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Armut

Ein Abwägen von Prioritäten

Inder sind Meister im Verhandeln – kaum ein Verkaufsgespräch mit Teppichhändlern auf Bazaren oder ambitionierten Rikscha-Fahrern, bei dem nicht um jede einzelne Rupie gefeilscht und ordentlich in die Trickkiste gegriffen wird. Indikator für eine offensichtliche Abzocke ist etwa, wenn von einem „very good price“ für einen „special friend“ die Rede ist. Und ein Zauberwort hat in den letzten Jahren verstärkt seinen Weg in den Verhandlungs-Wortschatz gefunden: Inflation.

„Wissen Sie eigentlich, wie viel wir in letzter Zeit für Reis bezahlen müssen?“, fragte mich etwa ein Rikschafahrer in Hampi -er könne sich das Ernähren seiner Familie aktuell nämlich kaum noch leisten. Und aktuelle Zahlen belegen das: Im April lag die indische Inflation bei 7,23 Prozent; und als Treiber gelten vor allem Nahrungsmittel, deren Preise um 10,49 Prozent gestiegen sind; besonders die Preise für Gemüse schossen um 60,97 Prozent in die Höhe.

Wachstum vs. Leben

Entsprechend hat die Reserve Bank of India seit März 2010 den Leitzins 13 Mal erhöht, um der Inflation entgegenzuwirken -dies geht allerdings auf Kosten von Investitionen, industriellem Output und folglich auf Kosten des Wirtschaftswachstums beim südasiatischen Wunderkind. Und da die Proteste indischer Unternehmen Anfang dieses Jahres in inländischen Zeitungen immer lauter wurden, hatte die RBI im vergangenen Monat den Leitzins doch leicht gesenkt – um 0,5 auf acht Prozent. Die aktuellen Meldungen zur Inflation machen weitere Zinssenkungen unwahrscheinlich.

Darüber kann man bedrückt sein. Sich ärgern, dass Indien Europa nicht aus dem Sumpf ziehen wird. Dass wir uns unseren nächsten Sportwagen folglich doch heuer noch nicht leisten können. Oder wir sehen ein, dass es anderen Menschen um mehr geht, nämlich ums Überleben. Das ist ein Abwägen von Prioritäten.

Aus Gründen der Effizienzmaximierung erschien dieser Beitrag auch in der Print-Version des WirtschaftsBlatt, sowie auf wirtschaftsblatt.at.