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Musik | music

„Mein Privatleben ist ein Witz, den mir niemand erklären wird“

„Mach mal Platz, Thom Yorke, ich habe jetzt einen neuen Helden“, habe ich mir gestern gedacht, nachdem ich das neue Album der US-Rocker Bright Eyes, „The people’s key“ gut zwei Wochen rauf und runter gehört habe: Frontman Conor Oberst, der schon im Alter von 13 Jahren Musik aufnahm, hat die Erwartungen übertroffen und sein wohl bisher bestes Album geschaffen.

Und das schreibt jemand, der monatelang zu einem der vorherigen Meisterwerke – „I’m Wide awake, it’s Morning“ – jeden Morgen aufgewacht ist. Denn dafür war es perfekt: Langsame, verliebte Stücke wie „Lua“ oder „First day of my life“ leiteten den Tag ein, bis uns ein kreischender Oberst im finalen „Road To Joy“ doch aus dem Bett brüllte. Das Album war voller Neo-Country; andere LPs wie „Fevers and Mirrors“ oder „Digital Ash in a Digital Urn“ begeisterten durch ihre verspielt-experimentellen Elemente.

„The People’s key“ ist nun das, was man auch in europäischen Radios spielen kann. Die erste Single, „Shell Games“, ist etwa ein poppiges Liebeslied mit swingenden Gitarrenriffs und poppigen Keyboard-Einlagen – romantisch und mitreißend zugleich, ohne kitschig zu sein. „My private life is an inside joke, noone will explain it to me“,singt Oberst da etwa. Oder er ist „pissed in vinigar“ und „angry, with no reason to be“ – Gedankenfutter für ehemalige Oldschool-Emos.

Wieder ganz anders hingegen die zweite Single „Haile Selassie“ – der äthiopische Regent, der als Pate der Reggae-Bewegung gilt, hat Obers hier ebenfalls inspiert: Am Besten lässt sich das Stück wohl als eine Art „Neo-Reggae“ bezeichnen – „pilgrim across the water“ und „hitchhiking our way to Zion“ sind Text-Fetzen, die dies implizieren, so wie das liebevoll dem Hörer zu gerufene: „You got a soul, use it!“. Off-Beat, wie im alten Reggae üblich, gibt es hier aber nicht; stattdessen regieren die gerade heraus gespielten Gitarren – Im Gegensatz zum Abschluss des Meisterwerks, dem verträumten „One for you, one for me“: Hier dient die Gitarre nur noch zum Abspielen verträmter Flanger-Riffs; den Rhythmus gibt das Keyboard mit seinen spacigen Sounds vor. Der Hörer wird schließlich mit einem wohligen Gefühl zurück gelassen – und der Überzeugung: Bright Eyes haben es hier geschafft, die hoch gesteckten Erwartungen der Fans noch zu übertreffen. In Facebook-Slang gesagt: I like.

Alles im Netz

Warum die Fans das Album bereits hören konnten, bevor es in den Shops erhältlich war, wird man sich nun fragen. Illegale Downloads und geleakte Songs können eine Erklärung sein, sind es aber nicht. Stattdessen hat die Band verstanden, dass man der Raubkopierer-Community zuvor kommen muss – auf dem eigenen YouTube-Account wurde somit hochoffiziell das gesamte Album hoch geladen. Ist das dumm? Auf den ersten Blick schon, weil ja offensichtlich der Reiz zum CD-Verkauf weg fällt.

Aber andererseits: Würde die Band das Album nicht selbst hochladen, so würden die technikaffinen Hörer es sich selbst von illegalen Tauschbörsen ziehen. Und zumindest für mich hat sich durch diese Strategie ein Wandel eingestellt: Nachdem ich das Album nun lange genug probe gehört habe, kann ich es kaum erwarten, wenn Rave-Up-Records kommende Woche die Vinyl-Version im Angebot hat. Die werde ich mir nämlich dann kaufen – zu einem deutlich höherem Preis als dem, was ich früher für eine CD gezahlt hätte. Aber das ist es mir einfach wert, weil ich die Musik spitze finde, die Offenheit im Umgang mit neuen Medien schätze und die Band auf jeden Fall fördern möchte. Ich würde ja auch auf ein Konzert gehen – aber leider kommen Bright Eyes nicht nach Wien; und die Konzerte in Berlin und Amsterdam sind schon ausverkauft.

So, und nun halte ich auch schon wieder Klappe – und wünsche viel Spaß mit der folgenden YouTube-Version des Albums.

