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Wien | Vienna

Hurra, wir werden 20!

Wie den Plakaten unschwer zu entnehmen war, ist der Wiener Community-Sender Okto heuer 20 Jahre alt geworden. Das erfüllt mich ganz besonders mit Stolz; denn ich war ja immerhin von Anfang an dabei. Ja ja, mit einem wissenden Lächeln erinnere ich mich daran, wie ich vor 20 Jahren – also im zarten Alter von fünf Jahren – meine erste Folge von Community.talk drehte; seitdem hat sich so einiges geändert.

Groß ist das Projekt zum Beispiel geworden; das hat man nicht zuletzt bei der Jubiliäumsfeier im OST-Klub gemerkt: gesteckt voll war’s, und an der Garderobe bin ich gut 20 Minuten angestanden. War aber halb so wild, denn mit Freude konnte ich schon im Eingangsbereich Programmintendantin Barbara E. ausmachen, die es sich nicht nehmen ließ, ihre Gäste persönlich zu begrüßen – wo sonst findet man eine solche Herzlichkeit?

Bei meinen Streifzügen durch das Lokal finde ich gleich mal Osteuropa-Guru und Vitam-in-C-Chef Stephan T. Er erzählt mir begeistert von einem gewaltigen slowakischen Filfestival – drei Mal so groß wie die Viennale -, das aber hierzulande leider kein Schwein kennt. Schön, dass es Leute wie ihn gibt, die über so was berichten. Komplementäre Berichterstattung vom Feinsten.

Als nächstes: Harald B., Mitbegründer von Butterbrot, und Denis D., Produzent der HipHop-Sendung Fragezeichen. Ein Moment gelebter Diversität: mit Harald rede ich über Screenings im Weltcafé, mit Denis über Zauberflöten. Der Versuch, die beiden zu einem Polylog zu bewegen scheitert leider – naja, es muß ja nicht alles funktionieren.

Stattdessen gehe ich lieber auf das Konzert von Ron Tyler. Die haben allerdings nicht wirklich Lust Musik zu machen und zeigen dem Publikum lieber Fotos vom letzten Jesolo-Urlaub. Ich bestelle mir noch ein Bier, schaue dem Ganzen noch eine Weile zu und beschließe letztenendes, dass ich den Rest des Abends an der Bar verbringen möchte. Auf dem Weg nach hause denke ich mir schließlich: schön war er, unser 20. Geburtstag. Und ich freue mich auch schon auf’s nächste Jahr. Dann feiern wir nämlich unseren Dreißiger.

Wer macht mit bei der Seidl-Tour?

Langeweile? Dann fahren Sie doch einfach mal samstags zu später Stunde mit einem Bus Ihrer Wahl durch Wiens beliebteste Trink-Bezirke (Bezirke 4 bis 9, auch bekannt als „Bobo-Land“). Das Belauschen diverseer Telefongespräche eröffnet – mit etwas Glück – neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.

So etwa eine junge Dame gestern im 13A: „Hallo, Du, ich bin’s. Du, erinnerst Du dich daran, wie wir mal von der großen Seidl-Tour durch Wien geredet haben? […] Ja, genau! Ich habe grad drei Burschen getroffen, die das tatsächlich durchgezogen haben. Ja, wirklich, in jedem Bezirk ein Lokal besucht – also insgesamt 23 – und jeweils ein Seidl Bier getrunken… Es ist also möglich! Die haben nämlich gar nicht mal so schlecht ausgeschaut, obwohl sie schon seit 9 Uhr morgens unterwegs sind… ja, man muss wohl nur früh genug anfangen… aber der größte Vorteil von allen scheint zu sein, dass man voll oft von den Wirten eingeladen wird…“

Dann ist sie leider ausgestiegen. Die Idee klingt allerdings nach einem Spaß, der nichts für schwache Nerven ist; denn eine Überschlagsrechnung ergibt, dass es sich um 6,9 Liter Bier handelt – also knapp 14 volle Krügerln.

Na dann: Prost!

Wir haben gezahlt. Punkt.

Die Wiener Linien geben sich doch immer wieder Mühe, das U-Bahn-Fahren so unangenehm wie möglich zu gestalten. Während meine Wenigkeit in irgendeiner warmen Sommernacht unter schwerem Alkoholeinfluss proklamierte, dass man das CO2- und Feinstaubproblem einfach in den Griff bekommen könnte, wenn man es einfach auf die Reihe brächte, dass es in den Öffis nicht mehr stinkt (in Folge wäre umweltfreundlicher Transport wieder angenehm, die Leute ließen ihre Autos zuhause stehen und alle wären glücklich); ja, währenddessen tüftelten ein paar kluge Köpfe beim Wiener Transport-Monopol am nächsten Belästigungspaket: überflüssige Ansagen.

