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Gastronomie

Die Sache mit dem Wiener „Charme“

Schlechte Laune ist in Wien Programm. Vor allem jetzt, wenn der Sommer sich langsam dem Ende entgegen neigt, die ersten Blätter fallen, es schon verdächtig nach Herbst zu riechen beginnt. Die Wiener hassen sich selbst, ihre Stadt und ihre Mitmenschen – und gerade das macht sie so sympathisch. Deutsche Touristen bezeichnen das gern euphemistisch als „Charme„. Besonders die hiesigen Kellner werden für ihren „Charme“ – also ihre grenzenlose Weltverachtung – geradezu bewundert. Wenn der Ober-Ober im Hawelka 20 Mal an mir vorbei spaziert, ohne mich wahr zu nehmen, dann widerwillig meine Bestellung aufnimmt, mir meine Melange hin knallt und am Ende ohne mit der Wimper zu zucken eine Rechnung im Wert eines Kleinwagens serviert, dann weiß ich: Hier bin ich zuhause.

Heute wieder beobachtet: Ein besonders unfreundliches Exemplar im MQ Daily.

Wir: „Ist der Tisch noch frei?“

Er:  „Sieht so aus, oder?“

Wir (mit Schnorrer-Attitüde, Kopfnicken in Richtung der Überreste der Vorsitzer): „Lässt Du uns den Keks da?“

Er: „Nö.“ (und nimmt uns den Keks weg)

Wir nehmen Platz.

Meine Ex-Studienkollegin (die gerade mit ihrer Jobsituation hadert) bekommt einen halben Nerverzusammenbruch: „Höchste Zeit, den Job zu wechseln“. (Was sie freilich auf sich selbst bezogen hat; alle meine Freunde sind Egozentriker, genau wie ich. Exakt: ICH!).

Eindeutig, das war sein Stichwort: „Wie bitte?“

Wir werden nervös, wollen ja keine Handgreiflichkeiten riskieren, und stammeln: “ Nein nein, nicht auf Dich bezogen, auf uns… äh… Jobwechsel…“. Er zuckt mit den Schulter: „Mir is‘ wurscht, ich hab heute meinen letzten Arbeitstag“. Und grinst zum ersten Mal. Wir fragen, ob es ein Leben nach dem Daily gibt. Ja, gibt es:  „Vier Monate Argentinien.“

Wow.

Ab dem Punkt tolerieren wir seine Unverschämtheit – seinen „Charme“ -, finden sogar liebenswert wie er uns die folgenden drei Stunden wie Dreck behandelt – Ignorieren, Rumgranteln, Rechnung auf den Tisch knallen. Aber der Schmäh rennt, wie er nur in Wien rennen kann. Und am Ende geben wir ihm sogar heiße sieben Euro Trinkgeld. Davon kann er inArgentinien dann eine ganze Woche leben. Er bedankt sich mit einem Dutzend Kekse.

Schön. Vielen Dank. Und Viel Spaß in Argentinien.

Spaßverbot im MQ?

mq-bierNatürlich liegt mir nichts ferner, als eine Kausalität zwischen diesem Blog und dem restlichen Universum zu implizieren. Aber es ist schon auffällig, dass nur wenige Tage nach dem Erscheinen meines Postings über Bier-Händler im MQ eine besorgte junge Dame auf mich zutritt mit einem Flyer, den MQ-Securities ihr übergeben haben.

Der Wisch kommt zur Anwendung, wenn Leute es wagen, im öffentlichen Raum Dosenbier zu trinken; es werden die neuen Verhaltensregeln für das Museumsquartier angeführt, konkret:

  1. Eigenes Bier darf nicht getrunken werden. Nur jenes, das in den Lokalen um fünf Euro ausgeschenkt wird; in Mehrweg-Bechern, die nach Sperrstunde nicht mehr übergeben werden können.
  2. Müll muss entsorgt werden.
  3. Graffitis und Schmierereien auf den Enzis, die jedes Jahr eine andere Farbe haben (sic!), sind verboten. Im Flyer wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese kriminelle Handlung mit Videoüberwachung bekämpft wird.
  4. Der Verkauf von Getränken (wie berichtet) und Zeitungen (auch der Augustin?) ist verboten – außer durch die ansässige Gastronomie.
  5. Musizieren und Abspielen von HiFi-Geräten ist verboten.
  6. Radfahren und Skaten ist verboten.

Gegen dieses Vorgehen formiert sich bereits eine Bürgerbewegung; wie in so vielen Fällen auch hier über das Social Network „Facebook“.  Die Gruppe „Freiheit im MQ“ hat inzwischen knapp 5000 Mitglieder und richtet sich gegen diverse Punkte der neuen Hausordnung; die Gruppe „Bring your own beer to Meseumsquartier“ versteift sich vor allem auf das Gerstensaft-Problem. Die Gruppen argumentieren damit, dass das MQ ein öffentlicher Platz ist, für den sie immerhin Steuern zahlen. Er gehöre dem Volk, nicht  der Gastronomie.

