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Menschen

Impressionen aus der Wiener U-Bahn

ubahnMorgens in der U-Bahn-Station Neubaugasse: Vor einem H&M-Plakat, das ein sexy Model im Bikini zeigt, steht eine Schülerin mit Kopftuch. Eine rote Schaumstoff-Kugel hat sie auf der Nase, eine Blechdose in der Hand: Offensichtlich sammelt die gerade Geld für eine bekannte NGO.

Ihre Mitschülerinnen machen mit dem Smartphone ein Foto vom muslimischen Mädchen vor dem aufreizenden Plakat. „Wartet, wartet“, sagt diese plötzlich – sie beschleicht das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt: „Sehe ich auf dem Foto fett aus?“ Dann posiert sie lächelnd vor dem Plakat.

Eine katholische Nonne betritt das Geschehen. Sie geht auf das Mädchen mit Kopftuch zu und steckt ihr ein paar Münzen in die Blechbüchse.

Die U-Bahn fährt ein. Im Waggon küssen sich zwei homosexuelle Frauen. Daneben flucht ein Pensionist sein Smartphone an, weil er es nicht schafft, mit seinem neuen iPhone eine SMS zu verschicken. Ein Kleinkind im Kinderwagen und ein Dackel führen eine Konversation über Tier- und Baby-Laute.

Ich schaue mich um: Der Rest des Waggons spielt mit seinen Smartphones oder Tablet-PCs – ich selbst beschließe, mein eigenes Handy ausgeschaltet zu lassen und einfach mal mein Umfeld zu genießen.

Als ich aussteige, stelle ich fest, dass gleich hinter mir einer meiner besten Freunde gesessen ist. Er hat die ganze Fahrt über auf sein iPhone gestarrt und somit – im Gegensatz zu mir – die Reality-Show einer Wiener U-Bahn-Fahrt nicht genießen können.

Fazit: Manchmal zahlt es sich aus, einfach mal digital abzuschalten und die physische Realität zu beobachten. Denn selbige kann teils mehr Inspiration und Horizont-Erweiterung liefern als sämtliche Mails von Kollegen und Kunden zusammen.

Aus Gründen der Effizienzmaximierung erschien dieser Beitrag auch auf der Website meines aktuellen Arbeitgebers, dem WirtschaftsBlatt. Weitere „Momente“ finden sich in meinem Buch „Indien 2.0 – Twittern im Tuk-Tuk“, das auf Amazon und im Buchhandel (ISBN: 3844267999) erhältlich ist.

Eine Begegnung am Strand

Die beste abendliche Zeitbeschäftigung in Pondy ist ein einsamer, romantischer Spaziergang entlang der Strandpromenade. Und weil das Jeder weiß, ist der Spaziergang freilich alles andere als romantisch und einsam, der Weg entlang der tosenden Wellen ist heillos überfüllt. Dennoch: Es gibt nichts Besseres – erst Recht nicht nach einer dicken Portion Pasta.

Während ich meine Verdauung durch Flanieren in Gang bringe, lasse ich meine Gedanken schweifen – und gerade, als ich mal wieder kurz vor einer neuen Erkenntnis über das Leben, das Universum und den ganzen Rest stehe, werde ich – wie in Indien üblich – angesprochen. Ein Mann, gekleidet in Wollmütze und Winterjacke, fragt mich, wo ich her komme. „Deutschland“, sage ich, und suche das Weite. Er folgt mir, und zieht seine Wollmütze vom Schädel – sichtbar wird darunter der Kopf eines rund vierzigjährigen Mannes; ein Schnurrbart und zwei braune Augen lächeln mich freundlich an. „Vermutlich hat Sie meine Wollmütze irritiert“, sagt er: „Die macht Ausländern immer Angst.“

Er stellt sich vor: Ein Beamter in der Stadtplanung ist er; und er besitzt drei Häuser in Pondicherry – über Geld muss er sich keine Gedanken mehr machen. Abends, nach dem Essen, gehe er immer zwei Mal die Küste entlang, aus dem gleichen Grund wie ich: Kalorien abbauen, Gedanken schweifen lassen. Und außerdem redet er immer gerne mit den Ausländern, sagt er.

