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Kritik

Nichts Neues an der Selbstfindungs-Front

Die Band REM rund um Sänger Michael Stipe kann guten Gewissens als die institutionalisierte Selbstfindung schlechthin bezeichnet werden – wohl kein Studentenzimmer auf der Welt gibt es, indem zu pseudointellektueller Diskussion nicht Stücke wie „Losing My Religion“ oder „Shiny Happy People“ gelaufen sind. REM waren zudem Inspiration für zahlreiche andere Bands, von der US-amerikanischen Band Live bis zu vielen meiner eigenen Musikprojekte – während aber Live sich mittlerweile aufgelöst haben und meine letzte Band ebenfalls eine kreative Pause einlegt, sind REM wieder da: Mit ihrem neuen Album „collapse into now“.

Zugegeben: Der Journalist in mir fand das Album unglaublich platt. Bei objektiver Betrachtung ist auf den ersten Blick offensichtlich, dass die Band wenig neue Ideen hat – ein Rocksong hier und eine Ballade dort, aber im Endeffekt klingt alles wie die vorherigen Alben. Pfui, hinfort damit – vorerst habe ich das Album nicht mehr angerührt.

Bis ich heute beim Kaffeekochen mich selbst beobachtete.

Denn da stand ich in der Küche und ertappte mich dabei, wie ich Melodien aus „collapse into now“ summte. „Ihr verdammten Hunde“, dachte ich mir: „Habt Ihr es also doch wieder geschafft.“ Flugs also den mp3-Player angeworfen, Kopfhörer eingesetzt und Kaffee schlürfend auf dem Weg in die Redaktion den Verdacht bestätigt: Auch diesmal haben REM wieder ein ordentliches Ohrwurm-Album produziert.

Es ist schwer, einzelne Beispiele heraus zu greifen. Der rockige Opener „discover“ bleibt ebenso im Ohr kleben wie das Schmuselied „Oh My Heart“. Das alles wie gesagt, ohne sonderlich kreativ zu sein: Rhythmus-Gitarre, Streicher, der eine Riff hier und da, ein flüsternder, schreiender und jaulender Stipe plus Backing-Vocals. Den Höhepunkt der Banalität bildet mit einem straightem Songaufbau, verzerrter E-Gitarre und melodiösem Refrain der Rocksong „mine smells like honey“ – und dieses Lied ist zugleich jenes Stück, das in mir am meisten die Vorfreude auf die kommende Festival-Saison weckt.

Denn so sehr der Journalist in mir auch die objektiven Kriterien heran ziehen möchte: Der Stefan in mir freut sich auf 30 Grad, Sonnenbrille, Staub, Dosenbier – und vor mir auf der Bühne ein Michael Stipe, der mir vorsingt, warum ich so bin wie ich bin.Fazit: Wenige Band dürfen so unverschämt sein, jahrzehntelang das Gleiche zu machen – aber REM gehören zu dieser seltenen Spezies. Der guten alten Studentenzeit wegen.

Ich liebe es, wenn Stipe mit anderen Bands live spielt.

Hier ein gemeinsamer Auftritt mit Radiohead.

King of Limbs? Wohl eher: King of Langweilig.

Lieber Thom,

mit Dir und Deiner Band „Radiohead“ verbinde ich sehr viel. Im Grunde habt Ihr mich durch meine gesamte Postpubertät begleitet. Umso mehr bin ich nun verwirrt; um nicht zu sagen: Enttäuscht. Aber mehr dazu später.

Meinen ersten Kontakt mit Euch hatte ich wohl schon in der Pubertät. Bei irgendeiner Gelegenheit habe ich damals „Creep“ gehört. Vielleicht bei einer Party, oder im Radio oder bei einem Freund – wurscht. Entscheidend ist: Diese Musik hat meine Stimmung damals treffend beschrieben. Weil aus der Sicht eines Pubertierenden man ja der einzige traurige Mensch auf der Welt ist, und niemand einen versteht, weil man ja so wahnsinnig anders ist. Das war toll; ich konnte mich in Deinem Gejammer wiederfinden und gleichzeitig zu den E-Gitarren innerlich so richtig abrocken.

