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Meditation

Mach es fertig…

…bevor es Dich fertig macht. Diesen bekannten Slogan kann wohl Jeder nachvollziehen, der schon mal in größerem Stil umgezogen ist. So zumindest geht es mir derzeit – gerade aus dem feinen Sommerurlaub zurück gekehrt, wird mein Leben von vielen kleinen Problemen Herausforderungen rund um Umzug und Renovierung bestimmt. Ummelden? Ja, kommt noch. Zuerst mich selbst, dann meine Vespa. Und die Bank nicht vergessen. Und dann muss ich in der alten Wohnung noch Strom und Gas abmelden, das alte Internet abmelden, in der neuen Wohnung neues Internet anmelden. Einpacken, umziehen, Kartons wieder auspacken. Alles einräumen. Uff. Und natürlich: Renovieren.

Zwar habe ich für die meisten Aufgaben rund ums Wohnungs-Lifting einen Profi engagiert und erfahre auch tolle Hilfe von den Schwiegereltern in spe – zumindest das teilweise Ausmalen wollte ich mir aber nicht nehmen lassen.

Denn Ausmalen, das ist so was wie Meditation. Wenn der Pinsel in die Farbe tunkt, sich auf die pastellfarbene Wand legen lässt und sie mit gleichmäßigen Bewegungen in ein klares, emotionsloses Weiß tüncht, dann können die Gedanken frei fließen. Dann gibt es keine Redaktion mehr, keine Wirtschaft, keine Politik, keine bevorstehende Hochzeit der kleinen Schwester und keine kleinlichen Streitereien im Freundeskreis – es gibt nur Dich, und die Wand. Der Alltag ist weg, und das Zen ist nahe. Ja.

So war es zumindest in den vergangenen Tagen. Nun ist bereits fertig ausgemalt, und das Nirvana wieder in weite Ferne gerückt. Keine Sorge also: Ich bin nicht zum Buddha geworden, sondern werde hier weiter bissig-böse ätzen. Derzeit weniger, nach Abschluss des Umzugs dann hoffentlich wieder mehr. Wer in der Zwischenzeit darbt und es nicht mehr abwarten kann, dem empfehle ich nur: Selbst ausmalen. Das schult die Geduld. Ohm.

Ich höre das Om

Wie vereinbart treffe ich Mauna am nächsten Morgen an den Toren des Matrimandir. Wir passieren den Security-Check, wo sie mich als ihren Gast registriert, und betreten den Garten, der das gewaltige Bauwerk umgibt. Hier führen verschlungene Pfade hin zu der goldenen Kugel, vorbei an Dingen, die für sich selbst genommen schon etwas Besonderes sind – etwa ein Banyan-Baum, dessen Zweige sich majestätisch in den Boden senken, um von dort erneut zu sprießen; den Durchmesser der Blattkrone würde ich auf 20 bis 30 Meter schätzen. Gärtner arbeiten fleißig an der Bewässerung der Rasenflächen, die Sonne des Südens brennt bereits am frühen Morgen auf das Gelände herunter.

Dann erreichen wird die goldene Kugel, die im Sonnenlicht schimmert und glänzt. Unter ihr befindet sich ein kleiner Teich – auf ihn fällt Sonnenlicht, das in ein Loch am Dach der Kugel eindringt, durch den berühmten Kristall hindurch fällt und schließlich am Boden der Kogel wieder austritt, um das Gewässer zu erleuchten. Das Wasserspiel hat die Form einer Lotusblüte, und das kühle Nass plätschert beruhigend dahin.

Zum Betreten der riesigen Kugel – dem spirituellen Zentrum Aurovilles – muss ich meine schwarzen Socken gegen weiße eintauschen. Nicht etwa aus religiösen Gründen, wie mir Mauna erklärt – sondern weil die schwarzen Socken Spuren hinterlassen würden. Das finde ich zuerst etwas zimperlich, doch als ich das Innere des Heiligtums betrete, verstehe ich, was gemeint ist: Die Teppiche sind hier weiß, die Wände aus weißem Marmor, die Geländer aus Glas, die Farblosigkeit des Raums wird unterbrochen von Silber. Menschen sind komplett in weiße Gewänder gekleidet; sie bewegen sich schweigend und gemächlich an Wendeltreppen im Stil eines Gemäldes von M. C. Escher hinauf zum oberen Teil der Kugel. Wäre ich süffisant, so würde ich sagen: Das Gesamtbild wirkt so, wie man sich in den 60er-Jahren die Zukunft vorgestellt hat. Aber eigentlich ist Süffisanz hier nicht angebracht; der Ort strahlt tatsächlich eine magische Energie aus, religiöse Symbole sind übrigens nicht zu finden.

