Stefan Mey

Probelesen: „Bye bye, Neo-Imperialismus!“

Seit dem Jahr 2002 mache ich einen großen Bogen um die Fastfood-Kette Mc Donald’s. Gründe dafür gab es viele: Erstens hat mich eine befreundete Vegetarierin davon abgehalten, zweitens erkannte ich, dass Fastfood ungesund ist, drittens schmeckte es mir nicht mehr und viertens – das ist wohl das wichtigste – sagt mir die Politik US-amerikanischer Fastfood-Ketten nicht zu, bei der mit Hilfe unterschwelliger Werbung Kunden zum Verneinen ihrer lokalen gastronomischen Kultur verführt werden. Ich gehe auch lieber in ein verrauchtes Wiener Kaffeehaus mit grantigem Kellner und teurem Kaffee statt ins supersterile Starbucks-Marketingparadies.

Dennoch: Gestern war ich mal wieder bei Mc Donalds. In Bombay. Schuld daran war alles und jeder.

Man nehme: Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit, eine der schwülsten Klimazonen unseres Planeten. Und mittendrin wir, wie wir versuchen, den Bahnhof zu erreichen – in einem Taxi, mit schweren Koffern, inmitten lauten, stinkenden Straßenverkehrs. Lärm und Blink-Blink; überall. Stau, Stau, nochmals Stau. Schließlich erreichen wir den Bahnhof. Blick auf die Anzeigetafel: Kein Gleis für unseren Zug angeschrieben. Es ist circa 21 Uhr, um 22 Uhr soll unser Zug gehen. Die Anzeigetafel zeigt aber 7 Uhr morgens als Abfahrtszeit.

Eintritt also in die Wartehalle, wo viele Menschen warten. Liegend, auf dem Boden, und auch aufeinander. Durchkämpfen mit schweren Koffern, angerempelt werden. Nachfragen am Ticket-Schalter, ob die Angabe stimmt: Ja, tut sie; der Zug hat neun Stunden Verspätung.

Also diverse Hotels in der Nähe durch telefonieren. Bei manchen ist das Fax als Telefonnummer hinterlegt, andere verlangen horrende Preise. Schließlich komme ich beim „Galaxy Avenue“ durch und sage, wir seien in 20 Minuten dort.

Der Rikschafahrer will 150 Rupien für eine fünfminütige Fahrt. Mit Mühe bringen wir ihn auf 50 Rupien runter. Er fährt uns ins „Galaxy Avenue“ und kommt mit rein. Bleibt beim Rezeptionisten stehen und schaut uns beim Einchecken zu, weil es gerade lustig ist. Zwei Hotelboys schauen ebenfalls. Zu sechst stehen wir auf geschätzt vier Quadratmetern.

Ring ring. Mein Handy läutet.
Stimme: „Hallo, hier spricht das Galaxy Hotel. Wann kommen sie?“
Ich: „Wir stehen in Ihrer Lobby.“
Er: „Ah.“
Klick. Er hat aufgelegt. Okay.

Inzwischen will der Rezeptionist unsere Pässe haben. Wir sagen, dass sie in unseren Koffern sind und wir sie aus dem Zimmer holen müssen. Das dauere zwei Minuten. Der Rezeptionist wird nervös, willigt aber ein.

Auf dem Zimmer: Kein Luxus, aber wenigstens auch keine Kakerlaken. Wir öffnen die Koffer, um die Pässe heraus zu holen. Der Hotel-Boy klopft an die Tür – was jetzt mit den Pässen sei? Ja, gleich.

Unten geben wir unsere Pässe ab. Der Rezeptionist zeigt meinen Pass dem Rikschafahrer, sagt meinen Namen und lacht dreckig. Dann starrt er die Pässe noch weitere zehn Minuten an.

Indes: Ring-Ring.
Ich: „Hallo?“
Stimme: „Hier das Galaxy Hotel. Wann kommen Sie endlich?“
Ich: „Wir sind längst da. Ihr Rezeptionist betrachtet gerade unsere Pässe.“
Stimme: „Nein, sind Sie nicht“
Ich: „Wir sind im Galaxy Avenue.“
Stimme: „Nicht das Galaxy Palace?“
Ich: „Nein.“
Stimme: „Ah“
Klick.

Plötzlich kriege ich einen Gusto auf Schnitzel. Und auch: Lust auf einen weißen Spritzer, einen grantigen Ober, auf Schwarzbrot-Toast mit Kürbiskernen im MQ, auf laue Sommerabende auf dem Balkon eines Hauses am Stadtrand Wiens. Auch bekannt als: Kulturschock. Heimweh.

Auf der Suche nach etwas Essbarem gehen wir somit die Straße entlang, während Autos hupend an uns vorbei rauschen, die Luft noch immer schwül ist, es so seltsam riecht, wie nur Bombay riechen kann. Und dann sehen wir es: Das Mc Donald’s.

Kurzes Zögern, dann doch rein gehen. Auf’s WC, wo mich ein Mitarbeiter fragt, aus welchem Land ich komme. „Thailand“, sage ich, und bestelle einen Burger. Mit Huhn, Rind gibt es nicht. Wolfie nimmt Chicken Mc Nuggets, und wir essen. Es ist klimatisiert, die Werbung ist westlich. Kein Andrang, keine Hektik, bloß ein paar Mittelklasse-Familien und der Mitarbeiter, der mich für einen Thailänder hält.

Als wir das Etablissement verlassen, sehe ich eine Mutter mit Baby, welches begeistert eine lebensgroße Statue des McDonald’s-Clowns anfasst. Und dann hat es Klick gemacht in meinem Kopf.

Dann habe ich gemerkt, dass Indien stärker ist. Dass sich der alte Stefan wohl aufgeregt hätte über den „Neo-Imperialismus“, und über die manipulativen Marketing-Methoden, mit denen selbst Kleinkinder schon zu potentiellen Kunden erzogen werden. Nach dem Klick meinem Kopf dachte ich hingegen einfach nur: Scheiß drauf. Indien, dieses Land mit seinen Menschen, seinem Klima, seinem Chaos wird wohl niemals zu Füßen eines US-amerikanischen Konzerns kriechen, nur weil dieser ein paar Clowns aufstellt. Indien ist einfach größer, stärker, ist unbezwingbar in seiner chaotischen Art.

Das fühlt sich dann wieder gut an. Wir gehen noch zum Alkohol-Shop und kaufen uns Dosenbier, dazu eine Packung Beedies. Das konsumieren wir vor unserem Hotel, während uns ein Straßenköter anstarrt. Irgendwie ein beruhigendes Gefühl, dass Chaos die lokale Wirtschaft erhält.

Und übrigens: Der Burger hat beschissen geschmeckt.

Dieser Beitrag ist Teil des E-Books „Indien 2.0 – Twittern im Tuk-Tuk“, das aktuell bei Amazon erhältlich ist.

 

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