Dann habe ich zu studieren begonnen; und eine Freundin drückte mir Eure Alben „OK Computer“ und „The Bends“ in die Hand. Besonders Ersteres habe ich in meinem kleinen, unaufgeräumten WG-Zimmer rauf und runter gehört. Es wurde zum Aufstehen ebenso gespielt wie zum Lernen (was zugegebenermaßen eher selten vorkam). Während meines Erasmus-Semesters habe ich mir dann den Film „L’auberge Espagnol“ angesehen, in dem der Song „No surprises“ so wunderschön eingesetzt ist – so wurde er für mich zur Hymne gegen die Bourgoisie, das Spießertum, das Mittelmaß.

Dann wurde es schwieriger zwischen Dir und mir. Ich habe mein Studium abgeschlossen und zu arbeiten angefangen. Und obwohl das im Jahr 2005 war, entdeckte ich erst dann Deine bereits Jahre zuvor veröffentlichten Alben: Kid A, Amnesiac und Hail to the Thief. Ich freundete mich widerwillig mit Euren Stilwechsel an und spielte die Alben an meinem damaligen Arbeitsplatz, der Redaktion der Bunten Zeitung, rauf und runter. Ein Kollege urteilte mit „langweilig“; und ich nervte ihn so lange mit Erläuterungen zu einzelnen Passagen, bsi er schließlich geknickt abzog.

Meine Freunde bezeichnen Deinen Stil seit „Kid A“ als „Selbstmordmusik“, die man auf keinen Fall auf Partys hören könne. Ich reagierte darauf stets entrüstet; es gebe von Radiohead ja auch Rock-Songs, wie etwa „Anyone can play guitar“ aus Eurem ersten Album „Pablo Honey“. Und die neuen Lieder, die seien dann halt für ruhige Stunden zuhause gedacht. „In Rainbows“ habe ich mal meinen Eltern vorgespielt. Die dachten bei den komischen Sounds, dass die Anlage kaputt ist – was auch irgendwie lustig war.

Aber ehrlich, Thom: Euer neues Album, dieses „King of Limbs“… das ist platt. Es ist eine Aneinanderreihung von elektronischen Beats, kombiniert mit Deinem Gejaule; das Ganze auch noch wahnsinnig monoton, mit so einer Fadesse in Deiner Stimme – an einzelnen Passagen frage ich mich, ob Du während der Aufnahmen vor dem Mikro eingeschlafen bist. Aus künstlerischer Sicht mögen die Elektro-Beats vielleicht noch den Stempel „okay“ kriegen – auch wenn ich manche Hobby-Musiker kenne, die kreativer sind. Aber was mich so wirklich nervt, ist das mangelnde Use Case: Auf einem Date würde ich dieses Gejammer nicht spielen, auf einer Party erst recht nicht. Und meine Sonntagnachmittage sind mir auch zu schade für künstlich aufgesetzte Suizidgedanken.

Vielleicht habe ja auch ich selbst mich verändert. Gehe jetzt auf die 30 zu, habe eine traumhafte Beziehung, ausgeglichene Freunde und tolle berufliche Perspektiven. Dann hat man schon weniger Lust auf so ein Gejammer und Gutmenschengetue. Aber irgendwie glaube ich trotzdem nicht, dass es nur an mir liegt. Irgendwie glaube ich, Ihr seid noch viel erwachsener – und auch langweiliger – als ich geworden, und dass Ihr Musik einfach nur noch als Business seht, bei dem Ihr alle paar Jahre mal ein paar Beats auf den Markt rotzen müsst, um im Gespräch zu bleiben.

Würde mich freuen, wenn Ihr endlich wieder in die 90er zurück kehrt, das Distortion-Pedal und die Gitarre auspackt und den Teenie-Bands von heute zeigt, was echte Rockmusik ist. Damit könnte ich mich dann auch wieder identifizieren und bei der nächsten Party ordentlich abrocken.

Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Stefan Mey

Ehemaliger Radiohead-Fan

Haircrimes, Umpa Lumpas und das Stargate

Ich liebe Ausflüge, nette Menschen und das Burgenland. Folglich zögerte ich also nicht lange, als mich ein netter Mensch fragte, ob ich mit ihr einen Ausflug ins Burgenland machen möchte – nämlich zu den Opernfestspielen im Römersteinbruch St. Margarethen. Auf dem Programm dieses Jahr: Mozarts Zauberflöte. Was ich dort gesehen habe, hat mich den ganzen nächsten Tag über beschäftigt, und so ganz verdaut habe ich es noch immer nicht – daher möchte ich es gerne mit Euch teilen.