Zwecks Protest sind auch gleich zwei Events geplant: Ein Flashmob am 13. Juni und ein kollektives Biertrinken am 20. Juni. Für ersteres Event gibt es noch recht wenig Informationen, allerdings wird mit einem Lied von Cat Stevens geworben – hoch lebe der Geist der 68er! Für das zweitgenannte Event ist vorgesehen, dass sich die Teilnehmer ab 18 Uhr alle fünf Minuten gegenseitig zuprosten.

Als Journalist steht es mir freilich nicht zu, hier meine eigene Meinung kund zu tun. Ich weise allerdings freundlich auf die „Kommentar“-Funktion dieses Blogs hin und erkläre die Diskussion unter den Leserinnen und Lesern hiermit für eröffnet.

Zudem sehe ich die Zeit nun gekommen, auf meine frisch eröffnete Spreadshirt-Boutique hinzuweisen. Wer an einem der beiden Events teilnimmt oder auch sonst einfach nur still den eigenen Unmut zum Ausdruck bringen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, sich folgende Produkte genauer anzusehen:

Ich wünsche viel Spaß beim Shoppen und Trinken – zu welchen Preisen auch immer 😉

Bier statt Aktien

„Du kaufst Dir eine Palett’n, säufst Dich an, machst dabei auch noch einen Gewinn – was gibt’s Geileres?“ – der junge Herr, der diese weisen Worte ausspricht, steht vor unserem Enzi im Museumsquartier, trägt eine dieser EdHardy-Kappen, Baggy-Pants und hat einen großen Rucksack mit sich, gefüllt mit kühlstem Ottakringer. Der Typ ist Unternehmer: Das 16er-Blech kauft er im Supermarkt um Cent-Beträge,lädt es in seinen Rucksack und verkauft es an die MQ-Besucher (längst nicht mehr nur Bobos, sondern inzwischen auch normale Menschen) um 1,50 €. Pro Dose macht er also gut einen Euro Gewinn. Und das Geschäft floriert: „Gestern war ich mit einer Palette da, die war schon um 10 Uhr weg; heute habe ich zwei Paletten, auch die habe ich jetzt verkauft“, sagt er. Es ist knapp 11 Uhr, er nippt an seiner Dose: „Jetzt hab ich Feierabend“.

Diesen Sommer sind die Dosen-Verkäufer verstärkt im MQ unterwegs. Mein Gesprächspartner arbeitet mit einem Freund zusammen, sie teilen sich den Gewinn. Gelernt hat er sein Handwerk von einem älteren Lehrmeister, der das Geschäft angeblich schon seit Jahren betreibt und „hier wohl irgendwo in der Gegend wohnt – das ist praktisch, dann kann er von zuhaus‘ immer kühles Bier nachholen.“ Ob die beiden wohl Konkurrenten sind, die Gefahr von Bandenkriegen besteht? „Das habe ich auch anfangs gedacht, aber der sieht das eigentlich ganz gelassen“, sagt er, schaut mich dann aber warnend an: „Komm aber ja nicht selbst auf die Idee, mir das nachzumachen!“

Was bringt die Zukunft?

Was wir schon lange geahnt haben, wird hier anhand eines Fallbeispiels nachgewiesen: Das Investment in Gerstensaft ist rentabler als riskante Aktien-Deals. Aber was sagt die MQ-Gastronomie eigentlich zu dem Thema? Noch sind die Dosen-Männer kleine Fische, die ihr Geschäft versteckt betreiben – früher oder später dürften aber mehr und mehr Besucher es reizvoller finden, sich für 1,50 € das Bier ans Enzi bringen zu lassen, statt sich für 4 € (!) selbst eins holen zu müssen. Und dann ist die Frage, wie sich die Zukunft entwickelt.

Dann besteht die Gefahr, dass im MQ verstärkt Securities eingesetzt werden, um den illegalen Bier-Handel zu unterbinden – und das geht auf Kosten der Gemütlichkeit. Wer kann sich schon gepflegt entspannen, wenn um ihn herum eine Razzia läuft?

Anderes Szenario: Die etablierte Gastronomie lässt die Dosen-Händler gewähren, es gibt eine friedliche Ko-Existenz. Dann würden schon bald weitere Branchen folgen: Es gäbe Semmel-, Snack- und Souvenir-Händler, die ihre Waren den Gästen anbieten. Das hätte dann was von Urlaub, irgendwo östlich von Istanbul. Es wäre ein Atmosphäre-Bonus, von dem auch die etablierte Gastro wieder profitieren würde.

Was die Zukunft in der Hinsicht bringen wird, werden wir sehen. Das MQ ist jedenfalls immer für einen netten Abend und eine Überraschung gut, während Bier immer Bier bleibt. Und mei Bier is ned deppat.