Sag alles ab. Diesen Satz haben die Hamburger Tocotronic, Helden meiner postpubertären Selbstfindungsphase, in einen wütenden Rocksong über Verweigerung jeglicher Leistungsbereitschaft gegossen. Und den Titel des Songs auf ein T-Shirt gedruckt, welches ich als waschechter Fan selbstverständlich besitze. Kleines Teil-Lebensziel meinerseits: Dieses T-Shirt mal irgendwann zu einem Bewerbungsgespräch tragen, und den Job trotzdem kriegen. Mein Traum erfüllte sich vor rund zwei Monaten, als ich mich mit der Inhaberin von yourstory.in zu einem Skype-Bewerbungsgespräch traf. Mein Glück: Sie spricht kein deutsch; und so kommt es, dass ich trotz meines kleinen Schabernacks ab Oktober Chefredakteur eines indischen Online-Mediums bin.
Und ehrlich: Ich finde das super. Nicht nur die Sache mit dem T-Shirt an sich; sondern die Tatsache, dass ich mich mit der gesamten Welt gratis per Video unterhalten kann – und obendrein auch noch einen Einblick in die Lebensweise meiner Gesprächspartner kriege. Am gleichen Tag sprach ich auch mit Wolfgang Bergthaler, und bekam seine WG zu sehen. Und mit Thomas Friemel in Deutschland, dessen zuckersüße kleine Tochter sich ins Bild drängte, um Papa zu sagen, er solle nicht so laut reden, weil sie ja Kika schauen will. Und mit meinen Eltern, die gerade mit 40 Grad im Schatten zu kämpfen haben.
Und heute habe ich mit Tokio gesprochen. Eine alte Schulfreundin wird nämlich voraussichtlich meine Wohnung während meines Indien-Abenteuers hüten. Und weil Japan nicht gleich ums Eck ist, wollte sie nicht persönlich zur Wohnungsbesichtigung vorbei kommen; also haben wir die Rundführung per Skype gemacht. „He, so ein Expedit-Regal hatte ich auch“, sagte sie dabei schon zu Beginn des Gesprächs – das Ikea-Teil sieht man bei mir meist im Hintergrund, wenn ich skype. Anschließend hab ich den Laptop genommen und sie durch die Wohnung geführt. Mit dem Display nach vorne, so dass mein PC quasi ihre Augen und Ohren war. „Dreh dich mal nach links“ und „jetzt ein paar Schritte zurück“ waren dabei typische Anmerkungen. Und als ich mich mal irgendwann vorbeugte, um mich von der richtigen Darstellung des Videos zu überzeugen, plötzlich ein lautes Kichern: „Ich kann Dir in die Nasenlöcher schauen!“
Okay, zugegeben: Manchmal gibt es via Skype doch etwas zu viel Intimität. Aber irgendwie schweißt es die Menschen auch zusammen, wenn eine Frau in Tokio einem Mann in Wien in die Gehirnwindungen blicken kann. Das ist Globalisierung mal anders. Und wunderbar menschlich.