Deutsch lernen mit Songwriting

Gestern war ich auf dem Bluebird Festival der Vienna Songwriting Association im Porgy&Bess. Für die Lesefaulen unter Euch eine Kurzfassung: Es war toll; und da das Event auch noch heute und morgen läuft, solltet Ihr hin gehen – sofern Ihr in Wien lebt und Euch für gute Musik interessiert.

Die Ambitionierten unter Euch möchte ich zu einem freitagnachmittaglichen gedanklichen Ausflug einladen, bei dem wir mit Hilfe der einzelnen Interpreten in Vorschul-Zeiten zurück kehren, unsere Kenntnisse über Zeitformen der deutschen Sprache auffrischen.

1. James Vincent McMorrow (Irl)

Eh ganz nett, irgendwie verträumt. Ein Mann und seine Gitarre; singt über die Liebe und das Leben. Eigentlich so circa das, was ich mir erwartet hatte. Aber dann klingt irgendwie auch jedes Lied gleich, auf Dauer ist das ein wenig langweilig. Wohl die richtige Musik für ein romantisches Dinner mit Rotwein und so.

Auffällig: McMorrow redet zwischen den Liedern manchmal komisches Zeug. Von irgend einem Trommler in Paris, mit dem er eine Jam-Session hatte, und eigentlich wollte er 60s-Musik spielen, und dann ist es aber doch Jazz geworden; und das findet McMorrow dann ganz lustig, lacht ins Publikum über den Witz, den keiner verstanden hat…

Eindeutig, die Zeitform „Perfekt„: McMorrow hat komische Sachen geraucht.

2. Sweet Sweet Moon (A)

Oh, diese Niederösterreicher… Als der gute Mann auf die Bühne tritt und einen Loop mit einer Geige bespielt, denkt natürlich jeder gleich an Final Fantasy – eh klar. Aber dann bleibt es (anders als beim Vorbild) nicht bei diesem Solo-Werk ; schon bald kommen eine Harfe und ein Cello hinzu, Mr. Moon tauscht die Gitarre gegen eine Geige.

Anschließend wird es ganz, ganz komisch: Es wird plötzlich auf der Geige Gitarre gespielt, und das noch mit einem Distortion-Effekt versehen, Mr. Moon jault und weint einem Thom Yorke gleich ins Mikrofon, und das Cello wird gegen einen Gameboy getauscht, der brutale Elektrobeats zur Untermalung der Schreie aus der Hölle ausstößt. Ein übersteuerter Flanger verstärkt die Gameboy-Effekte und setzt dem ganzen die Krone auf… Ohhh, wie sehr ich solche Lärm-Orgien liebe!

Wir erlernen das „Plusquamperfekt„: Sie hatten wohl wenig geschlafen und viel getrunken, als sie auf diese Ideen kamen.

3. Grant Hart (US)

Der ehemalige Drummer von Hüsker Dü, die unter anderem den Weg für die Emo-Bewegung ebneten – zumindest habe ich das vor ein paar Jahren mal auf Wikipedia gelesen. Die Musik: Laut, roh – und irgendwie hat es mich an jene Musik erinnert, die ich damals mit einem (leider inzwischen verstorbenen) Freund aus Manchester gemacht habe. Es ist nämlich: Betrunken.

Kurz vor dem Konzert hatte ich eine Begegnung mit Hart.

Ich war am WC (dort, wo man groß macht; nicht am Urinal), als plötzlich jemand an der Tür rüttelte. Draußen gab es einen Tumult, und irgendwer sagte auf englisch: „Wenn man muss, dann muss man nun mal.“ Als ich aus der Kabine heraus trat, sah ich Hart, umgeben von Österreichern, wie er beleidigt drein blickte und ging. Er hatte sein Geschäft – da ich das WC blockiert hatte – in seinen Bierbecher verrichtet. Zwei Minuten später stand der Rocker hochmotiviert auf der Bühne.

Wir lernen das „Futur 1„: Er wird nicht mehr Pipi machen müssen.

4. Scout Niblett (UK)

Sie spielt E-Gitarre mit sehr einfachen Akkorden, ihr Drummer hämmert dazu auf sein Werkzeug ein und spürt die Energie. Dazwischen sagt er: „This is awesome.“ Und er hat recht. Sie wiederum wackelt zu ihrer staccato-artig reingehämmerten Tönen wie ein Wackeldackel auf der Bühne. Dabei trägt sie eine Warnweste. Sie fragt das Publikum, ob es Fragen an sie habe.

