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Naschmarkt

Süchtler oder SM-Profi?

Morgens, halb zehn, am Naschmarkt: Zeit für die Wiener Bobos, sich ihr Frühstückchen in der Bäckerei-Filiale ihres Vertrauens zu besorgen. Alles scheint ruhig: Man wartet geduldig, bestellt Kipferl und Kaffee, eine Dame telefoniert gelassen. Doch dann wird die Idylle von einem Störenfried unterbrochen.

Aus dem Nichts taucht er auf, zückt sein iPhone, hält es der telefonierenden Dame vor die Nase und versucht, Fotos von ihr zu machen. Dabei ruft er wie irre „Wer bist Du? Wer bist Du?“ und tänzelt um sie herum. Die Dame windet sich, dreht sich von ihm weg – irgendwann sucht der Mann das Weite.

„Kannten Sie den Mann?“, frage ich die Dame anschließend. Sie verneint: „War wohl betrunken.“ Eine zufällige Beobachterin schaltet sich ein: „Nein, eher Drogen. Der hatte ganz glasige Augen.“ Ich als Digital Native weiß die Symptome aber besser zu deuten: Glasige Augen? Hyperaktivität? Und die Einbildung, man könne ein i-Produkt als Waffe einsetzen? Das hat weder mit Alkohol, noch mit Drogen zu tun.

Stattdessen tippe ich eher auf einen Social Media-Experten, der die Nacht vermutlich wieder allzu lange auf Facebook und Twitter verbracht hat, und nun – für seine Verhältnisse – früh morgens aufbrach, um eine iPhone-Gesichtserkennung an einer Fremden zu testen.

„Eigentlich schockierend, wie sehr das Web inzwischen unseren Alltag versaut“, denke ich mir, während ich an meiner Melange schlürfe. Der Dame wünsche ich noch einen angenehmen Tag und verabschiede mich mit den überzeugten Worten „Na, wenigstens hab ich jetzt eine Story für meinen Blog“ – und erhalte dafür einen ebenso entgeisterten Blick wie der mutmaßliche Facebook-Süchtler.

Wohnung am Naschmarkt zu vermieten

Ich bin ein Nomade, bin mein Leben lang von Ort zu Ort gezogen. Jene Wohnung, in der ich soeben diesen Text schreibe, war länger mein Zuhause als jeder andere Ort zuvor. Doch nun wird es wieder Zeit für einen Tapetenwechsel, für frischen Wind. Daher gebe ich die Wohnung ab. Und vielleicht ist sie ja für Dich so ein gutes Zuhause, wie sie für mich vier Jahre lang war?

Es geht um eine Wohnung…

…im Altbau mit 36 Quadratmetern

…direkt am Naschmarkt

…voll eingerichtet

…mit netten und toleranten Hausbewohnern

Sie gliedert sich auf in ein Vorzimmer, ein Wohnzimmer mit Doppel-Hochbett (das spart Platz), eine Küche mit Dusche und ein WC mit Waschbecken. Telekabel ist freilich auch im Haus.

Die Kosten belaufen sich auf…

… Miete: 347,43 € /Monat

… Strom und Gas: 115,20 € / Quartal

… Kaution: 1000 €

… Ablöse: 2000 € (für die komplette Einrichtung inkl. Küche und eine neue Therme)

Bei Interesse, bitte mich kontaktieren. Besichtigungen sind bevorzugt abends und an Wochenenden möglich. Fotos gibt es auch auf Anfrage.

Die nette Dame aus dem Vespa-Fachgeschäft

Eigentlich wollte ich heute endlich etwas über die neuesten abgefahrenen Werbetrends aus Berlin schreiben. Aber dann hat sich doch wieder ein anderes Thema dazwischen gedrängt.

Wie Menschen aus meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis wissen, sind mir diese Woche am Naschmarkt beide Seitenspiegel meiner Vespa abmontiert und gestohlen worden. Finanziell ist das halb so wild, da so ein Spiegel nur rund 20 € kostet, auf Ebay ist er gar um einen niedrigen einstelligen Betrag zu haben – entsprechend ist das Handeln des Diebs  nicht nur unmnoralisch, sondern auch dumm. Er hat sich sein Karma versaut, seine Seele verkauft; und vom finanziellen Ertrag kann er sich nicht mal ein Abendessen leisten.

Ärgerlich war für mich nur die Aussicht, wieder in ein testosterongetränktes Motorradgeschäft zu gehen, um die neuen Spiegel zu kaufen.

Denn auf den meisten Webseiten, die sich um den motorisierten Zweiradsport drehen, geht es um dicke Brummer, meist präsentiert in Kombination mit exzessiver Darstellung sekundärer weiblicher Geschlechtsmerkmale. Vespa-Fans, die einen Hang zu Nostalgie und schmuckem Design haben, urbane Freizeitintellektuelle wie meine Wenigkeit, schreckt so was ab. Ich brauchte was anderes und erinnerte mich wieder an den Laden „Filipo Vespa“ auf der Nussdorfer Straße, den ich mal im Vorbeigehen entdeckt habe – ein Vespa-Fachgeschäft. Verunsichert war ich aber durch die Tatsache, dass der Laden keine schmucke Website hat – würde ich auch hier statt intellektuellen Cosmopoliten auf schmierige Automechaniker stoßen, die an jeder Wand drei PinUp-Kalender hängen haben?

Weit gefehlt: Als ich den Laden heute morgen betrat, fand ich in dem kleinen Raum zuerst Leere. Bis aus dem hinteren Teil des Geschäfts eine ältere Dame mit grauem Haar hervor trat – schätzungsweise ist sie schon in den wilden 50er-Jahren auf Vespe durch die Landschaft gedüst.

„Ich brauche zwei Spiegel“, sage ich, „links und rechts. Sind mir beide gestohlen worden.“ Die Dame versteht, sagt: „Da muss ich mal schauen, was wir noch haben; Montag geht das dann alles wieder schneller.“ Sie verschwindet wieder im hinteren Teil des Ladens, kramt in Kisten: „Ich hab vier linke… wo ist denn der rechte… ach, da…“. Langsamkeit ist hier Programm; und ich finde es irgendwie super. Keine elektronische Lagerverwaltung, kein Heckmeck, keine PinUps – stattdessen lächelt sie stolz, als sie mir die beiden Spiegel hin legt.

Bankomat-Zahlung gibt es keine. Und auch keinen Computer. Dass sie einen rechten Spiegel nachbestellen muss, schreibt sie per Hand auf einen Zettel. Zwei Zettel hat sie schon da liegen mit Dingen, die im Lager fehlen. „Ich könnte das mit Computern machen, aber ich will nicht“, sagt sie: „Früher hätte ich ja ein Fax geschickt, aber das geht auch nimma so gut wie früher.“ Sie entschuldigt sich freundlich für das Durcheinander: „Montag ist der Gerhard wieder da; der macht das normalerweise. Ich mache hauptsächlich die Buchhaltung.“

Ich kenne Gerhard noch nicht, aber ich freue mich auf ihn. In einer Welt, in der der Handel von Ketten und Konzernen dominiert wird, kehre ich gerne zurück in ein Mini-Universum, in dem Freundlichkeit und Menschlichkeit mehr zählen als IT-gesteuerte Effizienz-Maximierung.

Das Geschäft habe ich mit einem Lächeln auf den Lippen verlassen.