Und so kommt es, dass uns bei jeder Station vorgeschrieben wird, auf welcher Seite wir den Stinkeschlauch zu verlassen haben. Erstens nicht gerade kreativ (Berlin hat das seit Jahren), und zweitens überflüssig. Wer so debil ist, das Gleis nicht zu bemerken, auf das er treten möchte, der sollte ohnehin lieber zuhause bleiben. Vorschlag: Warum keine Aussage, welcher Ausgang sich an welchem Teil des Zuges befindet? Also etwa: „Karlsplatz. Ausgang Oper: vorne. Ausgang Karlsplatz: hinten.“? Wäre angesichts der neuen U-Bahnen (jene, die es randalierenden Kiddy-Gangs nun ermöglichen, ihre pubertären Belästigungen auf den gesamten Zug auszudehnen) eine gar nicht so schlechte Idee.

Noch anstrengender freilich: die penetrante Kinderstimme mit der Aufforderung „Bitte lassen Sie Ihre Zeitung nicht im U-Bahn-Zug zurück“. Was hat man sich dabei schon wieder gedacht? Nicht gerade eine Charme-Offensive, ehrlich. Kinder sind niedlich (manchmal), gewiss, aber gerade dieser Tonfall erinnert doch mehr an diese verzogenen kleinen Gören, die ihre Mutter anquängeln mit: „Ich will ein Eis! Ich will, ich will, ich will! Jetzt! Kauf mir ein Eis! Ich WILL es!“. Anstrengend. Und der Wunsch, laut in den Waggon zu brüllen „GUSCH! Halt die Gosch’n, verdreckstes Rotzbalg!“, der überfällt einen jeden Morgen von Neuem. Der erste Amoklauf ist vorprogrammiert.

Ein Blick in die Wiener Zeitung verrät allerdings, was hinter dieser Aktion steckt: „Alleine „Heute“ ergibt einen täglichen Papierberg von 15,4 Tonnen“. 15,4 Tonnen? Um das ein bisschen bildlicher zu transportieren: das ist 308 Mal das Gewicht eines Stefan Mey. Hui. Nicht gerade wenig, und es möchte entsorgt werden. Am Besten eben von jenen Leuten, die die Zeitung gelesen haben; denn schließlich bekommen sie das Ding ja gratis.

Wirklich gratis? Nein, eigentlich nicht. Der Begriff „Gratis-Zeitung“ ist bei „Heute“ und Konsorten nämlich vollkommen fehl am Platz. Besser wäre der Ausdruck „werbefinanziertes Tagesmedium“ – etwas sperrig, das gebe ich zu, aber treffender. Denn „Heute“ wird finanziert durch Anzeigen diverser Konzerne; und dass man im Kapitalismus nichts geschenkt bekommt, das dürfte sich inzwischen rum gesprochen haben. Was machen also die Inserenten? Richtig, sie wälzen die Marketing-Kosten auf die Konsumenten ab. Also auf uns.

Wir zahlen also. Mit jedem Einkauf im Supermarkt, jeder Zahnpasta, jedem Brot. Mit allem. Übrigens auch: mit jedem Fahrschein, den wir kaufen. Und dann soll ich den Dreck auch noch weg räumen? Sehe ich ehrlich gesagt nicht ein. Es wäre also toll, wenn es hier etwas mehr Transparenz gäbe. Wenn also Frau Dichand und ihre Freunde von den Wiener Linien offen und ehrlich zugeben würden: „Okay, wir haben Euch verarscht. Ihr werdet die ganze Zeit gezwungen, für eine Zeitung zu zahlen, die Ihr eigentlich nicht haben wollt. Und wir verdienen uns dumm und dämlich daran. Ach ja: und bitte räumt unseren Mist auch noch weg.“

Ja, toll wäre das.

Vielleicht passiert es auch irgendwann.

Wunder soll es ja hin und wieder geben.

Ein Tag auf der Mahü

Für die Tätigkeit hatte ich eigentlich nur eine halbe Stunde eingeplant; denn ich war davon ausgegangen, dass Konsum von unserem System ausreichend unterstützt wird, man folglich auf keinerlei Probleme stößt.

