Lieber Thom,
mit Dir und Deiner Band „Radiohead“ verbinde ich sehr viel. Im Grunde habt Ihr mich durch meine gesamte Postpubertät begleitet. Umso mehr bin ich nun verwirrt; um nicht zu sagen: Enttäuscht. Aber mehr dazu später.
Meinen ersten Kontakt mit Euch hatte ich wohl schon in der Pubertät. Bei irgendeiner Gelegenheit habe ich damals „Creep“ gehört. Vielleicht bei einer Party, oder im Radio oder bei einem Freund – wurscht. Entscheidend ist: Diese Musik hat meine Stimmung damals treffend beschrieben. Weil aus der Sicht eines Pubertierenden man ja der einzige traurige Mensch auf der Welt ist, und niemand einen versteht, weil man ja so wahnsinnig anders ist. Das war toll; ich konnte mich in Deinem Gejammer wiederfinden und gleichzeitig zu den E-Gitarren innerlich so richtig abrocken.
Dann habe ich zu studieren begonnen; und eine Freundin drückte mir Eure Alben „OK Computer“ und „The Bends“ in die Hand. Besonders Ersteres habe ich in meinem kleinen, unaufgeräumten WG-Zimmer rauf und runter gehört. Es wurde zum Aufstehen ebenso gespielt wie zum Lernen (was zugegebenermaßen eher selten vorkam). Während meines Erasmus-Semesters habe ich mir dann den Film „L’auberge Espagnol“ angesehen, in dem der Song „No surprises“ so wunderschön eingesetzt ist – so wurde er für mich zur Hymne gegen die Bourgoisie, das Spießertum, das Mittelmaß.
Dann wurde es schwieriger zwischen Dir und mir. Ich habe mein Studium abgeschlossen und zu arbeiten angefangen. Und obwohl das im Jahr 2005 war, entdeckte ich erst dann Deine bereits Jahre zuvor veröffentlichten Alben: Kid A, Amnesiac und Hail to the Thief. Ich freundete mich widerwillig mit Euren Stilwechsel an und spielte die Alben an meinem damaligen Arbeitsplatz, der Redaktion der Bunten Zeitung, rauf und runter. Ein Kollege urteilte mit „langweilig“; und ich nervte ihn so lange mit Erläuterungen zu einzelnen Passagen, bsi er schließlich geknickt abzog.
Meine Freunde bezeichnen Deinen Stil seit „Kid A“ als „Selbstmordmusik“, die man auf keinen Fall auf Partys hören könne. Ich reagierte darauf stets entrüstet; es gebe von Radiohead ja auch Rock-Songs, wie etwa „Anyone can play guitar“ aus Eurem ersten Album „Pablo Honey“. Und die neuen Lieder, die seien dann halt für ruhige Stunden zuhause gedacht. „In Rainbows“ habe ich mal meinen Eltern vorgespielt. Die dachten bei den komischen Sounds, dass die Anlage kaputt ist – was auch irgendwie lustig war.
Aber ehrlich, Thom: Euer neues Album, dieses „King of Limbs“… das ist platt. Es ist eine Aneinanderreihung von elektronischen Beats, kombiniert mit Deinem Gejaule; das Ganze auch noch wahnsinnig monoton, mit so einer Fadesse in Deiner Stimme – an einzelnen Passagen frage ich mich, ob Du während der Aufnahmen vor dem Mikro eingeschlafen bist. Aus künstlerischer Sicht mögen die Elektro-Beats vielleicht noch den Stempel „okay“ kriegen – auch wenn ich manche Hobby-Musiker kenne, die kreativer sind. Aber was mich so wirklich nervt, ist das mangelnde Use Case: Auf einem Date würde ich dieses Gejammer nicht spielen, auf einer Party erst recht nicht. Und meine Sonntagnachmittage sind mir auch zu schade für künstlich aufgesetzte Suizidgedanken.
Vielleicht habe ja auch ich selbst mich verändert. Gehe jetzt auf die 30 zu, habe eine traumhafte Beziehung, ausgeglichene Freunde und tolle berufliche Perspektiven. Dann hat man schon weniger Lust auf so ein Gejammer und Gutmenschengetue. Aber irgendwie glaube ich trotzdem nicht, dass es nur an mir liegt. Irgendwie glaube ich, Ihr seid noch viel erwachsener – und auch langweiliger – als ich geworden, und dass Ihr Musik einfach nur noch als Business seht, bei dem Ihr alle paar Jahre mal ein paar Beats auf den Markt rotzen müsst, um im Gespräch zu bleiben.
Würde mich freuen, wenn Ihr endlich wieder in die 90er zurück kehrt, das Distortion-Pedal und die Gitarre auspackt und den Teenie-Bands von heute zeigt, was echte Rockmusik ist. Damit könnte ich mich dann auch wieder identifizieren und bei der nächsten Party ordentlich abrocken.
Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Stefan Mey
Ehemaliger Radiohead-Fan