Oben angekommen, sehe ich den Kristall. Es ist eine Kugel, die von oben durch einfallendes Sonnenlicht erleuchtet wird; wie magisch scheint er zu schweben und zu strahlen. Drum herum sitzen Menschen im Schneidersitz auf weißem Teppichboden vor den weißen, gebogenen Wänden der Halbkugel; sie meditieren. Und auch wir haben nun eine halbe Stunde Zeit dafür. Ich setze mich also hin, schließe die Augen und atme bewusst, um mich auf ein anderes spirituelles Level zu bewegen.

Es will mir nicht gelingen.

Denn im Ashram war es zwar ruhig, aber nicht vollkommen still gewesen – hier hingegen herrscht vollkommene Geräuschlosigkeit außerhalb meines Körpers; und dadurch höre ich, wovor ich mich die vergangenen Monate öfters gefürchtet hatte: Ein leises, permanentes Fiepen in meinen Ohren. Oh Schreck, denke ich mir: Ein Tinitus. Wie lange ich ihn wohl schon habe? Vielleicht schon seit Bangalore? Und ich habe ihn bloß nie wahrgenommen, weil es in Indien stets so laut war? Ist es nun zu spät für schulmedizinische Hilfe? Werde ich mein Leben lang dieses Fiepen im Ohr tragen? „Reg Dich ab, konzentriere Dich auf die Meditation“, sagt ein anderer Teil in meinem Körper: „Das ist eine einmalige Chance, ignoriere das Fiepen jetzt einfach.“ Der verängstigte, westliche Teil meines Gehirns streitet sich anschließend lauthals mit dem spirituellen Teil, der einfach nur in Ruhe vor dem größten makellosen Kristall der Welt meditieren will – und dieser Tumult in meinem Kopf tut mir gar nicht gut, ich fühle mich unzufrieden und komme auf keinen grünen Zweig. Und dann – blink, blink – leuchtet schon ein Licht auf, das den Meditierenden das Ende der halben Stunde einläutet. Wir stehen auf und verlassen die Kugel.

Zurück im Garten erkläre ich Mauna mein Problem: „Ich fürchte, ich habe seit Monaten einen Tinitus, und ich habe es erst jetzt – in der Stille – bemerkt“, jammere ich. Sie schaut mich mit großen Augen an und fragt: „War das ein hoher, gleichbleibender Ton?“. Ich bejahe, und sie lacht: „Das war kein Tinitus, das war das OM!“ Der heilige Ton also, der das Universum erfasst? Ich habe meine Zweifel, bin aber höflich. Ich sage ihr, dass ich das wohl falsch verstanden habe; und sie meint lediglich, das beruhe halt auf meiner westlichen Sichtweise. Irgendwie meine ich, zwischen den Zeilen ihrer Aussage ein „Du Trottel“ vernehmen zu können; ich hätte mich auf den Ton konzentrieren sollen und mit ihm meditieren, statt ihn zu ignorieren, sagt sie.

Naja. Ich zweifle die Aussage weiterhin für mich selbst an und nehme mir vor, in Österreich zu einem Arzt zu schauen, solle das Problem weiter bestehen – vermutlich, so fürchte ich, werde ich es wohl in den kommenden Wochen noch weiter hören. Ich verabschiede mich freundlich und fahre mit dem Auto weiter; zuerst nach Mahabalipuram, und dann weiter nach Chennai.

Am Abend des gleichen Tages liege ich in einem Bett, am Stadtrand von Chennai; und es ist totenstill. Komplett still. Mein vermeintlicher Tinitus, so stelle ich erstaunt fest, ist verschwunden.

