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Musik | music

Gequieke und Gejaule… ich will auch!

Manche Leute werden für Dumm- und Dreistigkeit auch noch belohnt. Beispiel: Der Rechtsstreit zwischen den Wiener Stadtwerken und „Final Fantasy“.

Denn das heimische Unternehmen hatte bei der kanadischen Band angefragt, ob sie einen ihrer Songs für einen Werbespot verwenden können.

Owen Pallett, Singer, Songwriter und Kopf der Band sagte „nein“, was aber die Wiener nur zu einem Achselzucken mit gemurmeltem „is ja eh wuascht“ veranlasst haben muss – denn sie ließen das Lied einfach nachspielen. Dies wiederum bemerkte man jenseits des Großen Teichs und stellte das Unternehmen vor die Wahl: entweder eine saftige Klage… oder Ihr finanziert uns ein Konzert in Wien! Gesagt, getan: gestern spielten neben Final Fantasy auch Bands wie Deerhoof und Six Organs of Admittance in der Wiener Arena auf – und die Wiener Stadtwerke freuten sich, dass sie als Exklusiv-Sponsor Ihre Fahnen und Leinwände aufstellen konnten. Ein Win-Win-Win-Situation also.

Denn der dritte Gewinner des Abends waren wohl wir – die Gäste. Immer schräger wurde, was da vor gespielt wurde. Six Organs of Admittance beschränkten sich etwa instrumental auf zwei Gitarren, die sich in Feedback-Orgien, hübschen Zerlegungen und aggressiven Slides gegenseitig überboten. Klingt anders als auf CD und ist gewöhnungsbedürftig, war’s aber wert.

Genau umgekehrt bei „Deerhoof“. Deren Wikipedia-Eintrag ist nämlich schon sehr bezeichnend: „Satomi Matsuzakis Gesang ist hell, brüchig und schief. Instrumental bestimmen erschütternde Beats, stechende Sirenen-Einlagen, eine Gitarrsaite, die wie ein 10-Tonnen-Gewicht auf einem 20-Tonnen-Trampolin landet die Musik Deerhoofs.“ Sehr treffend beschrieben; denn zuhause ist das Gejaule so gut wie unhörbar – auf der Bühne hingegen sahen wir einen Haufen sympathischer Nerds und ihre Frontfrau; was zuhause nur Lärm ist, das rockt auf der Bühne gewaltig.

Und schließlich als Main-Act: Final Fantasy. Das Besondere an Owen Pallett ist, dass er alleine auf der Bühne mit seiner Geige steht und dennoch so klingt wie ein ganzes Streichorchester. Wie macht er das? Der Trick ist simpel und genial zugleich: er spielt einen Riff, nimmt das mit einem Sampler auf, den er mit den Füßen bedient, looped es, spielt den nächsten Riff über den alten drüber, looped diesen wieder etc. Was anfangs wirkt wie ein Produkt aus dem Laptop entpuppt sich so als das geniale Werk eines einzelnen Mannes mit einer einzigartigen Hand-Fuß-Hirn-Koordination.Das ist Kunst. Und ich mag es.

Ich selbst habe an diesem Abend übrigens fest gestellt, dass ich gerne wieder Musik in einer Band machen würde. Also raus aus dem eigenen Wohnzimmer und rein in den Proberaum; weg vom Experimentieren mit Cubase und Konsorten und hin zur zwischenmenschlichen Konfrontation! Wer mutig genug ist, mit mir das Experiment einzugehen, der soll sich bitte melden; meine Kontaktdaten findet Ihr im Impressum.

PS: Zum Abschluss dieses Eintrags gibt’s noch ein schönes Musikvideo von „Six Organs“… viel Spaß damit!

Frequency-Festival: Schach, die Queen und der Regen

Sind wir alt geworden? Nein, vermutlich nicht – aber erwachsen. Während sich das pubertierende Fußvolk volltrunken im Schlamm wälzte, lauthals Sauflieder grölte und die freundlichen Bediensteten der Ottakringer-Stände am laufenden Band beleidigte – all dies ironischerweise als Teil eines für uns nicht mehr nachvollziehbaren Paarungsrituals -, saßen der Peqer und ich vor unserem Zelt und spielten Schach. Drei Stunden dauerte eine Partie, es ging bis auf’s letzte Blut; und währenddessen kamen immer wieder tätowierte Möchtgern-Penner im „Fuck it all“-Pullover vorbei, um anerkennend zu lallen: „Boah, eh, Schach, schooon supa, ne…“. Das bestätigte uns nicht nur in unserem ohnehin schon reichlich überzogenen Selbstwertgefühl, sondern half uns auch, die Durststrecken vor den ersten Konzerten zu überleben. Kurz gesagt: wir waren der Musik wegen da, nicht zum Ficken.

Unzerstörbare Ärzte

Und wir sollten nicht enttäuscht werden: dass Tocotronic während ihres – viel zu kurzen – Auftritts auf der Nebenbühne der wichtigste Act des Mittwoch werden, hatten wir eh schon gewusst – nicht zuletzt, weil Tool ja kurzfristig abgesagt hatten. Der Donnerstag wiederum hielt eine Heiß-Kalt-Dusche an Emotionen bereit: angenehm erfrischend der Auftritt der Ärzte, die sich ja im vergangenen Jahr ob ihrer Soloprojekte durch so manches Trennungsgerücht kämpfen mussten. Davon ist nun nichts mehr zu spüren: die Ansagen sind frech und witzig wie eh und je, die Stimmung oben auf der Bühne wie unten im Publikum ausgelassen. Kleiner Malus: gespielt wurden in erster Linie neue, kommerziell erfolgreiche Stücke, die echten Klassiker (mal abgesehen von „Westerland“, die DDR-Antwort auf „I am from Austria“) wurden ausgelassen. Fazit: ich verspürte den Wunsch, nach den Ansagen zu applaudieren, nicht nach den Songs. Die Berliner sind mittlerweile wohl mehr Comedy als Musik.

