Das Traditionscafé Wunderer an der Ubahn-Station Hietzing sperrt zu, es weicht einer weiteren Mc Donald’s-Filiale; statt Melange wird dort nun Cola getrunken, statt Kipferl werden Burger serviert. Für den Konzern ist die Entscheidung perfekt; denn durch den neuen Standort kann er zwei Zielgruppen bestens bedienen: Erstens Schönbrunn-Touristen, die auch im Urlaub auf die vertraute, global gleichgeschaltene Esskultur zurück greifen wollen; zweitens Jugendliche, die sich vor dem Koma-Saufen im Tanzcafé Reigen noch einen fettigen Burger, salzige Pommes und ein zuckersüßes Cola genehmigen. Der ehemalige Betreiber des Reigen sprach sich in Medien explizit gegen Rettungsaktionen diverser Möchtegern-Aktionisten aus – anscheinend reicht es ihm auch, Gäste dürfte es zuletzt nicht mehr viele gegeben haben. Und auch ich darf mich eigentlich nicht beschweren, war ich doch seit Jahren nicht mehr dort.
Denn die Welt hat sich verändert, und ich ebenfalls. Der schlecht gelaunte Kellner ist nicht mehr en vogue, und ein kostenloses WLAN ist für moderne Medienkonsumenten wichtiger als kostenlose Print-Zeitungen. Außerdem bin ich ins Stadtzentrum gezogen – und dort frequentiere ich eher die gut besuchten Lokale des Museumsquartiers oder der Neubaugasse. Letztens war ich sogar in einem Starbucks – das verlässliche WLAN des Caféhaus-Konzerns bot eine gute Basis für das Editieren meines Buchs.
Trotzdem stimmt mich das Wunderer-Ende traurig. Weil es für mich nicht bloß ein Café ist, sondern Teil der Wiener Kultur und meines eigenen Werdegangs.
Denn mit Anfang 20, als ich zeitweise keine fixe Bleibe in Wien hatte, war das Wunderer mein Wohnzimmer. Schon beim Betreten es Lokals blickte mich stets ein Bildnis des grimmigen Beethoven an, dem ich immer mit einem Lächeln und dem Gedankengang, dass es ja uns Beide von Bonn nach Wien verschlagen habe, beantwortete. Dann nahm ich Platz, bestellte mir einen Darjeeling-Tee, an dem ich stundenlang nuckelte, schrieb Tagebuch, lernte für eine Prüfung oder las in einem dieser kleinen, gelben Reklam-Heftchen, die ich immer mit mir herum trug – das mag extrem nach Klischee klingen, aber es war tatsächlich so. Der anfangs klassisch grantelnde Ober bemerkte nach einiger Zeit, dass ich ein Stammgast war und sprach mich auf mein Kroatisch-Vokabelheft an: Er selbst sei aus Split und habe ein Haus dort, und wenn ich schon seine Sprache lerne, dann könne ich auch dort übernachten, wenn ich wolle. Angenommen habe ich dieses Angebot nie, in Erinnerung bleiben wird es mir aber ein Leben lang.
Es ist unwahrscheinlich, dass die unterbezahlten Gastarbeiterinnen, die bei McDonald’s mit stoischem Gesichtsausdruck Bestellungen in einen Computer tippen mir ein ähnliches Angebot machen werden. Auch wird es in den Hallen bald nicht mehr nach Tabak, Kaffee und Tradition riechen, sondern nach Fett und totem Tier. Systemgastronomie mag vielleicht effizient sein – den Charme eines klassischen Wiener Kaffeehauses hat es nicht. Oder?
Das Wunderer haben wir unwiederbringlich verloren. Aber wie sieht es mit den restlichen Wiener Cafés aus? Um mal wieder einen Reality-Check zu machen, habe ich kurz bei den Frühstückerinnen recherchiert und mich dann für das „Schopenhauer“ im 18. Bezirk entschieden. Dort fand ich heute nicht nur ein reich gefülltes Sonntagsbrunch-Buffet, sondern außerdem eine charmante Atmosphäre, ebenso charmante Kellnerinnen, Zeitungen, WLAN und saubere Klos. Was wünscht man sich mehr? Eigentlich nichts.
Entsprechend habe ich beschlossen, nun mindestens einmal im Monat einem echten Wiener Café einen Besuch abzustatten. Nicht nur, weil ich mir dann selbst den Magen vollschlagen und neue Inspiration tanken kann – sondern weil wirtschaftliches Handeln auch gesellschaftliches Handeln ist und wir mit jedem Euro, den wir ausgeben, eine Stimme dafür abgeben, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen.