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Vespe

Holländischer Vespa-Wahnsinn

Ich weiß, ich schulde den werten Leserinnen und Lesern noch diverse Urlaubsberichte und -bilder. Mittlerweile habe ich Wien aber schon wieder verlassen, verbringe das Wochenende (beruflich) in Amsterdam – und hier ist mir eine Sache entgegen gesprungen, die ich nicht unerwähnt lassen kann: Niederländischer Vespa-Wahnsinn.

Die Holländer sind ja begeisterte Fahrrad-Fahrer, das ist allgemein bekannt. Sie haben die höchste Fahrrad-Dichte der Welt. Ich selbst hatte während meiner Erasmus-Zeit in Den Haag mehrere Fahrräder – zwei wurden mir gestohlen. Und nun, als ich Jahre nach meiner Erasmus-Erfahrung ins Tulpen-Land zurück kehre, muss ich sehen, dass Vespe die Fahrräder zunehmend verdrängen.

Aber nicht so, wie wir es aus Wien und anderen europäischen Grossstädten kennen, wo ein seltsamer, unerklärlicher Boom ausgebrochen ist (dem ich selbst ebenfalls zum Opfer gefallen bin). Nein, die Holländer machen es auf ihre eigene Art: Sie fahren häufig ohne Helm. Sie fahren auf dem Fahrradstreifen. An einem belebten Freitag abend. In der Innenstadt. Und sie hupen, wenn Fahrradfahrer die Frechheit besitzen, ihnen den Weg auf der (Fahrrad-)Fahrbahn zu versperren. Erwähnte ich bereits, dass sie keinen Helm tragen? Weder Fahrer noch Beifahrer.

Derartige Praktiken schockieren mich; und gleichzeitig bin ich wieder fasziniert von der Offenheit der Holländer für Neues. Ob sich die Wiener Verkehrsplanung von Amsterdam was abschaut, muss wer anders entscheiden. Ich jedenfalls bin jetzt gar noch vorsichtiger als zuvor, wenn ich den Fahrradstreifen überquere.

Die nette Dame aus dem Vespa-Fachgeschäft

Eigentlich wollte ich heute endlich etwas über die neuesten abgefahrenen Werbetrends aus Berlin schreiben. Aber dann hat sich doch wieder ein anderes Thema dazwischen gedrängt.

Wie Menschen aus meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis wissen, sind mir diese Woche am Naschmarkt beide Seitenspiegel meiner Vespa abmontiert und gestohlen worden. Finanziell ist das halb so wild, da so ein Spiegel nur rund 20 € kostet, auf Ebay ist er gar um einen niedrigen einstelligen Betrag zu haben – entsprechend ist das Handeln des Diebs  nicht nur unmnoralisch, sondern auch dumm. Er hat sich sein Karma versaut, seine Seele verkauft; und vom finanziellen Ertrag kann er sich nicht mal ein Abendessen leisten.

Ärgerlich war für mich nur die Aussicht, wieder in ein testosterongetränktes Motorradgeschäft zu gehen, um die neuen Spiegel zu kaufen.

Denn auf den meisten Webseiten, die sich um den motorisierten Zweiradsport drehen, geht es um dicke Brummer, meist präsentiert in Kombination mit exzessiver Darstellung sekundärer weiblicher Geschlechtsmerkmale. Vespa-Fans, die einen Hang zu Nostalgie und schmuckem Design haben, urbane Freizeitintellektuelle wie meine Wenigkeit, schreckt so was ab. Ich brauchte was anderes und erinnerte mich wieder an den Laden „Filipo Vespa“ auf der Nussdorfer Straße, den ich mal im Vorbeigehen entdeckt habe – ein Vespa-Fachgeschäft. Verunsichert war ich aber durch die Tatsache, dass der Laden keine schmucke Website hat – würde ich auch hier statt intellektuellen Cosmopoliten auf schmierige Automechaniker stoßen, die an jeder Wand drei PinUp-Kalender hängen haben?

Weit gefehlt: Als ich den Laden heute morgen betrat, fand ich in dem kleinen Raum zuerst Leere. Bis aus dem hinteren Teil des Geschäfts eine ältere Dame mit grauem Haar hervor trat – schätzungsweise ist sie schon in den wilden 50er-Jahren auf Vespe durch die Landschaft gedüst.

„Ich brauche zwei Spiegel“, sage ich, „links und rechts. Sind mir beide gestohlen worden.“ Die Dame versteht, sagt: „Da muss ich mal schauen, was wir noch haben; Montag geht das dann alles wieder schneller.“ Sie verschwindet wieder im hinteren Teil des Ladens, kramt in Kisten: „Ich hab vier linke… wo ist denn der rechte… ach, da…“. Langsamkeit ist hier Programm; und ich finde es irgendwie super. Keine elektronische Lagerverwaltung, kein Heckmeck, keine PinUps – stattdessen lächelt sie stolz, als sie mir die beiden Spiegel hin legt.

Bankomat-Zahlung gibt es keine. Und auch keinen Computer. Dass sie einen rechten Spiegel nachbestellen muss, schreibt sie per Hand auf einen Zettel. Zwei Zettel hat sie schon da liegen mit Dingen, die im Lager fehlen. „Ich könnte das mit Computern machen, aber ich will nicht“, sagt sie: „Früher hätte ich ja ein Fax geschickt, aber das geht auch nimma so gut wie früher.“ Sie entschuldigt sich freundlich für das Durcheinander: „Montag ist der Gerhard wieder da; der macht das normalerweise. Ich mache hauptsächlich die Buchhaltung.“

Ich kenne Gerhard noch nicht, aber ich freue mich auf ihn. In einer Welt, in der der Handel von Ketten und Konzernen dominiert wird, kehre ich gerne zurück in ein Mini-Universum, in dem Freundlichkeit und Menschlichkeit mehr zählen als IT-gesteuerte Effizienz-Maximierung.

Das Geschäft habe ich mit einem Lächeln auf den Lippen verlassen.