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Metallica

Probelesen: „Metallica rocken Bangalore“

„Bitte geht alle ein paar Schritte zurück, um Platz für die Securities zu machen. Denn Eure Sicherheit ist das Wichtigste heute abend“ – in Europa mag eine solche Argumentation funktionieren, denn wir haben alle ein gewaltiges Roskilde-Trauma und legen dementsprechend Wert auf Sicherheit. Doch in Bangalore hat der Roadie kein leichtes Spiel, als er vor der Masse aus 40.000 Besuchern logisch zu argumentieren versucht: Es ist das erste Mal, dass die Heavy Metall-Band Metallica hier spielt; und die Fans haben Jahrzehnte gewartet – da will man nicht zurück weichen. Der Roadie wird ausgebuht, und der Konzertbeginn verzögert sich um eine weitere Stunde. Uff… Also greifen noch einige der Freizeit-Rocker zur Zigarette – was, wie bitte?

Ja: Zwar herrschte auf dem gesamten Festivalgelände ein ausdrückliches Verbot von Alkohol und Zigaretten – doch die Glimmstängel wurden in Socken und Handtaschen einfach an den spärlichen Sicherheitskontrollen vorbei geschmuggelt. Geraucht wurde dann heimlich, unter vorgehaltener Hand, und die Zigaretten wurden innerhalb der Freundeskreise herum gereicht. Und was den Alkohol angeht: Kaum ein Gesprächspartner wurde angetroffen, der nicht eine ordentliche Fahne hatte – die Fans haben sich einfach vor dem Konzert volllaufen lassen; und einige Flachmänner wurden ebenfalls gesichtet. Das ist Widerstand gegen das System, das ist Rock’n’Roll.

Wer sind diese Fans überhaupt? Gesichtet wurde auf dem ersten Konzert der US-amerikanischen Rockband in Indien weniger der typisch westliche Metallica-Fan mit seiner haarigen Bierwampe und fettigen Haaren – sondern hauptsächlich Menschen der jungen urbanen Mittelschicht: Zwischen 20 und 30 Jahren alt, mit vernünftigen Jobs, so dass man sich das Eintrittsgeld von rund 40 Euro leisten kann – und gekleidet in den typischen Metallica-Shirts, schwarz mit Dämonen und so.

Als dann das Konzert eine Stunde nach dem Roadie-Fiasko beginnt, bricht die Hölle auf – Indische Metallica-Fans zeigen Emotionen, die Europäer einfach nicht mehr zeigen können und wollen. Sie singen und sie tanzen und sie grölen. Und dabei tun sie weitere Dinge, die in Europa wohl seit den 80ern nicht mehr als cool gelten. Die Highlights:

1. Mit dem Handy aus zig Meter Entfernung ein Konzert von der Video-Leinwand abfilmen

2. Die Finger zur Teufels-Geste formen und in die Höhe strecken

3. Laut mitsingen – und zwar nicht nur den Text, sondern ganze Gitarrensoli

4. Luftgitarre spielen

Das wirkt auf Europäer befremdlich, ist aber verständlich – so lange haben die Fans gewartet, und nun wurde ihr Traum erfüllt. Und die Band weiß, was sie den Fans schuldet, röhrt zwei Stunden lang, spielt einige Zugaben – nachdem man das Konzert in Delhi abgeblasen hatte, war man das den Indern einfach schuldig. Als Drummer Lars Ulrich schließlich um 22 Uhr vor das Mikrofon tritt und ins Publikum fragt, ob er der einzige sei, der sich weitere Metallica-Konzerte in Indien wünscht, erntet er einen Sturm aus Jubel.

Rockmusik in Indien: Das funktioniert. Das haben die Veranstalter nun bewiesen, die allein mit den Ticket-Verkäufen an einem einzigen Abend mit zwei Bands (Metallica plus Vorband) 1,6 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet haben. Nur muss man sich halt auf lokale Gegebenheiten gefasst machen – dann erwarten einen aber die motiviertesten Fans dieses Planeten.

Dieser Beitrag ist Teil des E-Books „Indien 2.0 – Twittern im Tuk-Tuk“, das aktuell bei Amazon erhältlich ist.

Wird 2012 das beste Musikjahr seit langem?

Für mich war 2002 das bisher beste Musikjahr des seit zwölf Jahren laufenden Jahrtausends. Warum? Weil ich damals auf dem Frequency-Festival (zu der Zeit noch in Salzburg abgehalten) war und gleich drei gute Bands nacheinander auf der Bühne beim Rocken begutachten konnte: Die Ärzte, Sportfreunde Stiller und die famosen Tocotronic – letztgenannte allein hatten mit ihrem selbstbetitelten weißen Album schon genug Argumentations-Stoff dafür geliefert, dass 2002 einfach famos war.

Nach einer längeren Durststrecke sieht es nun erneut gut aus auf den Festivals dieser Welt: Auf dem Frequency-Festival, das heuer in St. Pölten stattfinden wird, reihen sich fast die gleichen Bands aneinander wie vor fast zehn Jahren, unter anderem Tocotronic und die Sportfreunde Stiller; hinzu kommen so Größen wie Bush, Jan Delay, die Dandy Warhols, Placebo, The Cure, The Killers, Korn, Bloc Party und der ehemalige Oasis-Gitarrist zusammen mit ein paar anderen Typen. „Die Ärzte“ fehlen zwar in dieser Liste – geben aber dafür gleich zwei Konzerte nacheinander in Wien, und ich habe freilich bereits mein Ticket. Und wenn wir schon von Punkrock und so sprechen: „Die Toten Hosen“ sind auch wieder auf Tour – ihre Konzerte sind aber leider größtenteils schon ausverkauft; einzig für das Novarock-Festival gäbe es noch Karten, wo sich die Düsseldorfer die Bühne unter anderem mit Metallica und Limp Bizkit teilen.

Hintergrund dieses gewaltigen Touring-Jahres ist, dass die meisten Bands entweder gerade an einem neuen Album feilen, oder bereits eines im Handel stehen haben: Das neue Werk der „Ärzte“ lässt sich komplett und legal auf YouTube anhören; die Toten Hosen haben mit „Tage wie dieser“ eine unpackbar ergreifende Single – passend zur im Sommer anstehenden Fußball-EM – auf den Markt gebracht und werden bald das Album nachwerfen. Auch von Tocotronic wissen Fans aus dem Newsletter, dass sie in der finalen Produktion einer neuen LP sind und mal wieder alles ganz anders machen wollen als vorher. Den absoluten Clou habe ich aber von einem Musikjournalisten erfahren: Auch die Rolling Stones feilen Gerüchten zufolge an einem neuen Album – eine Tour soll ebenfalls in Planung sein.

Was das bedeutet, muss ich wohl niemand erklären: Den Urlaub sollten Rock-begeisterte heute so planen, dass sie den diversen Festivals beiwohnen können; und dann ziehen wir uns unsere alten Fan-Shirts und verwaschenen Jeans an und hüpfen ordentlich im Gatsch auf und ab – denn, so viel ist gewiss: Die schlechte Musik, die lässt im Anschluss sicher nicht lange auf sich warten – die nächsten Monate über aber sollten wir genießen, was kommt.