Zum Inhalt springen

Tocotronic

Wird 2012 das beste Musikjahr seit langem?

Für mich war 2002 das bisher beste Musikjahr des seit zwölf Jahren laufenden Jahrtausends. Warum? Weil ich damals auf dem Frequency-Festival (zu der Zeit noch in Salzburg abgehalten) war und gleich drei gute Bands nacheinander auf der Bühne beim Rocken begutachten konnte: Die Ärzte, Sportfreunde Stiller und die famosen Tocotronic – letztgenannte allein hatten mit ihrem selbstbetitelten weißen Album schon genug Argumentations-Stoff dafür geliefert, dass 2002 einfach famos war.

Nach einer längeren Durststrecke sieht es nun erneut gut aus auf den Festivals dieser Welt: Auf dem Frequency-Festival, das heuer in St. Pölten stattfinden wird, reihen sich fast die gleichen Bands aneinander wie vor fast zehn Jahren, unter anderem Tocotronic und die Sportfreunde Stiller; hinzu kommen so Größen wie Bush, Jan Delay, die Dandy Warhols, Placebo, The Cure, The Killers, Korn, Bloc Party und der ehemalige Oasis-Gitarrist zusammen mit ein paar anderen Typen. „Die Ärzte“ fehlen zwar in dieser Liste – geben aber dafür gleich zwei Konzerte nacheinander in Wien, und ich habe freilich bereits mein Ticket. Und wenn wir schon von Punkrock und so sprechen: „Die Toten Hosen“ sind auch wieder auf Tour – ihre Konzerte sind aber leider größtenteils schon ausverkauft; einzig für das Novarock-Festival gäbe es noch Karten, wo sich die Düsseldorfer die Bühne unter anderem mit Metallica und Limp Bizkit teilen.

Hintergrund dieses gewaltigen Touring-Jahres ist, dass die meisten Bands entweder gerade an einem neuen Album feilen, oder bereits eines im Handel stehen haben: Das neue Werk der „Ärzte“ lässt sich komplett und legal auf YouTube anhören; die Toten Hosen haben mit „Tage wie dieser“ eine unpackbar ergreifende Single – passend zur im Sommer anstehenden Fußball-EM – auf den Markt gebracht und werden bald das Album nachwerfen. Auch von Tocotronic wissen Fans aus dem Newsletter, dass sie in der finalen Produktion einer neuen LP sind und mal wieder alles ganz anders machen wollen als vorher. Den absoluten Clou habe ich aber von einem Musikjournalisten erfahren: Auch die Rolling Stones feilen Gerüchten zufolge an einem neuen Album – eine Tour soll ebenfalls in Planung sein.

Was das bedeutet, muss ich wohl niemand erklären: Den Urlaub sollten Rock-begeisterte heute so planen, dass sie den diversen Festivals beiwohnen können; und dann ziehen wir uns unsere alten Fan-Shirts und verwaschenen Jeans an und hüpfen ordentlich im Gatsch auf und ab – denn, so viel ist gewiss: Die schlechte Musik, die lässt im Anschluss sicher nicht lange auf sich warten – die nächsten Monate über aber sollten wir genießen, was kommt.

Eine längst fällige Nicht-Interpretation

Es steht viel geschrieben über das jüngst erschienene Tocotronic-Album. Texte von Kulturredakteuren diverser Medien, die sich auf Grund des neuen Werks aus Hamburg dazu verleitet fühlen, selbst den Intellektuellen raus hängen zu lassen, mit Neologismen um sich zu werfen und unverständliche Schachtelsätze zu bilden. Und alle geben vor, das Werk zu verstehen. Nach  einigen Versuchen, die Interpretationen zu verdrücken, musste ich schon nach kurzer Zeit kapitulieren – der Brechreiz war einfach allzu treibend. Wer Tocotronic verstehen will, muss verstehen: Tocotronic kann man nicht verstehen.

Das beginnt schon auf der musikalischen Ebene. Wer klugscheißern will, gibt von sich, die Band würde zu ihren Ursprüngen zurück finden. Kompletter Schwachsinn: Wer so etwas behauptet, hat entweder Tomaten auf den Ohren oder Nudeln im Hirn. Fakt ist – da sind sich alle einig -, dass die Instumentalparts des aktuellen Werks deutlich länger sind als bei den jüngeren Vorgängern. Das impliziert aber noch lange nicht eine Vergleichbarkeit mit den Frühwerken. Warum? Der Grund kommt aus den USA und heißt Rick Mc Phail: Der jüngste Neuzugang der Band spielt sein Talent auf „Schall und Wahn“ erstmals aus, seine The Edge-artigen Effektorgien dominieren die Instrumentalparts, der Rest der Band geht dagegen fast unter. Tocotronic sind eine Gitarrenband geworden.