Vor den Ärzten: Nine Inch Nails. „They booked us between two German bands“, sagte ein sichtlich genervter Trent Reznor – seine einzige Ansage an dem Abend. Ermüdet fragte er weiter: „Who are you here for anyway?“. Das war’s dann auch schon. Ansonsten wurden die Hits studiogerecht runter gespielt, kaum Improvisationen. Wer sich eine CD kauft, kommt wohl besser davon.

Überraschungserfolg hingegen: The Good, The Bad and The Queen. Natürlich wäre ich versucht, einfach zu sagen: „Das ist das neue Projekt von Blur-Frontmann Damon Albarn“. Aber es geht um viel mehr als einen Ex-Britpopper, nämlich um Paul Simonon (Ex-Bassist von „The Clash“), Tony Allen (Schlagzeuger von Fela Kuti) und Simon Tong (Ex-Gitarrist von „The Verve“). Der Begriff „Cool“ muss für diese Truppe neu definiert werden: das Intro bringen drei Damen in schwarzen Gewändern, die auf Streichern spielen, daraufhin betritt die Band die Bühne – ebenfalls gänzlich in schwarz gekleidet, Albarn einen Zylinder tragend, Simonon lässig eine Zigarette rauchend und hübsche, junge Mädels im Publikum mit einem durchdringenden Blick fixierend. Musikalisch spielen sie auf mit einem Soft-Rock, der meditative, sich wiederholende Elemente enthält, begleitet von Albarn am Klavier. Künstlerisch das wohl anspruchsvollste, was ich in den letzten Monaten gesehen habe.

Auch erwähnen sollte man die netten, kleinen Bands, die uns den Nachmittag versüßten: Die deutschen „Fotos“ etwa, denen ihre Begeisterung, endlich mal vor einem großen Publikum spielen zu können, deutlich anzusehen war. „Könnt Ihr das nochmal machen?“ fragt der Sänger ins Publikum als Antwort auf Anfeuerungsrufe aus der Masse. Musikalisch und stilistisch besteht da schon einiges an Wachstumspotential – eine Kategorie, in die andere Anfängerbands (wie „Snow Patrol“ oder die „Kaiser Chiefs“) wohl ebenfalls gehört hätten.

Jamaica fällt ins Wasser

Und immer, wenn ich Seeed sehen möchte, regnet es. So auch am Freitag. Da ich das letzte Mal (Nuke Festival, 2004) beinahe gestorben wäre, stellten sich der Peqer und ich diesmal die Frage: „Ist es uns das wert? Da stehen in Regen und Kälte – für eine Band, die wir eigentlich doof finden?“ Blöde Frage. Somit sind wir schon am Freitag wieder heim gefahren, haben Seeed und ihr 15jähriges, bekifftes Ö3-Publikum alleine im Regen stehen lassen.

Man soll ja gehen, wenn es am schönsten ist.

NIN punkten durch Offenheit

Es ist ja nicht wirklich eine Neuigkeit, wenn Bands die Lieder ihres neuen Albums zum 30-Sekunden-probehören auf die Homepage stellen – denn die „try before buy“-Mentalität ist nicht zuletzt ein netter Marketing-Gag, mit dem wir zum Kauf überredet werden sollen. Das ist nett, aber es ist noch bedeutend mehr möglich.

So etwa das, was Nine Inch Nails mit ihrem neuen Album „Year Zero“ anstellen: auf der Unterseite http://yearzero.nin.com stehen der Großteil der Songs nämlich als Multi-Track-downloads zur Verfügung. Das bedeutet: die Dateien werden runter geladen, können dann in Cubase, Logic oder Garageband importiert werden; anschließend kann der begeisterte Hobby-Musiker damit machen, was er will: Tracks löschen und durch eigene ersetzen, neue hinzufügen und am Ende natürlich alles exportieren.

Finde ich lustig. Beispielsweise könnte man die (bei NIN immer extrem verzerrten) Gitarren-Riffs durch Akustikgitarren ersetzen – oder gleich durch ein Didgeridoo? Und mit den Stimmeneffekten von Garageband könnte Trent Reznors verzerrtes Gejaule zum Beispiele auf Soul, Gospel oder Funk getrimmt werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig – und teils gruselig.

Innovationen sind gerade im Rock-Bereich in der Vergangenheit leider rar geworden; und dass sich Musiker gerne auf ihr „geistiges Erbe“ setzen wie eine Henne auf ihre Eier ist auch bekannt. Ansätze wie diese zeigen aber, dass Offenheit und Bereitstellung der Schnittstellen und Inhalte zur Weiterverwertung durch Dritte (ja, genau: die Verbindung zum Konzept von OpenSource-Software ist da…) die Beliebtheit eines Musikers durchaus erhöhen können.

Denn ich freue mich jedenfalls schon drauf, den depressiven Computerfreak mit seinem Elektro-Rock am diesjährigen Frequency-Festival live zu sehen. Dafür zahle ich gerne 93 Euro Eintritt – ein bedeutend höherer Betrag als jener, den ich für’s Album gezahlt hätte.