Erst mal zum Bühnenbild. Für dieses hat sich der Verantwortliche Manfred Waba Inspiration in verschiedenen Kulturkreisen östlich unseres Standorts geholt und sich sogar im Weltraum umgesehen – aber mehr dazu später. Lassen wir den Blick von links nach rechts schweifen, sehen wir seltsame Gesteinsformationen, die sich an der Landschaft Kappadokiens orientieren. Kappadokien liegt in der Türkei, ist ein sehr empfehlenswertes Reiseziel und sieht circa so aus:

Ein Schelm, wer jetzt an Zauberflöten denkt. 🙂

Im Zentrum der Bühne wiederum findet sich ein gewaltiger Löwenschädel aus Stein (nicht echter, aber es sieht ziemlich echt aus); und ganz rechts findet sich ein indischer Tempel, in dem das Orchester sitzt. Und Papagenos Hütte gibt es freilich auch.

A propos Papageno. Kommen wir zur Handlung.

Also: Da geht es um ein Mitglied aus Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band – nennen wir ihn mal „Sgt. Prinz“, der auf eine ziemlich wirre Figur trifft, nämlich den total abgefahrenen Papageno. Papageno hat echte Probleme. Erstens war er mal beim Bundesheer und hat das Trauma aus dem Grundwehrdienst noch immer nicht ganz verkraftet, weshalb er noch immer im Tarnanzug in der Gegend rum rennt; zweitens ist sein Friseur noch immer in der Ausbildung, weshalb Papageno mit einem wirklich schlimmen Hair-Crime zu kämpfen hat:

Beide hören sie die Geschichte von einer Frau, die entführt wurde. Obwohl sie ihnen vollkommen unbekannt ist, ist der rattige Sgt. Prinz überzeugt davon, sie retten zu müssen, weil es sich bei der Dame anscheinend um seine große Liebe handelt. Armer Kerl. Papageno, der nicht nur ein militantes Haircrime-Opfer, sondern auch ein gewiefter Gehschäftsmann ist, wittert neue Vögel-Märkte und schließt sich ihm an. Unterstützt werden sie dabei von Umpa Lumpas in einem Boot.

Nach einiger Zeit – das Haar-Drama scheint schon fast vergessen – trifft Papageno dann auf seinen Widersacher. Dieser Mann ist der einzige, der ihm in Sachen Hair-Crime noch das Wasser reichen kann:

Während sich Papageno mit dieser Situation ziemlich stresst und schnell zu seinem Frisör rennt, besinnt sich Sgt.Prinz auf seine Kernkompetenz: Musik machen. Allerdings nicht mit seiner Flöte, die er immer bei sich trägt, sondern mit Gesang. Begleitet wird sein Solo von… nun ja… tanzenden Tieren. Die sehen so aus:

Vermutlich ist die Artenvielfalt anhand der Handy-Fotos nicht wirklich gut zu erkennen… aber seid Euch gesagt: Besonders fasziniert haben und die wackelnde Giraffe und das tanzende Wildschwein. Spätestens an dieser Stelle haben wir uns gefragt, ob es wirklich eine gute Idee der Veranstalter war, den Bühnenbildner auch Regie führen zu lassen. Wo waren wir hier gelandet?

Die Skurrilität setzt sich fort: Nach den Hair-Crimes, den Umpa Lumpas und den tanzenden Tieren trifft Papageno eine junge Dame, die an den gleichen Traumata leidet wie er. Während sie diesbezüglich ein Lied anstimmen, werden gewaltige Vogeleier auf die Bühne gekarrt, aus denen Kinder schlüpfen – ebenfalls die Tarnanzüge tragend. Der Prinz hingegen setzt seine Reise fort und führt die Absurdität zu einem grandiosen Finale, indem er auf ein Stargate inklusive Goa’uld trifft:


Doch keine Sorge: Alles wird gut. Der Prinz dringt in das Stargate ein, seine Flöte verwandelt sich in ein leuchtendes Lichtschwert, die Sekte nimmt ihn auf und Papagenos Erfolg mit Vögeln ist ebenfalls gesichert.

Oh mann. Es gibt Tage wie diesen, an denen ich weiß, warum ich nicht Kulturjournalist geworden bin.

Die neue Tocotronic-Single ist online!

Seit einer knappen Stunde ist es so weit: Tocotronics Video zur neuen Single  „Macht es nicht selbst“, der erste Vorbote des im Jänner erscheinenden Albums „Schall & Wahn“ ist auf der Homepage der Band online. Ersteindruck: Wie zu erwarten eher seltsam.

