Stefan Mey

Pune: Alles nicht so einfach

TED-Konferenzen sind unter Wissensarbeitern eine heiße Sache. Unter dem Motto „Ideas worth spreading“ treten hier Menschen auf, die in ihrem Leben etwas Besonderes bewirkt haben und durch ihre Vorträge andere Menschen motivieren wollen – in den USA treten etwa Größen wie Bill Clinton auf; und als eine Besonderheit dieser Konferenzen ist die Redezeit streng limitiert, und alle Präsentationen werden nach dem Event online der Welt zur Verfügung gestellt. Das Konzept ist patentiert; doch Jeder und Jede kann in der eigenen Stadt eine Konferenz dieser Art veranstalten – Indie-TEDs bezeichnet man dann ganz cool als „TEDx“; und eine solche TEDx fand in Pune statt, wo es folglich den Wolf und mich für ein Wochenende hin zog.

Doch eigentlich will ich gar nicht über die Konferenz schreiben. Sondern über den anschließenden Check-In im Hotel.

Wie bereits an anderer Stelle beschrieben (und ein bisschen ist das ja auch der thematische Inhalt dieses Werks), ist Indien eine digitale Nation. Man kann Hotels bequem über das Web mit Seiten wie Cleartrip, Makemytrip oder Stayzilla buchen – schade nur, dass das de Hotel-Angestellten manchmal nicht wissen.

„Sie brauchen einen Ausdruck ihrer digitalen Buchung“, sagt der Mann hinter der Rezeption. Den haben wir nicht dabei, denn wir sind im Jahrhundert des papierlosen Büros angekommen. „Haben Sie die Buchung nicht in ihrem System vermerkt?“, fragt der Wolf. Nein, hat er nicht. Warum auch? „Sie müssen immer ein Ausdruck ihrer Buchung dabei haben; das sind die Regeln, wenn Sie bei Cleartrip buchen“, sagt der Hotelangestellte. Was Cleartrip mit solchen Ratschlägen sagen möchte, ist: Nehmen Sie vorsichtshalber einen Ausdruck mit; denn es könnte sein, dass Ihr Gegenüber ein Idiot ist – und dieser Mensch beharrt vehement darauf, ein Idiot zu sein. „Hinter Ihnen steht ein Drucker“, sage ich: „Können Sie die Bestätigung nicht ausdrucken?“ Wir schicken die Buchungsbestätigung von unsren Smartphones an seine Emailadresse und er druckt sie aus. Erledigt.

„Diese Medienbrüche in Indien sind faszinierend“, sagt der Wolf: Buchungen vom Sofa über das Web treffen auf Hotels, die noch nicht mal einen Computer besitzen. Nach meinem Aufenthalt in Matheran war auch der Wolf für ein Wochenende dorthin gefahren: Die Buchung war problemlos über das Web gegangen; das Hotel verlangte allerdings eine Vorab-Zahlung, ohne Zugriff auf ein entsprechendes Payment-System zu haben – folglich wurde kurzerhand ein Mitarbeiter von Matheran zur Wohnung des Wolfs in Bombay geschickt, um das Geld abzuholen. Menschen sind in Indien weit billiger als Maschinen.

Als nächsten Schritt sollen wir unsere Pässe vorweisen. Als brave Ausländer haben wir unsere freilich dabei – doch die Begleitung des Wolfs, eine indische Staatsangehörige, hat ihren zuhause gelassen. Warum sollen sich Inder im eigenen Land registrieren? „Sie sind mit den Ausländer gemeinsam unterwegs“, erklärt der Angestellte. „Und wenn wir eigentlich gar nicht gemeinsam reisen, sondern nur zufällig gleichzeitig einchecken?“, schlagen wir hilfreich vor. Nein, keine Chance: Wir sind gemeinsam zur Tür hinein bekommen, somit fällt sie unter die Registrierungspflicht.

Geistesblitz der Wolfsfrau: Sie hat eine Kopie des Passes auf dem Smartphone gespeichert – diese könnte sie per Mail an ihn schicken, und er könne es ausdrucken. Der freundliche Idiot: „Nein, das geht auch nicht. Ich brauche eine Kopie auf Papier. Wenn ich eine digitale Kopie ausdrucke, gilt das nicht.“ Der Wolf greift zur letzten Waffe des indischen hierarchischen Bürokrate-Wahnsinnns: Nach dem Vorgesetzten fragen. Dieser wird angerufen und erklärt freundlich, die Wolfsfrau solle die Passkopie per Mail an ihn schicken – er drucke sie dann aus. Auch dieses Problem gelöst.

Mein Visum ist ungültig. Sagt der freundliche Idiot zumindest. „Das liegt daran, dass sie auf der falschen Seite nachgesehen haben“, kläre ich ihn auf: „Das gültige Visum befindet sich auf der nächsten Seite.“

Der Prozess hat eine Stunde gedauert. Und da wir noch nichts zwischen den Rippen haben, wandern der Wolf, die Wolfsfrau und ich durch die Straßen. Ein Lokal sieht recht vielversprechend aus – allerdings erklärt man uns am Eingang, dass Familien nicht erlaubt seien. „Wir sind keine Familie“, erläutern wir: „Bloß Freunde.“ Nein, trotzdem nicht, erklärt der Türsteher mit Blick auf die Wolfsfrau. Ich spicke ins Lokal und entdecke ausschließlich Männer – die Stripperinnen, die man in einem solchen Etablissement aber erwarten würde, sind nicht zu sehen. Wir gehen weiter.

Man schickt uns in verschiedene Richtungen, als wir nach dem Weg fragen – was in Indien keine Besonderheit; das Eingestehen von Unwissen ist heiliges Tabu. Schließlich erreichen wir doch einen Ort, der um 11 Uhr abends noch offen hat; zumindest halbwegs: Wer um den Vordereingang einen großen Bogen macht, gelangt an eine schmierige Metalltür, vor der ein Türsteher steht. Dieser blickt und in die Augen, um sicherzugehen, dass wir keine polizeiliche Sperrstunden-Kontrolle sind; hinter der Tür, die sich quietschend öffnet, steht dann ein Nordinder mit Wollmütze der chinesischen Armee. Er begrüßt uns mit der Parodie eines Lächelns und führt uns in den ersten Stock, wo wir bei Kerzenschein und Flüsterton essen und ein Bier trinken. Am nächsten Tisch sitzt ein Mittelklasse-Inder, vor ihm steht auf dem Tisch ein Eimer mit einer Flasche Vodka drin; er selbst lallt und kann sich kaum auf der Sitzbank halten. Dann dreht er sich zur Seite und reiert aus vollem Hals.

Pune. Sonderlich positiv war mein Ersteindruck von dieser Business-Metropole nicht.

Die mobile Version verlassen