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San Francisco ist die Stefan-Stadt

Mein Taxifahrer redet in einem seltsamen Akzent. Und noch bevor ich ihn darauf ansprechen kann, fährt er die Scheibe herunter und fängt an, mit einem anderen Fahrer zu plaudern – in einer osteuropäischen Sprache, von der ich einzelne Wörter zu entziffern versuche. „Sorry, we were speaking Russian“, sagt er bei der Weiterfahrt entschuldigend. Ich versuche, Smalltalk zu führen und rede auf ihn ein. Wieder entschuldigt er sich: Englisch spreche er nicht so gut, viel besser könne er Deutsch sprechen – und rezitiert ein Gesicht in meiner Muttersprache, während er uns durch den Verkehr bugsiert.

Ein Angestellter des Fastfood-Ladens „Jack in The Box“ erkennt, dass ich Europäer bin. Er wechselt automatisch auf die französische Sprache. Sehr zuvorkommend; da verzeiht man gerne, dass der Burger nach Sägemehl schmeckt. Ansagen in den öffentlichen Verkehrsmitteln sind in den drei meistverwendeten Sprachen San Franciscos gehalten: Englisch, Spanisch und Chinesisch. Auch die Beschilderung ist mulitlingual. Für die Einheimischen ist das selbstverständlich – und lässt Ortstafeldiskussionen am anderen Ende der Welt einfach nur peinlich erscheinen.

Eigentlich hasse ich shoppen. Aber in dieser Stadt schreit einfach jede kleine Ecke „Vintage“. Alles ist hier ein wenig kaputt – aber gerade so sehr, dass es cool ist. Die viktorianischen Häuser im Zentrum mit ihren filmreifen Feuerleitern sehen genau so mitgenommen aus wie die Klamotten, die man um einen Spottpreis im Second-Hand-Laden „Wasteland“ im Hippiebezirk The Haight kaufen kann. Nun besitze ich also einen coolen Vintage-Anzug, der vorher vermutlich einem 68er gehört hat. Und einen Trenchcoat. Und eine neue Jacke. Meine Kreditkarte dürfte explodiert sein.

Als ich im Levis-Store zwei Jeans kaufen möchte, treffe ich Thomas. Er berät mich kompetent und zeigt Geduld, obwohl ich auf Grund meiner Körpergröße beim Hosenkauf stets ein schwieriger Fall bin. Am Ende trägt er mir gar meinen Einkauf zur Kasse. Dabei kommen wir ins Plaudern; und Thomas erzählt, dass er als Daytime-Job eigentlich in einem Start-Up in Silicon Valley arbeitet. Im Levis-Store arbeitet er nur samstags, zum Ausgleich, weil die Leute hier so nett sind.

Der Security im Wohnkomplex in Palo Alto ist ein freundlicher Herr im hohen Alter, ein echter Gentelman. Ein Vietnamveteran.

Mit dem Bus fahre ich an den West-Strand, durch den Bezirk „Sunset“. Beim Erreichen der Endstation bin ich der letzte Weiße im Bus, denn hier leben mehr Asiaten als im zentraler gelegenen Chinatown, wo stets ein Geruch von Curry-Chili-Soja in der Luft liegt. Nach dem Aussteigen schlendere ich die Pazifikküste entlang – irgendwo hinter dem Horizont liegt Japan. Später erreiche ich einen Ort, an dem Jugendliche Lagerfeuer in von Künstlern erschaffenen Feuerstellen entfachen. Dies ist kein Ort für Bikinis und Bodybuilder – dieser Strand ist Kaliforniens Alternative. Hier treffe ich Frau Pfarrer.

Die alte Dame spricht mich an, weil ich – wie so oft – planlos auf meinen Stadtplan blicke. Wir kommen ins Plaudern und als sie von meiner Herkunft erfährt, haben wir gleich einen gemeinsamen Nenner: Sie hat selbst jahrelang in Deutschland gelebt, und so reden wir über die unterschiedlichen Sozialsysteme ebenso wie über kulturelle Unterschiede: „Mein Mann war immer der Herr Pfarrer,“ amüsiert sie sich über die Wichtigkeit des Titels gegenüber dem Vornamen: „Und ich war die Frau Pfarrer.“

Auf dem Weg zum Flughafen treffe ich im Shuttlebus einen Engländer. Er gibt mir ein Bier aus; und ich versuche, ihm darzulegen, wie ich diese Stadt wahrgenommen habe: Dass an jeder Ecke eine interessante Begegnung wartet, ein toller Mensch. Da lacht er plötzlich und zeigt nach links: Im Pickup neben uns führt eine Afroamerikanerin auf dem Beifahrersitz zu Reggae-Rhythmen einen wilden Sitztanz auf. „Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen“, grinse ich. Und der Engländer versteht.

Verdammt, ich liebe diese Stadt.