Zum Inhalt springen

Goa

Ein Moment: Verflossene Liebe

Im neuen Jahr sitzt ein Pärchen am Strand und schaut verträumt aufs Meer hinaus. Noch ist Ebbe, doch bald – mit der Abenddämmerung – wird die Flut kommen. In einem Anfall aus Romantik beschließen sie, eine Sandburg in Herz-Form zu bauen; dann fotografieren sie sich selbst mit ihrem Gebilde aus zehn Zentimeter hohen Sandmauern.

Doch das Meer ist stärker. Nicht lange dauert es, bis die Gewalt der Wellen gegen das Manifest der Liebe brettert – und da das Konstrukt auf Sand gebaut ist, verfällt es schon bald wie eine verblühte Blume zu Herbstbeginn. Händchenhaltend beobachten sie, wie ihre Liebe im Abendrot zerfließt.

Dann kommt ein Straßenköter und markiert sein Revier, indem er hechelnd gegen die Trümmer strullert.

Opfer eines Verbrechens

Sonne, Strand, Wärme, nette Menschen – doch das Verbrechen schläft nie. Klar ist man sich dessen bewusst, und man ist auch entsprechend vorsichtig: Kreditkarte und größere Mengen Geld werden ebenso zuhause gelassen wie der Laptop und eventuell sogar das Handy – und wer clever ist, der kauft sich für einen Strandurlaub eine wasserdichte Kamera, die er mit ins Meer nehmen kann. Kurz gesagt: Als wir schwimmen gehen, lassen wir wenig am Strand zurück. Und dennoch werden wir Opfern eines Verbrechens.

Denn bei der Rückkehr muss ich feststellen, dass meine Sonnenbrille ebenso verschwunden ist wie meine Flip-Flops – beide habe ich bei einer bekannten deutschen Klamotten-Kette mit zwei Buchstaben erstanden, den Gesamtwert schätze ich also auf rund 15 Euro. Ärgerlich ist es trotzdem, denn erstens sind meine Augen daraufhin nicht mehr vor der Sonne geschützt; und zweitens schreiben wir den 31.12.2011 – ich tanze also ungewollt, aber dennoch einem dieser klischeehaften Goa-Hippies gleich, barfuß ins Neue Jahr.

Naja. Wenigstens hat man nicht meine Hose gestohlen. Eine FKK-Feier zu Silvester wäre dann wohl doch einen Schritt zu weit gegangen.

Mittelklasse-Inder am Strand

Grob lassen sich die Zielgruppen des Goa-Tourismus in zwei Regionen verteilen: Im Norden finden sich – so vernahm ich zumindest aus Erzählungen – wilde Techno-Partys voll rauschender Drogen und freier Liebe, bzw. emotional unbedeutendem Sex, was entsprechend die junge Party-Generation anzieht; im Süden hingegen geht es deutlich ruhiger zu: Hier werden spätestens um Mitternacht die Strandpromenaden hoch geklappt; man genießt die Ruhe, das saubere Meer, die Palmen und die Sonne – hier finden sich hauptsächlich Familien mit kleinen Kindern, Pärchen und Pensionisten. Und junge Inder aus der Mittelklasse.

Diese sind mit vollem Enthusiasmus dabei, wenn es um das Strandleben geht. Einmal wird die Ruhe etwa vom Freudenschrei eines jungen Mannes unterbrochen, der begeistert ins Meer hinein läuft und sich in die Wellen wirft – er gibt sich keine Mühe, seine Erektion zu verbergen; seine Freunde folgen ihm johlend.

Ein beliebter Sport ist zudem das Auf-die-Felsen-klettern-und-Fotos-machen: Gestern noch saß die Meute aus jungen Programmierern im Großraumbüro Bangalores vor dem Laptop, nun sind sie schon Kletter-Weltmeister und schwingen sich von Felsen zu Felsen, um sich in möglichst laszive Posen zu werfen und von den Kumpanen ablichten zu lassen.

Eine Kuh steht am Strand und schaut dem Treiben gelassen zu.

Sie kaut.

Währenddessen brennt die Sonne weiter hinunter, und jenseits der Felsen, am weißen Sandstrand, werden die Bademoden der Saison präsentiert: Der Herr von heute trägt entweder alles oder fast nichts, heißt die Devise. Das bedeutet: Entweder in jenen knappen Hosen über den weißen Sand hechten, die schon Ende der 80er Jahre langsam an Coolness zu verlieren begannen – oder selbst beim Schwimmen noch ein T-Shirt tragen, um sich die mühsam in zahlreichen Bürostunden heran gezüchtete helle Hautfarbe bei zu behalten… ja, es stimmt: Helle Haut ist in Indien attraktiver als braungebrannte. Klingt komisch, ist aber so.

Daneben: Westliche Touristinnen im String-Tanga.

Etwas abseits hat ein Pärchen Platz genommen, im Schatten eines Felsens, der durch ein AOM-Zeichen geziert wird. Ein junger Inder bemerkt uns; er ist alleine, trägt eine lange Hose, ein Hemd, und um die Schulter eine Aktentasche. Uns erzählt er, dass er alleine aus Rajasthan gekommen ist, um hier Urlaub zu machen; während er uns die Hände schüttelt, filmt er den Prozess des Kennenlernens mit seinem Handy.

Dann wird er angerufen, die Arbeit ruft; und wir gehen schwimmen. Das Wasser ist warm.

Ein Moment: Ankunft in Goa

Ausstieg aus dem Flugzeug auf dem Flughafen von Goa, der viel zu klein ist für die Massen an Passagieren, die er mittlerweile bewältigen muss – Goa ist ein beliebtes Reiseziel geworden, und zwar für junge Möchtegern-Hippies und -Aussteiger ebenso wie für die bereits einheimischen Althippies und diverse Pensionisten, die ihr Geld im warmen Süden lassen wollen. Und natürlich die indischen Mittelklasse-Familien, die nun ausreichend verdienen und sich entsprechend ebenfalls einen Urlaub am Meer gönnen wollen.

Das Gepäckförderband ist ein weltweites Unikat: Es ist im Design einer Roulettescheibe gehalten, die einzelnen Stücke sind abwechselnd in rot und schwarz gehalten, sowie mit Zahlen beschriftet – hier wirbt ein Casino bereits während der Wartezeit der Touristen um potentielle Kunden. Im Hintergrund spielt eine Band ein Willkommensständchen. Sie tragen Sombreros, das vorherrschende Instrument ist eine Ukulele.

Will Goa das neue Antalya werden?