-Handel zu unterbinden – und das geht auf Kosten der Gemütlichkeit. Wer kann sich schon gepflegt entspannen, wenn um ihn herum eine Razzia läuft?

Anderes Szenario: Die etablierte Gastronomie lässt die Dosen-Händler gewähren, es gibt eine friedliche Ko-Existenz. Dann würden schon bald weitere Branchen folgen: Es gäbe Semmel-, Snack- und Souvenir-Händler, die ihre Waren den Gästen anbieten. Das hätte dann was von Urlaub, irgendwo östlich von Istanbul. Es wäre ein Atmosphäre-Bonus, von dem auch die etablierte Gastro wieder profitieren würde.

Was die Zukunft in der Hinsicht bringen wird, werden wir sehen. Das MQ ist jedenfalls immer für einen netten Abend und eine Überraschung gut, während Bier immer Bier bleibt. Und mei Bier is ned deppat.

Breaking News: Studie zu Essverbot in Wiener Linien

Ich war heute auf einer Pressekonferenz der Wiener Linien, bei der es eigentlich um eine Kooperation der städtischen Öffis mit der TU Wien ging. Der Termin fand bei Sonnenschein in einer fahrenden Straßenbahn statt, und wir nahmen uns den Kaffee zum dazu passenden Buffet gleich in die Bim mit (Journalisten haben immer Hunger; deshalb gibt es zu jedem Termin was zu essen und trinken); die Gelegenheit, als ich mit den werten Herren Kaffee schlürfend im Waggon saß, nahm ich zum Anlass, mich mal zu informieren, wie es eigentlich um ein Essverbot in den Wiener Linien steht. Und siehe da: Die Wiener Linien führen derzeit tatsächlich eine groß angelegte Studie durch, haben an 30.000 Jahreskartenbesitzer Fragebögen ausgeschickt, ob sie für oder gegen ein Essverbot in den Öffis sind. Normalerweise bekommt man bei einer schriftlichen Befragung dieser Art maximal zehn Prozent der ausgeschickten Fragebögen ausgefüllt zurück; in diesem Fall waren es aber heiße 50 Prozent – ein Zeichen dafür, wie stark das Thema polarisiert. Auch wenn die Fragebögen noch ausgezählt werden müssen und die Arbeit nun fünf Mal so groß ist, ahnt man bei den Wiener Linien bereits: "50 Prozent der Befragten werden dafür sein, 50 dagegen."

Wieso man denn dann überhaupt eine Umfrage mache, fragt ein älterer Mann, der sonst das ganze Gespräch über geschwiegen hatte. Der nette Herr von den Wiener Linien holte aus, um zu erklären, dass man heutzutage dem Kunden das Gefühl gibt, etwas wert zu sein: "Wissen Sie, vor 30 Jahren hätte man das noch so gemacht, das man keine Marktforschung macht…" – "Vor 30 Jahren gab es auch noch kein Kebap und keine Pizza", wurde er unterbrochen.

Bumm. Auf dem Niveau waren wir also plötzlich gelandet.

Plötzlich hatte sich der ältere Herr nämlich warm geredet und fing an zu schwärmen, wie schlimm das mit dem Essen – konkret mit Pizza und Kebap – sei und das das Essen – besonders Pizza und Kebap – verboten gehören. Das andere Essen, früher, das sei ja nicht so schlimm gewesen, aber Pizza und Kebap, das gehöre wirklich verboten. Man wies ihn freundlich darauf hin, dass er gerade einen Kaffee trinke, mit dem er den Waggon ebenso versauen könne wie mit einer Knoblauchsauce, doch der Mann ließ sich nicht beirren – die Pizzen und Kebaps sollen verschwinden. Und dass die Leute telefonieren, sei auch ganz schlimm. Letztens habe ein junges Mädel die Frechheit besessen, in der Straßenbahn hinter ihm zu telefonieren – "Und als ich ihr gesagt habe, sie soll still sein, hat sie zu mir gesagt: ‚Du Rassist!‘."