„Warum trägst du die Warnweste?“, fragt einer. „Weil ich orange liebe“, entgegnet sie. Sie habe sich auf Ebay auch soeben einen Astronautenanzug in orange ersteigert und freue sich schon darauf.

Irgendwann setzt sie sich selbst ans Schlagzeug, trommelt darauf ein und singt ein Lied über den Tod – nur um kurz darauf in eine Coverversion von Michael Jacksons „Heal the world“ zu wechseln. „Das ist zur Zeit mein Lieblingslied“, erklärt die Frau mit der wütend-hohen Stimme.

Hier gibt es keinen Zweifel, das „Präsens“ muss her: Sie ist absolut bezaubernd.

Danke an alle, die zu diesem schönen Abend beigetragen haben.

Eine längst fällige Nicht-Interpretation

Es steht viel geschrieben über das jüngst erschienene Tocotronic-Album. Texte von Kulturredakteuren diverser Medien, die sich auf Grund des neuen Werks aus Hamburg dazu verleitet fühlen, selbst den Intellektuellen raus hängen zu lassen, mit Neologismen um sich zu werfen und unverständliche Schachtelsätze zu bilden. Und alle geben vor, das Werk zu verstehen. Nach  einigen Versuchen, die Interpretationen zu verdrücken, musste ich schon nach kurzer Zeit kapitulieren – der Brechreiz war einfach allzu treibend. Wer Tocotronic verstehen will, muss verstehen: Tocotronic kann man nicht verstehen.

Das beginnt schon auf der musikalischen Ebene. Wer klugscheißern will, gibt von sich, die Band würde zu ihren Ursprüngen zurück finden. Kompletter Schwachsinn: Wer so etwas behauptet, hat entweder Tomaten auf den Ohren oder Nudeln im Hirn. Fakt ist – da sind sich alle einig -, dass die Instumentalparts des aktuellen Werks deutlich länger sind als bei den jüngeren Vorgängern. Das impliziert aber noch lange nicht eine Vergleichbarkeit mit den Frühwerken. Warum? Der Grund kommt aus den USA und heißt Rick Mc Phail: Der jüngste Neuzugang der Band spielt sein Talent auf „Schall und Wahn“ erstmals aus, seine The Edge-artigen Effektorgien dominieren die Instrumentalparts, der Rest der Band geht dagegen fast unter. Tocotronic sind eine Gitarrenband geworden.

Und an Interpretationen der Texte möchte ich mich gar nicht erst versuchen; das bringt sowieso nichts, weil von der Band anschließend ohnehin alles negiert wird. Die kafkaesken Fragmente sind auf einer rationalen Ebene nicht begreif- oder beschreibbar. Da ist manchmal davon die Rede, dass ein Gift eine Gabe ist, nämlich das Parfüm, das man trägt. Und wo anders wird eine Lanze für den Widerstand hervor gekramt. Aber dann darf es auch keine Meisterwerke mehr geben, weil die Zeit dafür reif ist und… hä?

Ach, verdammt… Versuche, diese Texte zu interpretieren, sind mehr als peinlich. Besser ist, so vorzugehen wie auch bei den Vorgängern: Das Album in verschiedenen Lebenssituationen hören, auf die eigenen Umstände umlegen, drüber freuen und dann auf dem Konzert ganz wild abzappeln. Nach einem intensiven Konsum von „Sag alles ab“ hatte ich etwa gelernt, öfters mal „Nein“ zu sagen. Viellicht foilge ich ja künftig dem Aufruf der aktuellen Single und mache weniger Dinge selbst – oder auch nicht. Sie sind anderer Meinung? Oder ich spreche Ihnen aus der Seele? Sie sind verwirrt? Dann kann ich nur noch zu einem raten: Bitte oszillieren Sie.

Die neue Tocotronic-Single ist online!

Seit einer knappen Stunde ist es so weit: Tocotronics Video zur neuen Single  „Macht es nicht selbst“, der erste Vorbote des im Jänner erscheinenden Albums „Schall & Wahn“ ist auf der Homepage der Band online. Ersteindruck: Wie zu erwarten eher seltsam.

