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Die Dschungelgeister

Manche Situationen sind einfach zu klischeehaft, um wahr zu sein: Beim Verfassen des vorherigen Beitrags war es bereits der Abend meines zweiten – und somit auch letzten – Tages in Matheran. Nach einer ausgedehnten Wanderung durch den Wald zum Ordnen meiner Gedanken hatte ich es mir auf der Veranda meines Bungalows bequem gemacht, mit Blick auf die Wildnis und die untergehende Sonne. Ein Zimmerjunge hatte mir eine Tasse Tee kredenzt; und ich machte mich daran, meine Erfahrungen in geschriebene Worte zu fassen – das nahezu malerische Bild eines zurückgezogenen Schriftstellers. Ich kratze mich an meinem Bart.

Dann wird meine Einsamkeit durchbrochen; und ich stelle plötzlich fest, dass ich nicht mehr der einzige Gast in diesem Hotel im Urwald bin. Im Haus neben mir sind zwei junge Männer eingezogen, und sie diskutieren: „Dieser Ort hat einen Charme“, sagt der Eine: „Du wirst Dich dein Leben lang daran erinnern, dass Du hier gelebt hast – das ist viel besser als jedes Drei-Sterne-Hotel.“

Der Andere, so erfahre ich später beim Abendessen, sieht das Hotel im Wald eher aus der Perspektive eines Splatter-Film-Geschädigten: Die Halle, in der wir zu abend essen, die früher ein Kino gewesen ist und in der nun der Putz von den Wänden bröckelt, die sei die beste Kulisse, um in einem Horror-Film einen blutigen Massenmord zu inszenieren. Ich grinse, und erzähle von meinen Erlebnissen des Vorabends, von meinem Irrweg durch den Wald. Und ich setze noch eine weitere Erfahrung von der vorherigen Nacht drauf: Während ich schlief, rumpelte es stets in meinem Badezimmer. Anfangs sah ich noch nach, blickte in die Dunkelheit: Nichts. Dann wieder: Rumpel, Rumpel. Ein weiterer Blick, diesmal mit Licht: Nichts außer einem Klo, einem Waschbecken und einer Dusche. Beunruhigend? Geister? „Irgendwann habe ich mir dann eingeredet“, sage ich: „Dass das die Affen waren, die über das Dach rannten.“ Der Eingeschüchterte runzelt die Stirn: „Ja, das war es wohl hoffentlich. Danke für den Tipp.“ Nervös nippt er an seinem Wasser.

„Ich habe Dich auf dem Balkon gesehen, Du hast geschrieben“, sagt der Andere, der Euphorische: „Bist Du Schriftsteller?“ Jein, denke ich mir: „Ich bin Journalist – aber es kann gut sein, dass ich gerade ein Buch schreibe.“ Es stellt sich heraus, dass der Euphorische selbst ein Schriftsteller ist, ich habe also sein Interesse geweckt: „Wie viele Seiten hast Du schon geschrieben?“, fragt er. Meine Gedanken wandern zurück zu dem, was ich mir während meiner Wanderung durch den Wald überlegt habe, was aber noch keine Form angenommen hat, und was ich daher nicht zu sehr an die große Glocke hängen möchte: „Ich weiß es nicht“, gestehe ich: „Zur Zeit schreibe ich einfach meinen Blog voll mit Geschichten – und dann soll irgendwas über das moderne Indien dabei raus kommen.“

Der Autor ist freundlich interessiert; er gibt mir noch den Tipp, mir nach meiner Rückkehr in die deutschsprachige Welt einen Literaturagenten zu suchen – dann verabschieden sich die Beiden und legen sich schlafen.

Und ich? Ich kehre ebenfalls in mein Quartier zurück; mache mich daran, dieses Erlebnis niederzuschreiben – während ich aus meinem Bad schon wieder nächtliche Geräusche vernehme, von denen ich hoffe, dass sie von Affen stammen.