Essen ist übriges derzeit nach wie vor in den Wiener Linien erlaubt – wurscht, aus welchem Land es kommt. Wichtig ist nur, dass es die Öffis nicht verdreckt. Und Telefonieren ist auch erlaubt – in jeder Sprache, denn auch Mitmenschen ohne deutsche Muttersprache haben vielleicht gerade einen Notfall, um den sie sich kümmern müssen. Schließlich haben die Wiener Linien viel Geld in die Hand genommen, um zu ermöglichen, dass die Handys auch unterirdisch Empfang haben – dann wäre es wohl ziemlich sinnlos, anschließend Telefonate zu verbieten, gell?

Aber wem gegenüber argumentiere ich hier eigentlich? Manche Leute kommen halt nur auf Pressekonferenzen, um zu essen. Und sich selbst beim Schimpfen zuzuhören.

Wien is nich Kölle

Auch wenn ich meine ethnische Herkunft auf diesem Kanal selten hervor hebe, zu manchen Anlässen muss es einfach sein: Ich bin Rheinländer, oder – wie man in meiner Heimat sagen würde – „Isch binnene kölsche Jong!“ Umso mehr leide ich alle Jahre wieder, wenn ich mit erleben muss, wie in hiesigen Breitengraden die heiligen Festtage des Karneval befeiert werden. Nämlich gar nicht. Man könnte ja meinen, ich hätte mich an eine solche Unart nach beinahe 12 Jahre im alpenländischen Exil gewöhnt, doch leider hat das Jahr nun mal 365 Tage – und auch wenn ich jedes Jahr von Neuem enttäuscht werde, so ist spätestens am 11.11. alles wieder vergeben und vergessen, so dass das Schicksal erneut seinen unheilvollen Lauf nehmen kann.

Dieses Jahr hatte ich viel vorgehabt: Ich wollte eine groß angelegte Karnevalsparty starten, sogar inklusive Nubbelverbrennung… Wie, Sie wissen nicht, was ein Nubbel ist? Das ist ein rheinländischer Brauch: Der Nubbel ist eine Puppe, die vor den Kneipen aufgehangen wird und dort während der gesamten Karnevalszeit hängt. Am Ende der Festivitäten wird er aufgebahrt und eine Anklageschrift vorgelesen: „Wer ist Schuld, dass wir unser ganzes Geld versoffen haben? Wer ist Schuld, dass wir fremd gegangen sind?“ – und ein Chor aus Zuschauern ruft dann: „Der Nubbel war’s! Der Nubbel!“. Das ist so effektiv, dass es sogar Eingang in Jens Uwe Meyers Buch „Fest im Sattel – Insider-Strategien zur Jobsicherung“ gefunden hat (nebenbei bemerkt angesichts der Krise ein sehr lesenswertes Buch). Der Autor rät, sich im Betrieb nicht zum Nubbel machen zu lassen; sonst wird man schnell Opfer diverser Telekom-Manager.

Doch ich schweife ab.

Tatsache ist, ich bin Österreich schon sehr entgegen gekommen: Ich habe das Wort „Karneval“ durch „Fasching“ ersetzt und mehrere mögliche Tage zur Auswahl gestellt, gemeinsam mit mir zu feiern; ja, ich hätte sogar Freibier geboten (!!!). Doch am Freitag, dem beliebtesten Ausgeh-Tag des Landes, war Tote Hose wie in Düsseldorf an Aschermittwoch; und auch weitere Versuche schlugen fehl.

Am Ende blieb mir dann nur noch, am Karnevalsdienstag einen letzten, verzweifelten Versuch zu starten. In dem Zuge landete ich im Charly P.’s, Wiens Lieblings-Location für versnobte Möchtegern-Harvard-Trunkenbolde. Die Verkledidungsquote lag bei ca. 10 Prozent; und das beliebteste alter ego war ein Clown – nicht irgendein Clown freilich, sondern der „Joker“ aus dem letzten Batman-Film. Das ließ im Anbrat-Prozess Freiraum für Interpretation: Entweder, man war ein lustiger Mensch, der auf Clowns steht – oder eben der BadBoy-Serienkiller. Überflüssig zu sagen, dass ich recht früh wieder zuhause war.

Ich freue mich schon auf nächstes Jahr. Dann mache ich aber wirklich eine Party. Ganz ehrlich. Inklusive Nubbel.