Zwei Dinge galt es auf der Mariahilfer Straße (von Einheimischen gern als „Mahü“ bezeichnet) zu besorgen:

1. Einen Adapter XLR auf kleine Klinke, damit ich mein Mikrofon endlich an meine Panasonic-Kamera anschließen kann.

2. Das neue Tocotronic-Album „Kapitulation“

Da es sich einerseits um Technik und andererseits um Musik handelte, führte mich mein Weg in den Cosmos. Dort ging ich – da es sich ja schließlich um Videoequipment handelt – in die Videoabteilung. Die dort zuständige Dame verwies mich aber rasch in die PC-Abteilung, die hätten „die ganzen Kabel“.

Dort angekommen, musste ich schon recht bald erkennen, dass der Zuständige über die neueste Tarnkappen-Technologie verfügt: einem Stealth-Bomber gleich erkennt er, wenn sich ein übermächtiger Feind (nämlich ich, der Kunde) nähert.
Ich wartete rund 20 Minuten, irgendwann fand ich ihn, an einem PC stehend, Arbeit vortäuschend.

Ob er einen XLR-Adapter habe?

„XL-was?“

Ich bleibe geduldig: „XLR. Das Format für Mikrofone.“

„Und auf welche Klinke?“

„Kleine“

„Sie brauchen also kleine Klinke auf Cinch?“

„Nein. XLR auf kleine Klinke.“

„Dann müssen sie in eine andere Abteilung, zwei Stockwerke höher.“

Da war ich dann auch. Fand lange niemand, schließlich doch, der hatte auch keine Ahnung. Also ging ich wieder.

Ähnliche Erfahrung in der CD-Abteilung:

„Haben sie das neue Abteilung von Tocotronic?“

Er kennt die Tocos nicht: „Wie schreibt man des?“

Ich buchstabiere: „T – O – C wie Cäsar…“

„Zwei C?“

„Nein nur eins“, meine ich, schon ein wenig gereizt.

Er schaut in seinen Computer und meint triumphierend: „Käpitülejschn?“. Man darf dem guten Mann seine Bemühungen, „Kapitulation“ so amerikanisch-englisch wie möglich auszusprechen, nicht übel nehmen. Schließlich braucht er als Angestellter einer Musikabteilung wirklich nicht die prägendste deutsche Band der Gegenwart kennen. Interessiert ja keinen.

Ähnliche Erfahrungen machte ich in rund sieben weiteren Geschäften, allesamt Outlets großer Konzerne. Man muss das so sehen: an und für sich hätte ich das Album natürlich auch bei Amazon bestellen können – aber ich ziehe beim Musikkauf nun mal vor, das Ding in der Hand zu halten, bevor ich dafür zahle, mit den Verkäufern vielleicht ein wenig zu plaudern, dann zuhause triumphierend die Plastikverpackung herunter reißen und genießen. Hätte ich nun doch online bestellt, so hätte Sänger Dirks Text zu „Kapitulation“ wohl eine neue Bedeutung für mich bekommen.

Fündig geworden bin ich dann aber doch im Saturn, die das Album gleich in Normal- und Limited-Edition hatten, sowie auf Vinyl. So wünsche ich mir das; ach ja: und den XLR-Adaper hatten sie auch. Das Glücksgefühl nach rund fünf Stunden Suche lässt sich kaum beschreiben.

Warum ich das jetzt hier niederschreibe: ich möchte eine Verschwörungstheorie in den (virtuellen) Raum stellen. Nämlich, dass diese Odyssee organisiert gewesen ist. Denn der Kapitalismus hat kapiert, dass Produkte alleine nicht reichen, Marketing und Marken im klassischen Sinn lassen ebenfalls nach. So wurde der „Erlebniseinkauf“ auf Basis eines Odysseus-Scripts geschaffen: wir suchen ewig, und wenn wir schließlich ans Ziel kommen, kriegen wir deswegen fast einen Orgasmus und sind folglich auch noch dankbar dafür, dass wir Geld dalassen dürfen.

Mag sein, dass diese Theorie Schwachsinn ist.

Aber andenken wollte ich zumindest mal.

Man weiß ja nie…

PS: Das Album ist super. Kauft es Euch – bevorzugt in einem dieser kleinen CD-Läden, von denen in den letzten Jahren leider viel zu viele zusperren mussten.