Ich frage ihn, wie lange man von der Gandhi-Statue bis zu meinem Hotel geht. „Die gleiche Frage hat ein Bürger mal einem Mönch gestellt“, sagt mein neuer Freund. Seine Antwort war gewesen: Das hängt von der Gehgeschwindigkeit ab – eine fernöstliche Weisheit, wie man sie sich im Westen wünscht. Wir starren auf den Vollmond und lauschen dem Rauschen der Wellen, eine Herde Büffel zieht gemächlich vorbei. Mein neuer Freund lacht: „Bei uns gibt es eine Redewendung: Du bist langsam wie ein Büffel.“ Auch ich grinse – der Büffel braucht wohl länger von der Gandhi-Statue bis zu meinem Hotel.

Ich bin müde. Zwar wohne ich gleich um die Ecke, doch ich spaziere mit ihm noch mit ihm zu seinem Moped – nach Eigenangabe besitzt er drei dieser Art. Dann setze ich mich auf seinen Rücksitz, und wir düsen die Küste entlang zurück zu meinem Hotel – freilich ohne Helm, denn wir sind zwar in einer frankophilen Stadt, aber noch lange nicht in Europa.

Seid gut zu Ihnen!

„Klar könnte ich ihr das schenken, aber ich bin doch nicht wahnsinnig“, sagte der neue Freund einer guten Freundin, irgendwann kurz vor Weihnachten. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben, denn auf die Frage, was er der neuen Flamme denn zu Weihnachten schenken könne, hatten wir – ihre langjährigen Freunde – wie aus dem Kanonenrohr geschossen geantwortet: Ein Stofftier!

Doch er wusste genau, worauf er sich da einlässt: Stofftiere sind die natürlichen Feinde des Mannes, zumindest glauben wir das gerne. Wenn wir selbst nach Liebe und Zuneigung dürsten, uns diesen wundervollen Wesen nähern wollen, wenden sich die Liebsten  manchmal kaltherzig von uns ab, nur um sich stattdessen an ihren Eisbären, Panda oder Grizzli zu schmiegen… hat denen niemand jemals gesagt, dass Bären böse Raubtiere sind?

Wie jeder moderne Mann meines Alters habe ich freilich keine Freundin, sondern etwas Seltsames, das man wohl am Besten als „Nicht-Beziehung“ bezeichnen kann: Nicht Freundschaft, nicht Beziehung, auch keine andere dieser öden Definitionen, die Menschen für verschiedene Mischformen erfunden haben. Sondern irgend etwas Neues, Innovatives, auf unsere Bedürfnisse Maßgeschneidertes. Die Nicht-Beziehung ist die perfekteste Form der Beziehung, absolut zeitgemäß und unanfechtbar.

Aber es hilft nichts: Auch hier gibt es ihn, den Feind in meinem Bett.

Er hört auf den Namen Fido, hat aber mit dem Zombie aus dem gleichnamigen Film gar nicht zu tun. Stattdessen ist er eine recht seltsame Mischung zwischen Bär und Hund – wir haben ihn „Bärenhund“ getauft. Fido ist vermutlich das letzte Wesen seiner Art; denn Bären hunde sind vom Aussterben bedroht – ich zumindest kenne keinen anderen außer Fido.

Ich beschloss, diesmal alles anders zu machen.

Nicht mehr gegen den Feind anzukämpfen.

Consulter würden klugscheißern mit der Phrase: Kooperation statt Konkurrenz. Ich hingegen weiß, dass der Weg zum Herz dieser Frau, die mir so viel bedeutet, nur über ihren Bärenhund führen kann.

Und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Er ist – wie die Wie ner sagen würden – mein Hawara geworden.

Wenn das liebste Mädchen von allen grad im Bad ist, führen wir Männergespräche; manchmal vermittelt er zwischen uns, wenn wir uns wieder mal über Kleinigkeiten streiten. Wenn ich als erster aufwache und das Haus verlasse, verabschiede ich mich von beiden mit einem Bussi auf Wange oder Schnauze. Fast hätte ich ihn auch mal zum Pokern eingeladen, aber dann ist mir aufgefallen, dass das ein Blödsinn ist.

Stofftiere können ja gar nicht Poker spielen.

Denn sie haben ja keine Finger.

Die Moral aus der Geschichte ist jedenfalls klar: Männer, behandelt die Stofftiere Eurer geliebten Frauen gut. Denn ein Kampf gegen Grizzlis, Eisbären und Bärenhunde ist ein Kampf, den Ihr unmöglich gewinnen könnt. Freut Euch stattdessen, einen neuen Freund zu haben. Und außerdem könnt Ihr alles in einer neuen Relation sehen: Durch den flauschigen Genossen sind wir nicht das haarigste Wesen im Bett.

fido