Ich versuche, die Kosten meines Aufenthalts in Indien niedrig zu halten, wo es geht – ein Mittelweg zwischen dem Hippie-Aussteigerleben und herkömmlichen Expats muss irgendwie möglich sein; vor allem in Sachen Unterkunft gibt es stets Einsparpotenzial. Für gewöhnlich schlafe ich daher in CoWorking-Spaces, die auch ein Co-Living, also ein Schlafen im Bürogebäude, ermöglichen im Jaaga oder dem Moonlighting gibt es etwa Betten für Menschen wie mich. Ergibt sich dies mal nicht, so ist meistens der Wolf dabei, und man kann sich die Kosten für ein Hotelzimmer teilen. In Chennai allerdings ist die Situation nicht allzu rosig: Da ich nicht unbedingt im unromantischen Startup-Center auf dem Boden nächtigen möchte und Fünf-Sterne-Hotels für Einzelpersonen eine teure Angelegenheit sind, entscheide ich mich für eine Billigunterkunft um 500 Rupien pro Nacht.
Im Badezimmer begrüßt mich bereits beim Einchecken mein erster Mitbewohner – hallo, liebe Kakerlake. Ich weise den Hotelangestellten darauf hin. „Kein Problem, die ist nur im Bad“, sagt er: „Ins Bett kommt die nicht.“ Ich merke an, dass ich Kakerlaken im Bad dennoch unhygienisch finde. „Also, wenn es Sie tatsächlich stört“, sagt er verdutzt, „dann kann ich natürlich Gift sprühen.“ Auf dem Weg zur Zimmertür entdeckt er einen weiteren Mitbewohner, der auf der Bettwäsche sitzt. „Sehen Sie, die Viecher sind doch auch im Bett“, sage ich, sichtlich angeekelt. Er zuckt die Schulter, ergreift die Kakerlake mit den bloßen Fingern, zerquetscht sie emotionslos zwischen Daumen und Zeigefinger und wirft den Leichnam auf den Boden.
Dann sprüht er, die Kakerlaken fallen von den Wänden zu Boden wie braunes Laub an einem lauen Herbstabend. Ich bin ein wenig entspannter und verlasse das Zimmer. Als ich aber wenige Stunden später zurück kehre, hat sich die Meute vervielfacht – einige Viecher sitzen im Bad; ich zerschlage rund ein Dutzend mit meinen Schuhen und kontrolliere, dass mein Koffer verschlossen bleibt; dann breche ich auf Richtung Startup-Center.
Am Abend denke ich mir dann, dass ich mich nicht schutzlos geschlagen gebe; ich kaufe mir ein Kakerlaken-Spray. Ultragiftig, Jumbopackung. „Euch zeig‘ ich’s, ihr Schweine“, flüstere ich, als ich das Hotelzimmer betrete. Die Badezimmertür öffne ich im besten Cobra-Spezialeinheit-Stil mit einem Fußtritt, richte meine Waffe auf den Gegner, der nicht mal reagieren kann und drücke ab – er fällt hilflos zu Boden und rührt sich nicht mehr. Ein zweiter schleicht sich von hinten an, doch er unterschätzt meine Intuition – ich wirble augenblicklich herum und strecke auch ihn mit einer Salve nieder. Drei weitere Gegner, die hinter der Tür gelauert haben, befördere ich – zack, zack, zack – ins Nirvana. Uff. Durchatmen.
Doch Nein – es ist noch nicht vorbei. Als ich das Bad verlasse, stehe ich im Schlafzimmer einer ganzen Armee gegenüber. Und sie sind widerstandsfähig. Ungleich der Bad-Bewohner sind diese Kreaturen bereits mutiert und somit gegen kleine Dosen des Gifts immun. Also verschieße ich bereits für die ersten fünf Widersacher einen Großteil meiner Munition – und als beim sechsten Mutanten ein unheilverkündendes „Pffff“ erklingt, weiß ich, dass ich mich auf den Mann-zu-Mann-Kampf einlassen muss und greife zu meiner Handwaffe, dem Schuh.
Mit diesem strecke ich skrupellos ein Biest nach dem anderen nieder, bis sie alle vernichtet sind, ich in einem Meer aus braunen, zerquetschen Leichen stehe.
Ich entschließe mich, die Nacht im Schlafsack zu verbringen. Da ich noch nicht einschlafen kann, schaue ich noch ein wenig fern – es läuft ein Horrorfilm rund um einen Schwarm aus überdimensionalen Hirschkäfern. Ich verbringe die Nacht äußerst unruhig.
Am nächsten Morgen erwache ich, als im Nebenzimmer das indische Ritual des Rachen-Säuberns durchgeführt wird: Zuerst werden geräuschvoll jegliche Körperflüssigkeiten aus dem Umfeld der Mundhöhle in ebendieser gesammelt, dann genüsslich ausgespuckt. „Guten Morgen“, flüstert ein Wesen im Bett neben mir. Ich greife gleich nach einem Buch und zerschlage sie. Meine Arme jucken; und ich stelle fest, dass jener Teil, der außerhalb des Schlafsacks gelegen war von unsichtbaren Bettgenossen zerbissen wurde – rote Punkte zieren meine weiße Haut.
Als ich schließlich noch meinen Schlafsack zusammenfalten möchte, krabbelt eine weitere Kakerlake aus dem Nest – sie hatte es sich offensichtlich in der Nähe meines Genitalbereichs gemütlich gemacht. Auch sie segnet nun das Zeitliche, und der Schlafsack wird ausgeschüttelt.
Ich blicke mich um. Nun ist alles still, doch es ist eine Ruhe vor dem Sturm. Ich erinnere mich an die Borg aus „Star Trek“ und meine, Stimmen zu vernehmen: „Wir sind Kakerlak“, sagen sie: „Widerstand ist zwecklos.“
Fluchtartig packe ich meine Sachen in den Koffer, schüttle meine Schuhe aus und ziehe sie an – nichts hält mich mehr hier, und der Kampf gegen die Ureinwohner ist eine Schlacht, die ich unmöglich gewinnen kann. Noch heute werde ich mit dem Bus nach Pondicherry flüchten.