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Selbstfindung

Ich bin ein Weichei geworden

Ja, wirklich.Ich habe immer gedacht, im Ausland zu leben und zu arbeiten härtet einen Menschen ab. Aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Schuld ist Ayurveda.

Denn seit zwei Wochen bin ich nun in Behandlung im Ayush Ayurveda Zentrum in Indira Nagar, Bangalore. Ursprünglich bin ich dort hin gekommen wegen Rückenschmerzen, doch die dort ansässige Ärztin fragte mich erst mal nach meiner Verdauung – hinter ihrem Namen steht die Abkürzung B.A.M.S.; und das bedeutet, dass sie sich zusätzlich zu ihrem normalen Studium auch mit Ayurveda-Medizin beschäftigt hat. Eines der grundsätzlichen Prinzipien dieser jahrtausendealten Heilmethode ist die ganzheitliche Betrachtung des Leidens.

Als sie erfährt, dass ich manchmal Magenweh habe (was in Indien nicht gerade selten vorkommt), verschreibt sie mir eine recht brutale Diät: Kein scharfes Essen, kein fettiges Essen, kein Fleisch, keine Zigaretten und auch kein Alkohol. „Kein Alkohol?“, frage ich verzweifelt: „Sie müssen wissen, ich komme aus Deutschland – ohne Bier ist mein Volk nicht lebensfähig.“ Sie lächelt milde, und schlägt einen Kompromiss vor: „Na gut, ein kleines Glas ab und zu ist okay. Wenn Sie es mit Wasser mischen.“ Wie bitte? Bier panschen? Dann lieber vollkommen drauf verzichten.

Mit den anderen Dingen tu ich mich mehr oder weniger schwer: Auf Zigaretten zu verzichten ist freilich kein Problem; aber das Essen ist schon ein ärgerer Drahtseilakt: In Indien weder Fettiges noch Scharfes zu mir nehmen? Uff. Ich ernähre mich folglich von Idli, Idli Vada und Rava Idli – jeden Tag, drei Mal, in unterschiedlichen Kombinationen. Einmal war ich in einem Heim von Don Bosco zu Besuch, und es gab Nudeln – eine willkommene Abwechslung.

Leichter hingegen tu ich mich mit dem Fleisch-Verzicht: Einmal war ich mit einem indischen Freund in einem tibetischen Restaurant; und im Laden gegenüber wurden Hühner gehalten. Diese verreckten, aufeinander liegend, in viel zu kleinen Käfigen am Straßenrand – geschlachtet werden sie dann wohl im Hinterhof. Der Anblick war so abstoßend, dass ich mich entschloss, zumindest für die Dauer meiner Indien-Reise weitestgehend auf Fleisch zu verzichten.

Mittlerweile ist mein Magenweh weg, Ayurveda sei dank. Ab und zu trinke ich also ein Bier oder ein Glas indischen Weins, und auch das eine oder andere scharfe Mahl genehmige ich mir – ansonsten bin ich aber stark verweichlicht: Kein Fett, kein Fleisch und sowieso keine Zigaretten. Außerdem geh ich abends früh schlafen, statt das Nachtleben Bangalores unsicher zu machen (Grund: Es gibt keines, daher bleib ich lieber gleich zuhause), ich bin seit einem Monat auf keinem motorisierten Zweirad mehr durch die Straßen gerast (denn das wäre für europäische Führerschein-Besitzer in indischen Großstädten Selbstmord) und auf dem Metallica-Konzert vergangenen Sonntag stellte ich fest, dass ich Heavy Metall gar nicht mag.

Ich bin also gänzlich ein braves Burli geworden. Ganz ohne Exzesse und so. Und jetzt der gute Teil an der Geschichte: Es geht mir gut damit. Tagsüber bin ich stets fit und aufmerksam, weil ich halt ausgeschlafen bin. Ich habe weniger das Gefühl, Dinge zu verpassen, weil ich ohnehin viel erlebe. Und ich ruhe in mir selbst, weil ich zu den guten gehöre, denn immerhin esse ich keine Tiere mehr. Auf eine skurrile Art stimmt es also sogar, was so viele Leute sagen; dass nämlich Indien einen Menschen verändern kann.

Bis zum Nirwana dürfte es nicht mehr allzu weit sein. Ihr erfahrt davon dann via Twitter.

Unterwegs – ohne Stress und Selbstfindung

Reisen war früher eine haarsträubende Angelegenheit: Mit Backpack-Rucksäcken sind wir in überfüllten Zügen durch Indien gezogen, ohne zu wissen, wo wir die nächste Nacht schlafen werden. Wir haben mit Taxifahrern gefeilscht; die haben uns zuerst abgezockt und dann zur falschen Herberge geführt. Diese hatte dann auch noch Kakerlaken. Unser Adrenalinspiegel war stets hoch, und nach Wochen des Reisens waren wir froh, in gewohnter Umgebung wieder Bier und Schnitzel zu haben.

Heute ist das zum Glück alles anders. Während meiner letzten Fernreisen bin ich kaum mit dem Zug gefahren; denn Flüge sind billig und lassen sich leicht per Web – etwa checkfelix.com – buchen. Die Unterkunft wird ebenfalls im Vorhinein gebucht oder zumindest reserviert; diverse Websites bieten neben der Buchungsmöglichkeit auch Bewertungen – so lassen sich Kakerlaken gleich im Voraus vermeiden.

Einen schweren Reiseführer muss ich ebenfalls nicht rum schleppen; denn inzwischen gibt es auch im hintersten balinesischen Dorf WLAN, so dass ich dort per Handy auf dem offenen Gratis-Reiseführer wikitravel.org alles nachlesen kann. Apps wie Wikitude oder Layar erklären mir, wo ich den nächsten Bankomaten, McDonalds oder Starbucks finde – bevor ich die verwende, habe ich mich aber ohnehin über Online-Foren ausführlich über mein Reiseziel informiert, um Abzockerei zu verhindern.

Ergebnis dieses Wandels: Reisen ist einfacher, man wird seltener abgezockt – der Adrenalin-Kick und die Schnitzel-Freude bleiben aber aus. Ganz im Gegenteil: Bei so viel Hilfe ist es fast so, als sei man gar nicht weg gewesen.

(Aus Gründen der Effizienzmaximierung erscheint dieser Kommentar übermorgen auch im WirtschaftsBlatt)