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Nirvana

Mach es fertig…

…bevor es Dich fertig macht. Diesen bekannten Slogan kann wohl Jeder nachvollziehen, der schon mal in größerem Stil umgezogen ist. So zumindest geht es mir derzeit – gerade aus dem feinen Sommerurlaub zurück gekehrt, wird mein Leben von vielen kleinen Problemen Herausforderungen rund um Umzug und Renovierung bestimmt. Ummelden? Ja, kommt noch. Zuerst mich selbst, dann meine Vespa. Und die Bank nicht vergessen. Und dann muss ich in der alten Wohnung noch Strom und Gas abmelden, das alte Internet abmelden, in der neuen Wohnung neues Internet anmelden. Einpacken, umziehen, Kartons wieder auspacken. Alles einräumen. Uff. Und natürlich: Renovieren.

Zwar habe ich für die meisten Aufgaben rund ums Wohnungs-Lifting einen Profi engagiert und erfahre auch tolle Hilfe von den Schwiegereltern in spe – zumindest das teilweise Ausmalen wollte ich mir aber nicht nehmen lassen.

Denn Ausmalen, das ist so was wie Meditation. Wenn der Pinsel in die Farbe tunkt, sich auf die pastellfarbene Wand legen lässt und sie mit gleichmäßigen Bewegungen in ein klares, emotionsloses Weiß tüncht, dann können die Gedanken frei fließen. Dann gibt es keine Redaktion mehr, keine Wirtschaft, keine Politik, keine bevorstehende Hochzeit der kleinen Schwester und keine kleinlichen Streitereien im Freundeskreis – es gibt nur Dich, und die Wand. Der Alltag ist weg, und das Zen ist nahe. Ja.

So war es zumindest in den vergangenen Tagen. Nun ist bereits fertig ausgemalt, und das Nirvana wieder in weite Ferne gerückt. Keine Sorge also: Ich bin nicht zum Buddha geworden, sondern werde hier weiter bissig-böse ätzen. Derzeit weniger, nach Abschluss des Umzugs dann hoffentlich wieder mehr. Wer in der Zwischenzeit darbt und es nicht mehr abwarten kann, dem empfehle ich nur: Selbst ausmalen. Das schult die Geduld. Ohm.

Ich bin ein Weichei geworden

Ja, wirklich.Ich habe immer gedacht, im Ausland zu leben und zu arbeiten härtet einen Menschen ab. Aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Schuld ist Ayurveda.

Denn seit zwei Wochen bin ich nun in Behandlung im Ayush Ayurveda Zentrum in Indira Nagar, Bangalore. Ursprünglich bin ich dort hin gekommen wegen Rückenschmerzen, doch die dort ansässige Ärztin fragte mich erst mal nach meiner Verdauung – hinter ihrem Namen steht die Abkürzung B.A.M.S.; und das bedeutet, dass sie sich zusätzlich zu ihrem normalen Studium auch mit Ayurveda-Medizin beschäftigt hat. Eines der grundsätzlichen Prinzipien dieser jahrtausendealten Heilmethode ist die ganzheitliche Betrachtung des Leidens.

Als sie erfährt, dass ich manchmal Magenweh habe (was in Indien nicht gerade selten vorkommt), verschreibt sie mir eine recht brutale Diät: Kein scharfes Essen, kein fettiges Essen, kein Fleisch, keine Zigaretten und auch kein Alkohol. „Kein Alkohol?“, frage ich verzweifelt: „Sie müssen wissen, ich komme aus Deutschland – ohne Bier ist mein Volk nicht lebensfähig.“ Sie lächelt milde, und schlägt einen Kompromiss vor: „Na gut, ein kleines Glas ab und zu ist okay. Wenn Sie es mit Wasser mischen.“ Wie bitte? Bier panschen? Dann lieber vollkommen drauf verzichten.

Mit den anderen Dingen tu ich mich mehr oder weniger schwer: Auf Zigaretten zu verzichten ist freilich kein Problem; aber das Essen ist schon ein ärgerer Drahtseilakt: In Indien weder Fettiges noch Scharfes zu mir nehmen? Uff. Ich ernähre mich folglich von Idli, Idli Vada und Rava Idli – jeden Tag, drei Mal, in unterschiedlichen Kombinationen. Einmal war ich in einem Heim von Don Bosco zu Besuch, und es gab Nudeln – eine willkommene Abwechslung.

Leichter hingegen tu ich mich mit dem Fleisch-Verzicht: Einmal war ich mit einem indischen Freund in einem tibetischen Restaurant; und im Laden gegenüber wurden Hühner gehalten. Diese verreckten, aufeinander liegend, in viel zu kleinen Käfigen am Straßenrand – geschlachtet werden sie dann wohl im Hinterhof. Der Anblick war so abstoßend, dass ich mich entschloss, zumindest für die Dauer meiner Indien-Reise weitestgehend auf Fleisch zu verzichten.

Mittlerweile ist mein Magenweh weg, Ayurveda sei dank. Ab und zu trinke ich also ein Bier oder ein Glas indischen Weins, und auch das eine oder andere scharfe Mahl genehmige ich mir – ansonsten bin ich aber stark verweichlicht: Kein Fett, kein Fleisch und sowieso keine Zigaretten. Außerdem geh ich abends früh schlafen, statt das Nachtleben Bangalores unsicher zu machen (Grund: Es gibt keines, daher bleib ich lieber gleich zuhause), ich bin seit einem Monat auf keinem motorisierten Zweirad mehr durch die Straßen gerast (denn das wäre für europäische Führerschein-Besitzer in indischen Großstädten Selbstmord) und auf dem Metallica-Konzert vergangenen Sonntag stellte ich fest, dass ich Heavy Metall gar nicht mag.

Ich bin also gänzlich ein braves Burli geworden. Ganz ohne Exzesse und so. Und jetzt der gute Teil an der Geschichte: Es geht mir gut damit. Tagsüber bin ich stets fit und aufmerksam, weil ich halt ausgeschlafen bin. Ich habe weniger das Gefühl, Dinge zu verpassen, weil ich ohnehin viel erlebe. Und ich ruhe in mir selbst, weil ich zu den guten gehöre, denn immerhin esse ich keine Tiere mehr. Auf eine skurrile Art stimmt es also sogar, was so viele Leute sagen; dass nämlich Indien einen Menschen verändern kann.

Bis zum Nirwana dürfte es nicht mehr allzu weit sein. Ihr erfahrt davon dann via Twitter.