Die Hunde sind sehr gutgläubig. Sie schlafen auf der Straße oder schauen eine auf sie zu fahrende Rikscha mit wedelndem Schwanz erwartend an, weil sie wissen, dass der Fahrer ohnehin in letzter Minute ausweichen wird. Schade nur, dass Züge dazu eine deutlich geringere Wendefähigkeit besitzen. Und so sprang der Hund auf einem Bahngleis irgendwo westlich von Hospet hin und her, während sich der Koloss aus Stahl näherte. Erst wenige Meter vor dem möglichen Zusammenprall bemerkte das Tier die Fatalität seiner Situation und versuchte, sich mit einem Sprung in Sicherheit zu bringen – leider zu spät, wie ein dumpfer Knall verkündete.
So begann meine Reise nach Hampi, auf der ich mich über drei Tage vom bangalore’schen Großstadtstress erholen wollte. Aus der Laune bringen ließ ich mich dennoch nicht. Man lernt in Indien sehr bald eine gewisse Schicksalsergebenheit: Dinge passieren; und mit der Situation muss man irgendwie klar kommen. Ändern kann man nur in den seltensten Fällen etwas.
Angekommen in Hampi fand ich auch das, wonach ich mich gesehnt habe: Ruhe. Kaum Straßenlärm. Vor allem Natur. Und weil ich das volle Programm fahren wollte, habe ich mich sogar nicht mal in Hampi selbst einquartiert, sondern auf der anderen Seite Flusses – dort ist es sogar noch viel ruhiger, aber dafür muss man mit dem Boot täglich um 15 Rupien (25 Cent) über das Gewässer fahren. Der Anlegesteg sieht so aus:
Das rote Ding ist eine Bierkiste, auf die man tritt, um ins Boot zu steigen; davor macht man sich die Füße nass – was aber halb so wild ist, weil man davor durch den Gatsch spaziert ist und somit eine Reinigung willkommen heißt.
Mein Zimmer hat 200 Rupien (3,30 €) pro Nacht gekostet. Inklusive chilligem Restaurant mit lustigem Wirt, Hippie-Gästen aus Israel, einer kalten Dusche, einem Moskitonetz und der härtesten Matratze, auf der ich je geschlafen habe. Und Fred, mein Zimmergenosse. Hier ist ein Foto von ihm:
Manche Menschen mögen Frösche im Zimmer ja eklig finden. Aber ich hatte Fred gerne dabei; denn er hat in der Nacht die Moskitos gefangen – zumindest dann, wenn er nicht damit beschäftigt war, panisch vor mir weg zu hoppeln.
Unglück kommt selten allein
So weit, so gut. Nachdem ich mich also am zweiten Tag meines Kurzurlaubs die alten Tempel und Paläste von Hampi angesehen hatte (wegen der eigentlich die meisten Touristen nach Hampi kommen), wollte ich nach einem erfüllten Tag wieder zurück in mein Hotel. Blöde Sache aber: Der Fluss war zu hoch, und somit wollte der Fährmann nicht mehr übersetzen. Auch die sanfte Zusprache meines Masseurs (woher ich den kenne, das ist eine andere Geschichte) hat wenig geholfen. Dafür baten nun etliche Rikscha-Fahrer an, mich um 800 Rupien über eine weit entfernte Brücke auf die andere Seite zu bringen. Nach längerer Verhandlung hatte ich einen Zeitgenossen auf 550 Rupien runter gehandelt.
Also: Los.
Der Weg führte uns durch Dörfer, in denen kein einziger Tourist zu sehen war, und über holprige Landstraßen mit schlechter Federung – wer mich besser kennt, der weiß, warum mich das beunruhigte. Übler war noch, dass es bald dunkel wurde und der Fahrer Probleme hatte, die einzelnen intakten Straßenstücke zwischen den Schlaglöchern auszumachen. „Viel schlimmer kann es nicht werden“, dachte ich mir. Falsch.
Denn als wir gerade in das nächste Dorf einfuhren, fing es heftig an zu regnen, so dass der Fahrer tatsächlich nichts mehr sah. Irgendwann schaute er auf die rechte Seite seiner Rikscha und fügte hinzu: „Ich glaube, mein Reifen ist geplatzt, vor nur drei Minuten“. Als er kurz darauf feststellte, dass er nicht mal das passende Werkzeug besitzt, fuhr er mit dem Platten zu einem Laden im Dorf.
Dort wechselte er den Reifen, im strömenden Regen. Und da er keinen Wagenheber hatte, ga es echtes Jugaad: Mit purer Muskelkraft hob er eine Seite der Rikscha an, während ein Junge aus dem Dorf das kaputte Rad eilig als Stütze unter des Fahrzeug schob. Anschließend wechselten sie rasch das Rad, und wir fuhren weiter.
Nach zwei Stunden Reisezeit waren wir angekommen. Und ich hatte eine Geschichte, die ich den Israelis erzählen konnte.
…und trotzdem ist alles gut.
Denn auch wenn ich nun ein paar Geschichten erzählt habe, die auf Europäer schockierend oder abstoßend wirken könnten: Es kommt trotzdem in Indien immer alles verstärkt positiv zurück. Der dritte Tag war nämlich einfach nur schön: Lange frühstücken, mit dem Masseur vor seinem Laden sitzen und einen Chai trinken, Trommeln mit ein paar Kanadiern. Und das allerwichtigste: Zurückkommen nach Bangalore. Denn nun sehe ich diese Großstadt mit anderen Augen – nicht nur als einen chaotischen Moloch, sondern auch als eine Insel des modernen Lebens. Mit richtigen Straßen, und ohne Frösche im Schlafzimmer.