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Wien | Vienna

Süchtler oder SM-Profi?

Morgens, halb zehn, am Naschmarkt: Zeit für die Wiener Bobos, sich ihr Frühstückchen in der Bäckerei-Filiale ihres Vertrauens zu besorgen. Alles scheint ruhig: Man wartet geduldig, bestellt Kipferl und Kaffee, eine Dame telefoniert gelassen. Doch dann wird die Idylle von einem Störenfried unterbrochen.

Aus dem Nichts taucht er auf, zückt sein iPhone, hält es der telefonierenden Dame vor die Nase und versucht, Fotos von ihr zu machen. Dabei ruft er wie irre „Wer bist Du? Wer bist Du?“ und tänzelt um sie herum. Die Dame windet sich, dreht sich von ihm weg – irgendwann sucht der Mann das Weite.

„Kannten Sie den Mann?“, frage ich die Dame anschließend. Sie verneint: „War wohl betrunken.“ Eine zufällige Beobachterin schaltet sich ein: „Nein, eher Drogen. Der hatte ganz glasige Augen.“ Ich als Digital Native weiß die Symptome aber besser zu deuten: Glasige Augen? Hyperaktivität? Und die Einbildung, man könne ein i-Produkt als Waffe einsetzen? Das hat weder mit Alkohol, noch mit Drogen zu tun.

Stattdessen tippe ich eher auf einen Social Media-Experten, der die Nacht vermutlich wieder allzu lange auf Facebook und Twitter verbracht hat, und nun – für seine Verhältnisse – früh morgens aufbrach, um eine iPhone-Gesichtserkennung an einer Fremden zu testen.

„Eigentlich schockierend, wie sehr das Web inzwischen unseren Alltag versaut“, denke ich mir, während ich an meiner Melange schlürfe. Der Dame wünsche ich noch einen angenehmen Tag und verabschiede mich mit den überzeugten Worten „Na, wenigstens hab ich jetzt eine Story für meinen Blog“ – und erhalte dafür einen ebenso entgeisterten Blick wie der mutmaßliche Facebook-Süchtler.

Nachgedacht. Unter der Wiener Sonne.

Manchmal kommt es erstens anders. Und zweitens, als man denkt. Doch dann merkt man doch, dass es einen Sinn hatte.

Ich hatte ja so viele Pläne. Wollte zuerst nach Kroatien, dann wurde daraus ein Klosteraufenthalt, und am Ende sollte es eine Wallfahrt werden – dieser Urlaub, den ich diesen Sommer verbringen wollte. Und dann entwickelte sich alles anders, und ich habe plötzlich meinen Urlaub doch in Wien verbracht. Ausgerechnet ich, der so kosmopolit und reisefreudig ist und eigentlich Wien den Rücken kehren wollte.

Ich gestehe: Da war ich schon ziemlich grantig.

Doch dann habe ich festgestellt, dass Wien im Sommer schön sein kann. Dass man hier viel erlebt. Ich war mit Marie im Schönbrunner Tiergarten, einem der ältesten Zoos der Welt. Und ich hatte einen wirklich schönen Abend mit einem Theaterbesuch und einem anschließenden weißen Spritzer auf dem Rathausplatz. Und ich war im Arbeiterstrandbad an der Donau. Bin in verschiedenen Parks gelegen, habe mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und nachgedacht. Über verschiedene Themen, die mich schon länger beschäftigten.

Und ich habe mit Menschen geredet. Mit ganz verschiedenen. Mit guten Freunden wie Johanna oder Richard, die mir Feedback zu dem gaben, was ich mir unter der heißen Sommer-Sonne überlegt hatte. Und mit absoluten Fremden: Miriam zum Beispiel, die sich eigentlich nur meine Diplomarbeit kopieren wollte – daraus wurde dann ein dreistündiger Kaffeehausbesuch. Dabei habe ich gemerkt, dass Gespräche mit Fremden toll sind; denn Du kannst Dich auslassen und kriegst ein unvoreingenommenes Statement zu Deinen Gedanken. Und auch dabei geht Dir so manches Licht auf.

