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Was ich in Matheran gelernt habe

Als der kleine Zug wieder an den Klippen entlang Richtung Tal rattert, lasse ich meinen Kopf aus dem Fenster hängen und überlege, was ich aus der Zeit in Matheran gelernt habe.

Erstens – das war wohl meine die einfachste Erkenntnis – habe ich festgestellt, dass auch der neue indische Mittelstand Urlaub macht – ich bin in Matheran wohl der einzige ausländische Tourist gewesen; und zugleich war ich wohl auch einer der ruhigsten und unauffälligsten Zeitgenossen – denn die indische jugendliche Mittelklasse hat Geld; und sie möchte zeigen, dass sie dieses auch ausgeben kann: Die Brunftschreie der weiblichen Exemplare, verteilt über den ganzen Berg im Rahmen eines gewaltigen Paarungsrituals, erinnern eher an lärmende Ballermann-Touristen denn an indische Weisheit.

Zweitens: Das Angebot passt sich der Nachfrage an. Die neue Mittelklasse will in den Bars von Matheran Wasserpfeife rauchen, obwohl das mit der lokalen Kultur herzlich wenig zu tun hat; und sie will auf Pferden reiten, daher werden Beamte bestochen, um mehr Gäule auf den Markt werfen zu können; und sie will einen 3G-Empfang haben – deswegen thronen mitten auf dem roten Felsen gewaltige Mobilfunkmasten in der sonst so intakten Natur. Was sich in Matheran abspielt, kann stellvertretend für das gesamte Land gesehen werden: Wo eine inländische Nachfrage besteht, da gibt es auch ein inländisches Angebot.

Und drittens: Es gibt dennoch noch schwarze Flecken auf der Landkarte. Wer sich von den Haupt-Touristenpfaden los reißt, der entdeckt eine intakte Natur, mit wild lebenden Affen – und mit Frauen, die im Wald Holz sammeln gehen, damit sie abends kochen können; von den touristischen Ereignissen nur wenige Dutzend Meter weiter sind sie vollkommen unbeeindruckt. Und genau in diesen schwarzen Flecken wird dem Jünger der Modernen Technik klar, wie sehr er sich in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben hat: Es gibt in Indien noch Flecken, die noch nicht von Google Maps erfasst wurden; im tiefsten Wald liegt ein Hotel, für das es erst seit meiner Anwesenheit einen Foursquare-Checkin gibt; und Stromausfälle sind keine Seltenheit – wer sich auf die permanente Verfügbarkeit der Technologien des 21. Jahrhunderts verlässt, der ist bald so sehr verloren wie ich während meiner nächtlichen Odyssee durch den Wald.

Ich habe Städte wie Bangalore und Bombay gesehen, habe mich mit den Gründern indischer Start-Ups unterhalten und auf Konferenzen erfahren, wie rasch die Anzahl der Mobilfunkkunden in diesem Land voran schreitet – doch Matheran dürfte wohl nur ein kleiner Vorgeschmack darauf sein, wie stark sich das Leben im Land vom hochtechnologischen Status des Städte unterscheidet.