Und an Interpretationen der Texte möchte ich mich gar nicht erst versuchen; das bringt sowieso nichts, weil von der Band anschließend ohnehin alles negiert wird. Die kafkaesken Fragmente sind auf einer rationalen Ebene nicht begreif- oder beschreibbar. Da ist manchmal davon die Rede, dass ein Gift eine Gabe ist, nämlich das Parfüm, das man trägt. Und wo anders wird eine Lanze für den Widerstand hervor gekramt. Aber dann darf es auch keine Meisterwerke mehr geben, weil die Zeit dafür reif ist und… hä?

Ach, verdammt… Versuche, diese Texte zu interpretieren, sind mehr als peinlich. Besser ist, so vorzugehen wie auch bei den Vorgängern: Das Album in verschiedenen Lebenssituationen hören, auf die eigenen Umstände umlegen, drüber freuen und dann auf dem Konzert ganz wild abzappeln. Nach einem intensiven Konsum von „Sag alles ab“ hatte ich etwa gelernt, öfters mal „Nein“ zu sagen. Viellicht foilge ich ja künftig dem Aufruf der aktuellen Single und mache weniger Dinge selbst – oder auch nicht. Sie sind anderer Meinung? Oder ich spreche Ihnen aus der Seele? Sie sind verwirrt? Dann kann ich nur noch zu einem raten: Bitte oszillieren Sie.

Die neue Tocotronic-Single ist online!

Seit einer knappen Stunde ist es so weit: Tocotronics Video zur neuen Single  „Macht es nicht selbst“, der erste Vorbote des im Jänner erscheinenden Albums „Schall & Wahn“ ist auf der Homepage der Band online. Ersteindruck: Wie zu erwarten eher seltsam.

Anders als bei anderen Stücken der jüngeren Schaffensperiode spart die Band hier mit Zitaten diverser Autoren verschiedenster Epochen. Stattdessen kommt die Message klar rüber: „Was Du auch machst, mach es nicht selbst“. Außer Selbstbefriedigung. Und natürlich Selbstausbeutung. Was? Wie bitte? Doch nicht so klar? Typisch Tocotronic eben. Die Interpretation bleibt dem Zuhörer überlassen; und der muss das nun erst mal sickern lassen.

Musikalisch scheint die Band weiter den Weg zu gehen, der sich schon im Voralbum „Kapitualtion“ abgezeichnet hat: Wieder zurück zu den Wurzeln; rockig gehalten mit verzerrter Gitarre – im Hintergrund ist ein Schriftzug zu sehen, der schon an die „Sag alles ab“-Zeit des Vorgänger-Albums erinnert . „Fuck it all“, will uns die Band damit wohl einmal mehr sagen.  Von der Verträumtheit des selbstbetitelten „weißen Albums“ (welches mit „Schatten werfen keine Schatten“ eines der schönsten Liebeslieder aller Zeiten enthält) ist hier nichts mehr zu spüren. Ob von dem Ersteindruck auf das ganze Album zu schließen ist, wird sich noch zeigen. Zumindest die Single sollte aber tanzbar sein und wird daher im Jahr 2010 wohl öfter aus den Lautsprechern des „Flex“ erklingen.

Im Video selbst besprühen sich übrigens überdimensionale Stofftiere gegenseitig und laufen dann brennend durch die Gegend. Flaming Lips meets Rammstein. Auch mal interessant.

Das ganze Video gibt’s übrigens hier.

dirk

Schall und Wahnsinn

Es kribbelt schon wieder in meinem Bauch, ich habe feuchte Hände, schlafe unruhig, gebe mich öfters Tagträumen hin von dem, was schon bald wieder auf uns zukommen wird: Am 22. Januar veröffentlichen Tocotronic endlich ihr neues Album „Schall und Wahn“ – der erste Langspieler nach einer längeren Veröffentlichungspause, die sich nach ihrem famosen Album „Kapitulation“ (2007) eingestellt hatte.

Wenn Tocotronic ein neues Album auf den Markt werfen, dann verändert sich die Welt. Durch die Tocs wissen wir, dass Michael Ende das Schicksal einer ganzen Generation zerstört hat. Wir wissen, dass es schön wäre, sich für Tennis zu interessieren – und besser, vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren. Wir wären gerne Teil einer Jugendbewegung, würden uns gerne mit dem netten Mädchen aus der Schule drüben auf dem Hügel treffen; und endlich hat auch jemand in Worten und Musik ausgedrückt, wie fürchterlich es ist, wenn Leute  auf der Straße zu langsam gehen.

Seit „Kapitulation“  und dazu passenden Interview wissen wir, dass Kapitulation keine Niederlage ist, sondern etwas Befreiendes haben kann – ein zutiefst buddhistischer Gedanke. Und als Dirk uns entgegen brüllte, wir sollen doch gefälligst alles absagen, folgten wir dieser Anweisung gerne. Kapitulation – Erinnerungen an wilde Sommernächte und ein verrücktes Uni-Wochenende.

Um nun die Wartezeit auf das neue Album noch zu verkürzen, hier noch ein Video von Dirks Nebenprojekt „Phantom/Ghost“ – womit wir uns zumindest an die Stimme der Tocs wieder gewöhnen können – Bass und Schlagzeug folgen dann im Jänner. Danke an Marlo für’s Ausgraben.