Anders als bei anderen Stücken der jüngeren Schaffensperiode spart die Band hier mit Zitaten diverser Autoren verschiedenster Epochen. Stattdessen kommt die Message klar rüber: „Was Du auch machst, mach es nicht selbst“. Außer Selbstbefriedigung. Und natürlich Selbstausbeutung. Was? Wie bitte? Doch nicht so klar? Typisch Tocotronic eben. Die Interpretation bleibt dem Zuhörer überlassen; und der muss das nun erst mal sickern lassen.

Musikalisch scheint die Band weiter den Weg zu gehen, der sich schon im Voralbum „Kapitualtion“ abgezeichnet hat: Wieder zurück zu den Wurzeln; rockig gehalten mit verzerrter Gitarre – im Hintergrund ist ein Schriftzug zu sehen, der schon an die „Sag alles ab“-Zeit des Vorgänger-Albums erinnert . „Fuck it all“, will uns die Band damit wohl einmal mehr sagen.  Von der Verträumtheit des selbstbetitelten „weißen Albums“ (welches mit „Schatten werfen keine Schatten“ eines der schönsten Liebeslieder aller Zeiten enthält) ist hier nichts mehr zu spüren. Ob von dem Ersteindruck auf das ganze Album zu schließen ist, wird sich noch zeigen. Zumindest die Single sollte aber tanzbar sein und wird daher im Jahr 2010 wohl öfter aus den Lautsprechern des „Flex“ erklingen.

Im Video selbst besprühen sich übrigens überdimensionale Stofftiere gegenseitig und laufen dann brennend durch die Gegend. Flaming Lips meets Rammstein. Auch mal interessant.

Das ganze Video gibt’s übrigens hier.

dirk

In der Wolke hat die Freiheit Grenzen

Der aktuelle Trend im IT-Business heißt „Cloud Computing“. Daten werden nicht im eigenen Haus gespeichert, sondern bei einem professionellen Anbieter auf einer Server-Farm – in der „Wolke“ – gelagert. Der Vorteil liegt auf der Hand: Das Unternehmen kann sich auf das Kerngeschäft konzentrieren, muss weniger Energie in Anschaffung und Wartung der IT stecken. Dennoch gibt es Kritiker.

Ein Malus des Konzepts: Abhängigkeit. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Unternehmer zu Open Source-Software gewechselt, etwa zum Browser ­Firefox oder zur Office-Software „Open Office“. Nun, da wir die Daten in die ­Wolke schieben und sie bei einem Fremden belassen, begeben wir uns zurück in die Abhängigkeit – denn sind die Daten einmal beim Anbieter, kriegt man sie schwer wieder von dort weg. Wer das nicht glaubt, der kann ja mal versuchen, vom Social Network „MySpace“ zum Konkurrenten „Facebook“ zu migrieren – das funktioniert nämlich nur, wenn alle Daten händisch abgetippt werden. Dass ein solcher Prozess bei Controlling-Daten deutlich mühsamer ist als bei den Angaben zu meinen Lieblingsfilmen, versteht sich von selbst.

E-Mail war gestern.

Auch sonst bieten die Social Networks schöne Analogien, etwa bei Fotos: Schickten wir uns Urlaubsfotos früher per Mail oder brannten sie auf CD, werden sie heute in der Wolke gespeichert – wer garantiert mir, dass sie dort für mich auch in Jahren noch zugänglich sein werden?

Oder anders gefragt: Wer garantiert mir, dass die Fotos nur für mich und meine Freunde zugänglich sind? Geschichten von Karriere-Stolpersteinen in Form von Fotos, die zu später Stunde auf Strandpartys gemacht wurden, gibt es ja einige. Erst vor wenigen Wochen brachte wieder ein Gerücht die Facebook-Community zum Kochen: Angeblich würden private Fotos für Werbezwecke bei ­Single-Börsen verwendet. Ein Gerücht, das ­Facebook dementierte: Werbepartnern, die private Informationen verwenden, würde der Vertrag gekündigt.

Aber wer garantiert permanente Wachsamkeit Sicherheit ist in der Wolke eine heikle Angelegenheit. Wem das Ganze jetzt schon reicht, der könnte freilich seinen Account kündigen – ist dann aber in der gleichen Situation wie eine Kollegin, die sich von Xing verabschieden wollte, die Option dazu aber erst im Unter-Unter-Punkt des Hilfe-Menüs fand. Wer einmal drin ist, kommt schwer wieder heraus.

Bemerkung: Aus Gründen der Effizienz-Maximierung erschien dieser Beitrag auch im WirtschaftsBlatt.