Nun sitze ich wieder in der Redaktion; höre dabei ein Lied, das ich gestern abend in meinem Heimstudio aufgenommen habe. Die Muse hat mich in diesen Tagen wieder geküsst wie lange nicht mehr; und das sehe ich als Zeichen: Du musst nämlich gar nicht ans andere Ende der Welt laufen, um klar Schiff mit Deinem Leben zu machen. Das klappt genauso gut, wenn man zwischen Donau-Proleten im roten Schwimmbad liegt. Gut so.

Ab Mitte Oktober ist dann meine Wohnung frei. Details dazu gibt es morgen auf diesem Kanal.

Eine Oper für den SPAM

Das ist kein Scherz: Unter dem Titel „Gain extra Inches – die SPAM-Oper“ läuft derzeit im Schauspielhaus Wien ein Stück, das seinem Namen alle Ehre macht. Denn hier werden SPAM-Nachrichten zum Inhalt eines Theaterstücks. Mit Gesang. Und musikalischer Untermalung.

Dabei wird kaum eine Variante dieser Unform der Kommunikation ausgelassen: Beginnen tut das Stück mit einem Lied über den klassischen „Mitleids-SPAM“, in dem ein nigerianischer Junge um Geld für seine todkranke Schwester bettelt; gefolgt vom „Kaufen-sie-billige-Uhren-SPAM“, dem „Hier-kriegen-sie-billige-Kredite-SPAM“, Viagra- und Porno-SPAM und selbstverständlich dem klassischen Kettenbrief. Kleines musikalisches Highlight: Ein Rap zum Thema SPAM.

Und diese Mischung wirkt: Die Masse an Nachrichten, die sich gegenseitig zu übertönen suchen, mantraartig wiederholte Sätze wie „Jenny has sent you a digital postcard“ und „Kaufen Sie billige Uhren“ brennen sich ins Hirn und wollen nicht mehr weg – ganz so wie im echten Leben.

Fazit: Wer SPAM mal aus einer humorvollen Perspektive betrachten möchte, sollte sich das Stück genehmigen, das gestern Premiere hatte und noch am 26., 28. und 31. August 2010 im Schauspielhaus Wien zu sehen ist.

Papier ist tot, lang lebe Papier! (Teil 1)

Gestern hat ein lieber Mensch Geburtstag gefeiert. Und da man lieben Menschen zum Geburtstag ein Geschenk macht, machte ich mir entsprechende Gedanken: Sie steht auf „Winnie the Pooh“ und hasst Technik-Spielzeug. Also, Geistesblitz meinerseits: Den Literaturklassiker, den ich am Wochenende auf dem iPad gelesen hatte, als Buch kaufen. Ich meine: Ein richtiges Buch. Zum Anfassen. Papier und so.

Da es für eine Amazon-Bestellung schon zu spät war, machte ich mich auf zur Mariahilfer Straße. Einkaufen, in echten Geschäften und so. Und wenn ich schon mal dabei war, nahm ich mir auch gleich vor, in einem kleinen Geschäft einzukaufen, statt im großen Thalia. Kleinunternehmer fördern, das war das Programm.

Dann aber der erste Schock: Der nette kleine Buchladen, unten beim MQ, der hat inzwischen zu gesperrt. Stattdessen ist dort nun ein weiterer Laden, der Billig-Sonnenbrillen und sonstigen Ramsch verkauft. Schade, denn dort habe ich mich immer gerne beraten lassen und Bücher gekauft… früher mal.

Also pilgere ich die Straße hinauf Richtung Thalia. Dabei fällt mir auf, wie wenig Buchläden es auf der Mahü gibt… war das schon immer so? Klammottenläden gibt es zuhauf, und Fastfood-Buden à la McDonalds und Starbucks… aber der nette, kleine Buchladen mit dem literaturbegeisterten Germanistik-Studenten im 9. Semester, der einem zu jedem Klassiker seine Meinung kund tun kann? Fehlanzeige.

Auf dem Weg Richtung Thalia komme ich noch an zwei kleinen Läden vorbei und frage nach – aber in deren beschränktem Sortiment findet sich das Buch, das in 25 Sprachen übersetzt wurde und eines der beliebtesten Kinderbücher aller Zeiten ist, leider nicht. Müden Fußes erreiche ich dann also schließlich doch den Thalia und finde dort eine Ausgabe, sogar eine sehr schöne.

