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Pondicherry: Das indische Guadeloupe

Wer mit dem Bus nach Pondicherry fährt, der entdeckt zu Beginn keinen großen Unterschied zwischen hier und Chennai: In beiden Städten gibt es Dreck, verstopfte Straßen, schlechte Luft – erst wer sich dann eine Rikscha in das französische Viertel nimmt, der entdeckt die wahre Schönheit dieser Stadt. Hier findet nämlich das Beste dreier Welten zusammen: Deutsche Sauberkeit, französisches Essen und indische Gastfreundschaft – das ist deutlich besser als etwa eine Mischung aus deutschem Essen, indischer Sauberkeit und französischer Gastfreundschaft wäre.

Ad Sauberkeit fällt mir gleich am Abend meiner Ankunft auf, dass jede Nacht der Dreck an der Strandpromenade gekehrt wird; und auch ansonsten ist das Viertel ordentlich und gut gepflegt: Vom Zyklon, der die Stadt nur wenige Wochen zuvor heimgesucht hatte, ist außer ein paar Bäumen im gepflegten Park nicht mehr viel zu sehen. Aber die Kombination aus Essen und Gastfreundschaft machen Pondy erst wirklich so liebenswert: Im Cafe des Artes bekomme ich vom freundlichen indischen Inhaber meine Crepes mit echtem Kaffee und Milchschaum serviert, während ich das WLAN nutze, um Skype-Konferenzen zu führen, zu recherchieren oder Artikel nachhause zu schicken; gleich gegenüber ist ein Restaurant, das mich beim Vorbeigehen ebenfalls anspricht: In Sachen Einrichtung treffen hier hinduistische Skulpturen, Sperrmüll-Möbel und moderne Kunst aufeinander – der Inhaber selbst ist ein Inder, der jahrelang in Frankreich gelebt hat.

Eines Abends mache ich es mir in seinem Restaurant bequem. Ich trage einen schwarzen Rollkragenpulli gegen den Küstenwind und habe meinen Laptop dabei, hämmere eifrig in die Tasten. „Sind Sie ein Schriftsteller?“ fragt er mich. Ich zögere: Journalist? Schriftsteller? Lifestyle-Designer? Die Grenzen sind fließend. „Ja“, sage ich daher: „Ich schreibe gerade an meinem ersten Buch. Über Indien, meine Reise, die neue Mittelklasse, die Digitalisierung der Gesellschaft und so.“ Er wirkt interessiert und fragt mich, wie genau ich „Mittelklasse“ definiere – meine Antwort geht unter, da er von einem weiteren Gast mit etlichen Bussis begrüßt wird; in kleinen Häppchen führen wir unser Gespräch fort. Ich bestelle mir noch ein Bier und genieße die Gesellschaft, die deutlich angenehmer ist als die Kakerlaken in Chennai.

Dann geh ich heim. In ein Hotelzimmer, für das ich 1500 Rupien bezahle – mit Fernseher, Klimaanlage, keinen Kakerlaken oder Moskitos, aber dafür einem Balkon mit Blick auf den Strand. Ich schaue noch ein wenig fern, bevor mich der Schlaf übermannt. Die kommenden Tage verbringe ich fast ausschließlich auf einer Fläche von weniger als einem Quadratkilometer: Aufstehen, Crepes oder Croque Monsieur zum Frühstück im französischen Café, Schreiben auf dem Balkon mit Blick auf das Meer, zum Abendessen eine Pasta und anschließend noch Flanieren am Strand – dies alles unter strahlend blauem Himmel, bei tosenden Wellen im Hintergrund, inmitten malerischer französischer Kolonialarchitektur. „Liebe Grüße aus Guadeloupe“, schreibe ich daher meinen Eltern in einer Email – und fühle mich nicht wirklich wie in Indien, sondern viel mehr in der französischen Karibik.