Im Cafe des Artes klopfe ich wieder mal Artikel und Texte wie diesen in meinen Laptop. Irgendwann komme ich mit zwei Australiern ins Gespräch, die einen Tisch weiter sitzen – zwar sind sie auch nur kurzfristig für ein paar Wochen als Touristen in Indien; aber einer von Beiden fällt mir auf, weil er in einem Fachbuch über Hinduismus blättert. Er stellt sich als Peter – Spitzname „Peterpedia“, weil er so viel weiß – vor; und wir plaudern über die Tempel in der näheren Umgebung. Seine Art ist freundlich-fröhlich; er lacht viel. Für den weiteren Tag plant er, sich einen Ganesh-Tempel und das städtische Museum von Pondicherry anzuschauen; und ich frage ihn, ob ich mich anschließen kann. Daraufhin schreibe ich noch eine halbherzige Mail und schalte den Laptop aus – Feierabend, es ist ja auch immerhin schon zwei Uhr nachmittags.
Leider werden wir enttäuscht. Montags ist das Museum geschlossen; und der Ganesh-Tempel ruht ebenfalls bis 16 Uhr. Also beschließen wir, in ein eiskalt gekühltes Fünf-Sterne-Hotel zu gehen und dort ebenso starkes Kingfisher Strong zu uns zu nehmen – gegen die Hitze. Peters Handy läutet ununterbrochen, während wir gehen; manche Anrufe weist er genervt zurück, bei anderen hebt er ab und sorgt in beruhigendem Tonfall: „Ja, mach Dir keine Sorgen. Ich bin jetzt unterwegs; aber natürlich werde ich dort sein … na klar, wir machen das.“ Nach mehreren Anrufen dieser Art fühlt er sich verpflichtet, mich aufzuklären: „Falls Du es noch nicht gemerkt hast“, sagt der Mann mit den Ohr-Piercings, „sollte ich Dich darauf hinweisen, dass wir schwul sind.“ Ich lächle: „Habe ich mir schon fast gedacht.“
Und obwohl es ursprünglich nicht geplant war, sagt mir Peterpedia, entwickelt sich die Indien-Reise für ihn und seinen Partner zu einem Sex-Urlaub: Auf jeder Station ihrer Reise nehmen sie sich einen persönlichen Assistenten, der für sie Zugtickets, Unterkünfte, Touren und indische Sim-Karten für ihre Smartphones besorgt – und nebenbei auch sexuell offen für das gleiche Geschlecht ist.
„Sieh Dir das an, der ist doch knackig“, sagt Peterpedia, als wir in der Hotelbar unser erstes Kingfisher Ultra süffeln. Die Rede ist von einem 20jährigen Kellner mit drahtiger Gestalt. „Tamilische Männer sind einfach so heiß“, schwärmt Peterpedia. Ich frage ihn, ob ihn Schnauzer auch scharf machen. „Sie stoßen mich zumindest nicht ab“, sagt er: „Das würde 80 Prozent der Männer als potentielle Sexpartner ausschließen.“ Viel störender empfinde er diese Faszination für Cricket: „Darüber können sie stundenlang reden!“, ächzt er: „Und ich denke mir dann immer: Halt die Klappe und nimm mich endlich ordentlich durch.“
Überraschenderweise ist es für Peterpedia in dieser fremden Kultur nicht schwer, Sexualpartner zu finden: Die traditionellen Rahmenbedingungen sehen es für junge Männer in ländlichen Regionen noch immer vor, dass die Eltern die Ehepartner auswählen; und Sex vor der Ehe ist zwar vielleicht irgendwie möglich, ist aber mit erheblichen Umständen verbunden, um den wachsamen Blicken der Eltern zu entgleiten – dem entgegen stehen westliche Touristinnen und Touristen, die sexuelle Offenheit vorleben, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein; ebenso wie Hollywood und Bollywood, die Beide pornoähnliche Scheinwelten erzeugen. Das Ergebnis dieser Diskrepanz sind junge Männer, die gerne jene sexuellen Träume ausleben würden, die ihnen von Anderen vorgelebt werden – von der Gesellschaft aber daran gehindert werden.
Und dann ist Homosexualität für sie der beste Schritt? „Anfangs schreckt sie der Gedanke freilich ab“, sagt Peterpedia: „Aber dann sage ich ihnen, dass ich die Rolle der Frau übernehme, und damit können sie sich anfreunden.“ Eine gewisse Offenheit werde sichtbar durch die Kleinigkeiten des Lebens: Wenn die jungen Männer ihn etwa mit der linken Hand füttern – denn die linke Hand gilt als unrein, und somit planen sie schmutzige Sachen mit dem großen Australier. Wir bestellen uns noch zwei große Bier.
Ob es lokale Unterschiede gibt? „Am Besten ist es in Tamil Nadu“, sagt Peterpedia. Die Jungs hier sind erstens genau nach seinem Geschmack; und zweitens schere sich die Gesellschaft weniger darum, wenn er mit drei jungen Männern alleine auf sein Hotelzimmer verschwinde. In Kerala etwa sei das anders; dort müsse man aufwändige Umwege gehen, damit niemand Verdacht schöpft. Und sehr schlechte Erfahrungen hat er im touristischen Rajasthan gemacht: Dort hatte ein Shopbesitzer seine Peterpedias sexuelle Neigungen erkannt und ihm diverse gemeinsame Ausflüge, romantische Abende und wilde sexuelle Abenteuer versprochen, wenn er um ein paar tausend Rupien bei ihm einkaufe. „Als meine Erektion abgeschwollen war und mein Hirn wieder mit Blut versorgt wurde wusste ich freilich sofort, was da abläuft“, sagt Peterpedia. Dann habe er das Weite suchen wollen, aber die Männer seien recht hemmungslos, wenn es ums Geld gehe: Man habe ihn gehalten, gestreichelt, seine Wangen und seinen Hals mit Küssen bedeckt.
Da wir ohnehin schon so offen reden, frage ich ihn, wie es um die Verhütung steht – immerhin hatte mir mein Strand-Gesprächspartner erzählt, dass indische Männer ungern Kondome verwenden. „Das ist weniger ein Problem“, sagt Peterpedia: Erstens sei bei seinen Freunden das Sicherheitsbedürfnis bei homosexuellem Kontakt stärker als bei heterosexuellem, und zweitens kriegen die Jungs einen Schreck, wenn sie seinen Oberarm sehen – er zieht den Ärmel seines Hemds hoch und entblößt Narben von Einstichstellen. Heroin. „Und die Angst vor AIDS lässt Jeden deutlich vorsichtiger werden“, sagt Peterpedia.
Inzwischen ist es 16 Uhr, und wir haben jeweils zwei große, starke Kingfisher ausgetrunken; außerdem hat der Ganesh-Tempel nun geöffnet. Also breche ich auf; und ich frage Peterpedia, ob er mir Gesellschaft leisten möchte. „Nein danke, da werde ich ausfallen“, sagt er: „Die Jungs stehen in einer halben Stunde vor unserem Hotelzimmer – und ich lasse mich doch lieber ordentlich durchnehmen, für Kultur habe ich ja auch morgen noch Zeit.“ Dem ist freilich nichts mehr entgegen zu bringen; und so breche ich alleine auf in Richtung spiritueller Horizonterweiterung.