Und am Abend freut sie sich dann. Und ihre Freunde auch; und jeder hält das Buch mal in der Hand, blättert darin, lächelt dabei. Und ich freue mich, dass ich doch fündig geworden bin, doch in meinem Hinterkopf ist da eine Stimme, die mir sagt, dass sich die Dinge ändern: Was ist aus den netten kleinen Geschäften geworden? Und aus den Germanistik-Studenten, die dort gearbeitet haben? Und aus den Tagen des herzlichen Stöberns und Sich-Beraten-Lassens?

Haben wir es mit der Online-Euphorie vielleicht ein wenig übertrieben?

Begegnung in der Bank

Heute stand er wieder mal an: Mein Gang zur Bank. Als eher kreativ denkender Mensch beschäftige ich mich ungern mit Konto-Angelegenheiten, aber manchmal muss es halt einfach sein – auch Journalisten müssen schließlich von etwas leben; und ein guter Überblick über den Verlauf der eigenen Finanzen hilft dabei, gelegentlich auch mal etwas Geld auf die Seite legen zu können. Für die eigene Wohnung und so.

Aber leider: Selbst gut zureden hilft da wenig. Auch diesmal siegte die Prokrastination. Bevor ich mich auf den Weg zur Bankfiliale meines Vertrauens machte, frühstückte ich genüsslich, schaute mir zu Recherchezwecken eine Reportage an, räumte auf und facebookte vor mich hin – und dann war es auch schon halb drei. Ach herrje: Flott alles zusammen gepackt, was ich brauchte, und auf zur Bank – die sollte ja in einer halben Stunde schon Sperrstunde haben.

Dort angekommen, klage ich dem Berater mein Leid: Gerne hätte ich ein zweites Konto, von dem ich mir als Selbständiger selbst mein Gehalt zahlen kann. Denn so könne ich erstens meine Finanzen besser im Auge behalten und zweitens sei dann auch alles viel transparenter in Sachen Steuern, SVA und so – denn dem Finanzamt möchte ich ja entgegen kommen, man möchte ja transparent sein, man möchte ja helfen, man möchte ja keine Fehler machen, man will – ja, aber wirklich! – keinen Ärger mit dem Stiefvater Staat haben.

„Das kostet aber“, sagt mein Betreuer. Circa 15 Euro im Quartal. Also der Ausmaß eines Hamburgers mit Bier. Ich zögere. Bin ich bereit, das zu zahlen? Die Zeiten sind hart, gewiss. Doch vielleicht muss man gerade in solch harten Zeiten investieren, die nötige Transparenz schaffen, um dann nach der Krise gestärkt hevor zu treten, sagen zu können: HA! Ja! Ich habe damals diese 15 Euro pro Quartal investiert, bei Burger und Bier gespart und – zack! – nun habe ich den Überblick über meine Finanzen; und der Steuerprüfer ist obendrein stolz auf mich, weil ich so transparent und so leicht zu prüfen bin. Win-Win pur, denke ich mir: Ich kenn mich mit meinen Finanzen besser aus, der Prüfer ist glücklich und der Steuerzahler muss weniger für meine Überprüfung zahlen.

Ich hole nochmal tief Luft: Gut. Machen wir.

„Das war eine gute Entscheidung“, sagt der Herr Berater. Das denke ich mir auch. Und dann schaue ich auf die Uhr: Hoppla, schon zwanzig nach drei! Unangenehm ist mir das, dass ich die Zeit meines Betreuers über die Öffnungszeiten hinaus strapaziert habe. So wichtig es auch war. Für mich, freilich – und auch für Österreich. Also raffe ich meine Sachen zusammen, mache mich ergeben Richtung Ausgang auf. „Geh, und lassen Sie den Herrn, der draußen vor der Tür steht bitte noch rein“, ruft mir mein Betreuer nach.

Tja, und da stand er dann: Karl-Heinz, KHG. Der Grasser. Höchstpersönlich. Direkt vor mir.