Anders als bei anderen Stücken der jüngeren Schaffensperiode spart die Band hier mit Zitaten diverser Autoren verschiedenster Epochen. Stattdessen kommt die Message klar rüber: „Was Du auch machst, mach es nicht selbst“. Außer Selbstbefriedigung. Und natürlich Selbstausbeutung. Was? Wie bitte? Doch nicht so klar? Typisch Tocotronic eben. Die Interpretation bleibt dem Zuhörer überlassen; und der muss das nun erst mal sickern lassen.

Musikalisch scheint die Band weiter den Weg zu gehen, der sich schon im Voralbum „Kapitualtion“ abgezeichnet hat: Wieder zurück zu den Wurzeln; rockig gehalten mit verzerrter Gitarre – im Hintergrund ist ein Schriftzug zu sehen, der schon an die „Sag alles ab“-Zeit des Vorgänger-Albums erinnert . „Fuck it all“, will uns die Band damit wohl einmal mehr sagen.  Von der Verträumtheit des selbstbetitelten „weißen Albums“ (welches mit „Schatten werfen keine Schatten“ eines der schönsten Liebeslieder aller Zeiten enthält) ist hier nichts mehr zu spüren. Ob von dem Ersteindruck auf das ganze Album zu schließen ist, wird sich noch zeigen. Zumindest die Single sollte aber tanzbar sein und wird daher im Jahr 2010 wohl öfter aus den Lautsprechern des „Flex“ erklingen.

Im Video selbst besprühen sich übrigens überdimensionale Stofftiere gegenseitig und laufen dann brennend durch die Gegend. Flaming Lips meets Rammstein. Auch mal interessant.

Das ganze Video gibt’s übrigens hier.

dirk

Jeder fängt mal klein an – auch Legenden

Heute mal zur Abwechslung kein längerer Textbeitrag meinerseits, sondern ein Schmankerl, das sich in den Tiefen des Internet gefunden hat. David Bowie – der Mann, der nicht Musiker ist, sondern eine Legende – hat irgendwann im Lauf seiner Karriere mal seine erste Fanpost aus den USA bekommen. Genau gesagt: Im Jahr 1967, noch vor dem Start der Hippie-Revolution. Den Antwortbrief Bowies hat nun das Online Medium Revivl ausgegraben.

Im Brief ist Bowie nicht der Gott, den wir heute kennen. Sondern ein kleiner Musiker, der sich einen Haxn über seine Fanpost ausfreut, der Dame mehrmals dankt und ihr mitteilt, dass er hofft „irgendwann mal in die USA reisen zu können“. Irgendwie schön.

Hier der Brief in voller Länge (zum Vergrößern einfach auf’s Bild klicken). Danke an Melanie für’s Ausgraben.

Schall und Wahnsinn

Es kribbelt schon wieder in meinem Bauch, ich habe feuchte Hände, schlafe unruhig, gebe mich öfters Tagträumen hin von dem, was schon bald wieder auf uns zukommen wird: Am 22. Januar veröffentlichen Tocotronic endlich ihr neues Album „Schall und Wahn“ – der erste Langspieler nach einer längeren Veröffentlichungspause, die sich nach ihrem famosen Album „Kapitulation“ (2007) eingestellt hatte.

Wenn Tocotronic ein neues Album auf den Markt werfen, dann verändert sich die Welt. Durch die Tocs wissen wir, dass Michael Ende das Schicksal einer ganzen Generation zerstört hat. Wir wissen, dass es schön wäre, sich für Tennis zu interessieren – und besser, vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren. Wir wären gerne Teil einer Jugendbewegung, würden uns gerne mit dem netten Mädchen aus der Schule drüben auf dem Hügel treffen; und endlich hat auch jemand in Worten und Musik ausgedrückt, wie fürchterlich es ist, wenn Leute  auf der Straße zu langsam gehen.

Seit „Kapitulation“  und dazu passenden Interview wissen wir, dass Kapitulation keine Niederlage ist, sondern etwas Befreiendes haben kann – ein zutiefst buddhistischer Gedanke. Und als Dirk uns entgegen brüllte, wir sollen doch gefälligst alles absagen, folgten wir dieser Anweisung gerne. Kapitulation – Erinnerungen an wilde Sommernächte und ein verrücktes Uni-Wochenende.

Um nun die Wartezeit auf das neue Album noch zu verkürzen, hier noch ein Video von Dirks Nebenprojekt „Phantom/Ghost“ – womit wir uns zumindest an die Stimme der Tocs wieder gewöhnen können – Bass und Schlagzeug folgen dann im Jänner. Danke an Marlo für’s Ausgraben.