Lakshmi und ein guter Ashram

Mit rauschigem Schädel eile ich somit alleine zum Ganesh-Tempel – Ganesh und ich, wir verstehen und recht gut: Ich besitze mittlerweile einen Schlüsselanhänger und zwei Gemälde mit seinem Abbild, in Bombay wartet noch eine kleine Statue des elefantenköpfigen Gottes auf mich; und im Gegenzug für meine Einkaufslust räumt er die Probleme während meiner Reise aus dem Weg – gegen die Macht eines Gottes kommen nun mal selbst indische Bürokratie, verspätete Züge und gewaltige Straßenlöcher nicht an. Um auf Nummer sicher zu gehen, kaufe ich mir daher beim Tempel in Pondicherry noch ein weiteres Abbild: Ganesh mit Geldgöttin Lakshmi und Weisheitsgöttin Sarwaswati als handliche, laminierte Karte für die Geldbörse.

Im Tempel torkle ich einmal im Kreis, bewundere die Architektur und die verschiedenen Abbilder meines Lieblingsgotts, wohne noch dem Pooja bei und trete anschließend ins Freie – dort erwartet mich dann das eigentliche Highlight der Institution: Lakshmi. Benannt nach der Göttin des Geldes, ist Lakshmi der Tempelelefant des Ganesh-Tempels in Pondicherry; sie trägt kleine Silberkettchen rund um ihre Beine, die so dick sind wie Baumstämme, und sie begrüßt freudig jeden einzelnen Passanten durch Heben ihres Rüssels. Wer will, der kann ihr Futter geben – viel lieber hat sie aber Geld: Anfangs kaufe ich Heu und reiche es ihr, woraufhin sie es sich achtlos ins Maul stopft; als ich ihr aber anschließend eine Rupie-Münze in den Rüssel reiche, schiebt sie sich diese ebenfalls in die Mundhöhle und segnet mich anschließend – was de facto bedeutet, dass sie dem Gläubigen einmal mit dem Rüssel auf den Kopf haut.

Beduselt von der Elefantenwatschen und den zwei Kingfisher schaue ich ihr noch eine Weile zu, bewege mich dann zum Ashram, den ich mir ja ebenfalls noch an diesem Tag ansehen wollte.

Dort erwarte ich das, was ich auch in Kerala erlebt habe: Eine durchgeknallte Sekte rund um einen Guru, der von den Anhängern in den Himmel gelobt wird, ohne auch nur einen Funken gesunden Menschenverstands oder auch nur den Hauch einer Chance, auf eigene Faust Erleuchtung zu finden – in Ashrams, so meine bisherige Erfahrung, gibt der Guru den Takt vor und alle müssen folgen.

Bei Sri Aurobindo in Pondicherry ist das anders. Dort betrete ich das Gelände, und es kümmert sich kein Schwein um mich. Stattdessen kann ich mich frei bewegen; lediglich ein kleiner Wegweiser zeigt mir den Pfad hin zum Hinterhof, wo sich Gäste aufhalten dürfen. Dort befindet sich ein mit Blumen besetzter Quader, vor dem Menschen knien, um in der Stille (man hört den Straßenlärm kaum) sich auf sich selbst besinnen zu können. Verteilt um das spirituelle Zentrum herum sitzen in einigen Metern Abstand, meist an die Mauern des Gebäudes gelehnt, Menschen verschiedener Nationalitäten – im Schneidersitz, mit geschlossenen Augen meditierend.

Auch ich nehme hier Platz, schließe die Augen und mache jene Atemübungen, die ich während meiner Studentenzeit mal aus einem Buch gelernt habe. Neben mir sitzt ein Inder mittleren Alters und tut genau das gleiche. Ich versinke in mich selbst, kann mich mit mir beschäftigen, ohne vom Alltag abgelenkt zu werden – und als ich eine Zeit später wieder die Augen öffne, weiß ich, dass dies eine gute Meditation war. So muss es halt sein – eigenständig, ohne einen falschen Heiligen. Ich fühle mich ausgeglichen und ruhig, und wanke glücklich heimwärts.

Später habe ich diese Geschichte gerne Freunden erzählt. Denn der Satz „Als ich mich mit einem schwulen Australier betrank, mich von einem Elefanten ohrfeigen ließ und anschließend meditieren ging“ drückt wohl so schön wie nichts anderes aus, wie treffend sich die Vielfalt Indiens in einer kleinen Stadt wie Pondicherry widerspiegelt.