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Videokonferenzen

Menschen sind die besseren Avatare

Glühende Verfechter von Videokonferenzen würden solche Systeme wohl am liebsten an jeder Straßenecke implementieren. So erzählt Werner Strasser, Geschäftsführer von PolyCom-Strasser, von einer Lösung, bei der Videokonferenzen zur psychiatrischen Behandlung eingesetzt werden: Der Arzt sitzt in der Klinik, der Kunde zu Hause – verbunden sind sie über eine Datenleitung; ob das Gespräch mit einem Computerbildschirm einem psychisch labilen Menschen die Aussprache unter vier Augen ersetzen kann, soll jeder selbst beurteilen.

Auf offene Arme dürfte aber das Konzept einer niederländischen Bank stoßen, bei der der Kunde nicht mehr direkt mit dem Bankberater spricht, sondern sich in eine Kammer mit Bildschirm setzt. Dort wird er per Video mit einem Experten verbunden. Warum funktioniert das? Vielleicht, weil Gespräche mit Bankberatern derzeit eher eine unangenehme Sache sind – und die Glasfaser-Leitung die nötige Distanz schafft. Videokonferenzen dürften sich also dort durchsetzen, wo sich Privatpersonen ungern hinbegeben. Für öffentliche Ämter besteht viel Potenzial – oder stehen Sie gerne am Finanzamt Schlange? Natürlich dürfen nicht die Fehler der Vergangenheit gemacht werden: Bevor sich elektronische Buchung von Flügen durchsetzte, machten die Anbieter von Last-Minute-Angeboten erste Gehversuche mit Avataren, die die Sympathiewerte der Microsoft Office-Briefklammer hatten und ebenso wenig behilflich waren. Nein, es braucht echte Menschen.

Kassa, bitte!

Die Menschen dürfen nicht aalglatt wie die Avatare sein, sie müssen die Authentizität unserer Ämter beibehalten: Mit abwertenden Blicken, langen Wartezeiten beim Seitenaufbau und Sprüchen wie „Ich mach‘ gleich Mittagspause!“ oder „Dafür bin ich nicht zuständig!“. Wer weiß, vielleicht setzt sich dieser Gedanke auch beim Online-Shopping durch – wäre skurril, wenn ich bei Amazon „Kassa, bitte!“ brüllen muss, bevor ich meine Kreditkarten-Daten hinterlasse.

Aus Gründen der Effizienz-Maximierung ist dieser Beitrag auch im Wirtschaftsblatt erschienen.