Gegrüßt hat er freilich nicht.

Aber ich denke seit dieser Begegnung über die Anekdote nach. Ob er, der erst nach der Sperrstunde die Räumlichkeiten betrat, wohl auch ein Konto eröffnet hat? Und mit dem gleichen Gedanken wie ich? Transparenz? Ob ihn das Thema Kontoführungsgebühren beschäftigt? Wohl eher nicht. Ich jedenfalls fühle mich seit dieser Begegnung ganz schön klein und unwichtig mit meinen Problemen. Und freue mich gleichzeitig darauf, heute Abend meinen wohlverdienten Burger mit Bier essen zu können. Mit einem Freund. In einer Kneipe. Und ohne viel Tamtam um meine Person. Unwichtig sein ist toll.

Ich bin chakalaka-süchtig

Inzwischen dürfte bekannt sein, dass Fußball nicht zu den Top-Ten-Lebensinhalten meines Daseins gehört. Dennoch: Wenn WM oder EM ist, freue ich mich – denn das bedeutet, dass ein interkultureller Austausch stattfindet. Zu EM-Zeiten vor zwei Jahren genoss ich die Gesellschaft der vielen Gäste in dieser wunderschönen Stadt; nun – zwei Jahre später – freue ich mich über die Exotischkeiten, die aus Südafrika in die nördliche Hemisphäre dringen.

Und damit meine ich nicht die Vuvuzela. Von der haben wir wirklich schon genug gehört – und das Getröte der zahlreichen Facebooker, Twitterer und Journalisten (mich eingeschlossen, ich geb’s ja zu) ist teils  lauter als das Instrument selbst. Sondern ich meine: Erstens die Sprache, die für unsere Ohren nur allzu exotisch klingt. Zweitens das Essen.

Kombiniert wird Beides durch das „Chakalaka“-Weckerl, das es derzeit in der Bäckerei-Kette meines Vertrauens gibt. Erstens ist „Chakalaka“ einfach ein cooles Wort – es erinnert an „Bamboocha“ oder ähnlich sinnlose Buzz-Wörter, ist aber ein echtes Wort – und das ist toll. „Chakalaka“ spricht man einfach mit Freude aus.

Zweitens schmeckt „Chakalaka“ (yeah!) einfach super. Zuerst neutral, und dann wird es scharf; die Mischung verschiedener, exotischer Gewürze sorgt für Party im Gaumen – und das schon zum Frühstück! In der Heiligen Schrift Wikipedia bin ich auf ein Bildnis von Chakalaka in seiner Urform gestoßen.

So sieht es aus:

Ich gestehe offen: Nach nur wenigen Einnahmen bin ich süchtig nach Chakalaka. Die vergangenen Tage habe ich Chakalaka in Weckerlform immer gerne bei der Bäckerei-Kette meines Vertrauens gekauft.

Bis heute.

Denn eigentlich war die Situation heute in der früh wirklich nett: Vor mir waren zwei Afrikaner an der Reihe; und das freute mich wirklich. „Echt super, und schon gleich halte ich mein Chakalaka in Händen“, war mein Gedanke, „das ist ja fast so wie Urlaub in Südafrika, aber ohne die Reise-Unannehmlichkeiten.“ Kultureller Austausch: Yeah.

Das sah die Verkäuferin leider nicht so. „Der Geruch dieser Menschen ist so anders; ich kann das nicht ausstehen“, sagte sie.

Uff. Ein weiteres Kommentar dazu erspare ich mir. Außer vielleicht, dass eine Bäckerei-Kette, die schon aus exotischen Gerichten Profit schöpft, vielleicht auch die interkulturelle Kompetenz der eigenen Mitarbeiter schulen sollte. Ich jedenfalls hab nun keine Lust mehr, dort einzukaufen.

Mit Rassisten verkehre ich nicht.

Gibt es Alternativen für Chakalaka-Süchtige? Ja: Selber zubereiten. Ein passendes Rezept habe ich allerdings leider noch nicht gefunden – den geneigten Leserinnen und Lesern dieses Blogs wäre ich für kulinarisches Input dankbar.